Corsin Fontana: Stille Werke, die aus Musik entstehen

Wo es nach Farbe riecht, müssen nicht unbedingt Pinsel liegen: Das beweist ein Besuch in Corsin Fontanas Atelier. Er nutzt am liebsten Ölkreide für seine Werke, von denen einige aktuell in der «Regionale»-Ausstellung in der Kunsthalle Basel zu sehen sind.

Wo es nach Farbe riecht, müssen nicht unbedingt Pinsel liegen: Das beweist ein Besuch in Corsin Fontanas Atelier. Er nutzt am liebsten Ölkreide für seine Werke, von denen einige aktuell in der «Regionale»-Ausstellung in der Kunsthalle Basel zu sehen sind.

In Corsin Fontanas Schaffensreich riecht es wie in einem klassischen Maleratelier. Doch einen Pinsel sucht man hier vergebens. Dass seine Arbeit «mit Musik zusammen geht», führt dazu, dass beim Besuch im Atelier sein künstlerisches Werk zunächst nicht zur Sprache kommt.

Denn als erstes führt Corsin Fontana in seine weit gefächerte Ansammlung von Musikkassetten und Langspielplatten ein. Gezielt gesammelt hat Fontana nicht. Geleitet von seiner Neugierde auf Unbekanntes und Ungewöhnliches, in Begegnungen mit «anderer» Musik auf seinen Reisen durch Nord- und Westafrika und in seiner Offenheit dem Niegehörten gegenüber, gesellt Fontana Free Jazz (Archie Shepp, Albert Ayler), zeitgenössische Musik (Galina Ustvolskaya, Conlon Nancarrow), traditionelle Musik aus der arabischen Welt, Westafrikas und Indiens und auch Popmusik (Hendrix und Zappa) nebeneinander.



Corsin Fontana in seinem Atelier.

Corsin Fontana in seinem Atelier. (Bild: Françoise Theis)

Diese Musik schafft für ihn die Atmosphäre, um mit der Arbeit zu beginnen, und begleitet ihn während des Schaffens. Ursprünglich hatte Fontana eine Ausbildung als Offset-Drucker gemacht und sich dann autodidaktisch zum Künstler weitergebildet. Der Drucktechnik bleibt der heute 70-Jährige aber über all die Jahre facettenreich und experimentell treu – besonders als Zeichner ist er in einem elementaren Sinn ein Drucker geblieben.

Ölkreide und Messer

In der «Regionale»-Ausstellung in der Kunsthalle Basel, die den Titel «form follows form follows form» trägt, zeigt Fontana drei Werke, die exemplarisch für sein aktuelles Schaffen stehen: Die 22-teilige Arbeit auf Papier «Mit gleichem Abstand» (2005/2006) und zwei grosse Werke auf Leinwand «Ohne Titel (Nr.09)» und «Ohne Titel» (2012 und 2014).

Ihnen gemeinsam ist das Material Ölkreide – aus Leinöl und Farbpigmenten gepresste Zylinderstäbe –, welches der Künstler aufträgt, oder besser gesagt: ziehend abdruckt. Ein wichtiges Utensil ist weiter ein scharfes kleines Messer. Mit diesem wird die trockene Haut der Ölkreidestifte abgezogen und der Stift geschnitten. Die Länge des abgeschnittenen Stücks ist fundamental: Sie ist die Breite der Strichspur, die horizontal oder vertikal gezogen wird.

Das «Sowohl-als-auch» zieht sich als roter Faden durch Werk und Leben des Künstlers und ist offensichtlich in den gezeigten Werken der Kunsthalle. In der Serie «Mit gleichem Abstand» prägt der schwarze, auf dem Papiermaterial ausgefranste Strich den Rhythmus. Als Ganzes gesehen entsteht ein Mäander aus Wiederholung und Variation, der den Anschein erweckt, unendlich fortgesetzt werden zu können, und der doch stimmig vom Künstler abgeschlossen wurde. In Nahansicht zeigt das einzelne Blatt, dass es die leere Fläche ist, um die es ausserdem geht. Die schwarzen Liniensegmente dienen dazu, offene Rechtecke zu schaffen, die auf eine unendliche Leere und Stille verweisen.



«Mit gleichem Abstand»: Mäander, «gemalt» mit Ölkreide.

