Cyber-Theater im Outernet

Wie wirklich kann die Kunstform Theater sein? Die Kaserne Basel lässt in der kommenden Spielzeit die Zuschauer unter anderem in virtuelle Realitäten eintauchen. Und sie lässt echte Richter und Anwältinnen den Fall des Mörders oder Totschlägers Hamlet verhandeln.

Mit Datenbrille und Computerrucksack auf der Antaktis-Exedition (Bild: Stefan Dewickere)

Wie wirklich kann die Kunstform Theater sein? Die Kaserne Basel lässt in der kommenden Spielzeit die Zuschauer unter anderem in virtuelle Realitäten eintauchen. Und sie lässt echte Richter und Anwältinnen den Fall des Mörders oder Totschlägers Hamlet verhandeln.

Selbstverständlich gibt es das auch noch: Das vergangene Theaterfestival Basel hat gezeigt und die kommende Spielzeit der Kaserne Basel (pdf-Dokument) wird zeigen, dass das gute alte Theater, das mit Schauspielern oder Performerinnen auf der Bühne dem Publikum im Zuschauerraum Geschichten erzählt, durchaus packend, brisant, aussergewöhnlich und aktuell sein kann.

Doch es gibt auch dieses andere Theater, das sich von der konventionellen Form entfernt hat, das ohne Schauspielerinnen und Schauspieler auskommt, das mit der Realität nicht nur spielt, sondern auf die Bühne holt. Theater, das die Besucherinnen und Besucher in virtuelle Realitäten eintauchen lässt oder auf Spaziergänge durch die reale Welt führt.

Freiraum der freien Szene

Hier liegt denn auch ein Stück des verbliebenen Innovations-Freiraums der freien Szene. Denn das Stadttheater ist längst dazu übergegangen, den Offspace nach neuen Talenten abzugrasen und damit auch deren Bühnenästhetik im Spielplan zu integrieren. Die aktuelle Theaterdirektion hat dies mit Tomas Schweigen und seiner Far-A-Day-Cage-Truppe getan, und der künftige Direktor hat den bislang freien Theatermacher und Musiker Thom Luz als Hausregisseur engagiert.

Die freie Szene muss sich also, zumindest wenn es sich als Avantgarde beweisen möchte, weiter über die herkömmlichen Spartengrenzen hinauslehnen. Und sie tut dies auch, mit viel Lust und spannenden Resultaten: So wird die Tanz- und Theaterspielzeit 2014/15 der Kaserne Basel am 25. September mit einem Ausflug ins Outernet eröffnet. Der Belgier Eric Joris und seine Compagnie Crew lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer – oder besser: die Teilnehmenden – mit Datenbrillen, Kopfhörern und angeschnallten Computern in virtuelle Kunstwelten eintauchen.

«Terra Nova» lautet der Titel seines Projekts, der durchaus doppeldeutig zu verstehen ist: Er bezieht sich nicht nur auf das technische Theater-Neuland der Virtual oder Augmented Reality, sondern auch auf den Plot, der von der gleichnamigen Antarktis-Expedition von Robert Scott (1910-12) ausgeht, die bekanntlich ein tragisches Ende nahm.

 

Terra Nova by CREW from artupmédia on Vimeo.

Spaziergang durch Fukushima

«Terra Nova» ist Teil einer Veranstaltungsreihe, die sich «Portable Reality» nennt und von der Kaserne Basel gemeinsam mit dem Haus der elektronischen Künste (HeK) und dem Museum Tinguely organisiert wird. Neben «Terra Nova» stehen vom 24. bis 28. September ein Symposium zum Thema, Workshops und weitere Performances auf dem Programm.

Zum Beispiel die Live art performance «C.A.P.E.» (Computer Assisted Personal Environment), die ebenfalls aus dem Repertoire von Crew stammt. Die sehr technisch klingende Bezeichnung ist Programm: Anders als bei «Terra Nova» befinden sich die Teilnehmenden nicht im noch einigermassen geschützten Theaterraum. Sie wandeln vordergründig über Basler Boden, während die Datenbrille ganz andere Schauplätze vermittelt – etwa Spaziergänge durch Fukushima und Brüssel sowie einen Marsch mitten in einem Strassenumzug in Ghent.