«Mit gleichem Abstand» (Detail): Mäander, «gemalt» mit Ölkreide. (Bild: Françoise Theis)

Das «Als-auch» zeigt sich in den beiden Arbeiten auf Leinwand. Hier verdichtet Fontana. Er legt Geraden auf die Leinwand, durchscheinend oder opak, und schafft eine Materialfläche, die zum Relief wird. «Belegungen» nennt er seine Arbeitsschritte. Eine Belegung besteht dabei aus parallel geführten Strichen in einer Richtung. Aufeinanderfolgende Belegungen liegen senkrecht zueinander. Bis zu vier können so auf die Leinwand aufgetragen werden. Für jedes Werk wird jedoch während der Entstehung neu entschieden: Bleibt es bei einer Belegung? Werden es zwei oder mehr? Und jedes Mal entfalten sich Werke, die das Auge der Betrachtenden herausfordern. Als «Bild» sind diese nicht fassbar, es entstehen Vibrationsflächen, die über unsere Sehgewohnheiten hinausgehen.

In beiden Werkarten tut Corsin Fontana einiges, um keine perspektivische Wirkung aufkommen zu lassen. Am «horror vacui» leidet der Künstler sicherlich nicht, doch scheint es, als treibe ihn ein «horror perspectivae» um. Eine Sorge anderer Art beschäftigt zudem Fontana. Seit langem ist er Mitglied der Ateliergenossenschaft im Atelierhaus Klingental und bald auch betroffen von Renovation und Reorganisation des Atelierhauses. Alle 44 Kunstschaffenden müssen während der Sanierung ihre Ateliers verlassen. Es besteht die Hoffnung, dass zumindest einige zurückkehren können. Alle sorgt jedoch die Frage: Wohin bloss mit allem Material, den Einrichtungsgegenständen und den Kunstwerken?

Wie es zu seiner Teilnahme an der «Regionale 15» kam, erläutert Corsin Fontana akribisch: Eingeladen wurde er vom unterdessen in Frankfurt tätigen Kurator Fabian Schöneich. Dieser legte Fontana eine Auswahl von zehn Werken vor, welche er zur Ausstellungsthematik stimmig fand. Der Künstler traf dann die Auswahl, bestimmte, zusammen mit seinem Galeristen Tony Wuethrich und begleitet von der Kunsthalle-Assistentin Mara Berger, die Hängung und überliess erleichtert dem Kunsthalle-Team die Montage. Und dann blitzt Schalk auf: «Einen Nagel einschlagen kann ich nämlich nicht. Als Sohn eines Beamten habe ich meinen Vater nie mit einem Hammer gesehen. Das prägt. Ich habe zwei linke Hände.»

Gerne und lebendig erzählt Corsin Fontana von vielem. Über sein Gezeichnetes und Gedrucktes soll nicht viel gesagt werden, meint er, «es sei denn, der übriggebliebene Raum rege zum Denken an». Tatsächlich sind die Werke Fontanas überaus still, und in ihrer ungemeinen Präsenz schaffen sie es, die Betrachtenden ebenfalls still zu stellen. Und dann, ganz langsam und in langer Weile, beginnen sie ihren Rhythmus zu entfalten, fangen an zu vibrieren, und die ersten Töne lassen sich stumm vernehmen. Spannend, wie sich so die Vorzeichen umkehren: Steht die Musik für Fontana am Anfang, so werden seine Werke für die Betrachtenden zu einem elementaren Boden, auf dem Klänge, Rhythmen, Dissonanzen und Ungewohntes sich entfalten kann. Musik als Anfang und als Ziel – sowohl… als auch.

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Regionale 15, bis 10. Januar 2015, Kunsthalle Basel bis 25. Januar. Diverse Orte, Detailinfos unter www.regionale.org.
Corsin Fontana stellt in der Kunsthalle Basel aus.

Corsin Fontanas Arbeiten werden aktuell auch in der Gruppenausstellung «Works on Paper» in der Galerie Tony Wuethrich gezeigt, bis 14. März 2015.

Die TagesWoche porträtiert während der Ausstellungsdauer der Regionale 14 mehrere Künstler und Künstlerinnen. Bereits erschienen: Mathieu Boisadan, Jonas Baumann, Denis Handschin und Bianca Pedrina.

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