Das Theater überschreitet die Grenzen der Realität

Theater war und ist ein Kunstmedium, das sich bei der Vermittlung von künstlerisch-künstlichen Welten neuen Medien gegenüber stets aufgeschlossen zeigte und diese, wie etwa das Video, in das Bühnengeschehen einbettete. Von Einbetten kann in diesem Fall nun aber nicht mehr die Rede sein, denn hier wird das neue Medium zum eigentlichen formellen Rahmen und Handlungsraum. Und die Grenzen zur Medienkunst, zum 3D-Kino, zur Welt der Games oder gar zum technischen Experiment verwischen mehr und mehr.

Während das Theater auf der einen Seite die Grenzen zum virtuellen Raum überschreitet, holt es auf der anderen Seite Stücke der realen Welt auf die Schaubühne. Dies ist zu erwarten, wenn Boris Nikitin im kommenden April eine weitere Auflage seiner Basler Dokumentartage «It’s The Real Thing» präsentieren wird. Zu diesem Programm sind gegenwärtig noch keine Details zu erfahren. Dies wird in etwa so sein, wenn der Reenactment-Spezialist Milo Rau sein neustes Projekt (2. bis 4. Oktober) zeigen wird.

Hamlet vor Gericht



Hamlet vor Gericht

Hamlet vor Gericht (Bild: Pierre Abensur)

Und dies wird auf originelle Art im Projekt «Please, Continue (Hamlet)» (20. bis 22. Januar 2015) des in Genf lebenden Holländers Yan Duyvendak und des spanischen Regisseurs Roger Bernat zu erleben sein. Die beiden stellen Hamlet (jawohl, der aus dem gleichnamigen Shakespeare-Klassiker) für seinen Mord (oder war es fahrlässige Tötung, vielleicht gar nur Notwehr?) an Polonius vor Gericht. Dazu tritt Polonius‘ Tochter und Hamlets unglückliche Geliebte Ophelia als Nebenklägerin auf.

Der eigentliche Clou dieses Projekts ist aber die Tatsache, dass das juristische Personal nicht aus Schauspielern, sondern aus echten Basler Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern bestehen wird. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden schliesslich als Geschworene das Urteil fällen. Bei den bisherigen Aufführungen in Frankreich, Belgien Deutschland, Holland und der Schweiz soll es zu höchst unterschiedlichen Urteilen gekommen sein: In Deutschland zum Beispiel wurde Hamlet in Handschellen abgeführt, während es in Zürich zum Freispruch kam. Man darf also gespannt sein, was Hamlet in Basel blühen wird.

Und auf all die weiteren Produktionen aus Basel, aus der Schweiz und aus der Welt, welche die Kaserne Basel in ihren attraktiven Theater- und Tanz-Spielplan gepackt hat.

Starke Baslerinnen und Basler
Viel Raum im Theater- und Tanzspielplan nehmen auch in der Saison 2014/15 Theaterleute aus Basel ein. Von einem Lokalbonus zu sprechen, wäre aber verfehlt. Viele der Einheimischen, von der Chroreografin Alexandra Bachzetsis und dem Schauspieler/Regisseur Lorenz Nufer über den jungen Theatermacher Marcel Schwald und die Gruppe CapriConnection bis zu Fabian Chiquet und der Band The Bianca Story, gehören mittlerweile weit über die Basler Grenzen hinaus zu den begehrten Namen der Szene. Dazu stossen mit Zino Wey und Corinne Maier zwei neue Namen ins reguläre Kasernenprogramm vor, die an den letzten Treibstoff-Theaternachwuchstagen (und bereits auch ausserhalb Basels) mit herausragenden Produktionen auf sich aufmerksam gemacht haben.

 

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