Das Baselbiet hat den Soul

Sie ist «Voice of Switzerland», Mutter und tauft am 17. Oktober in der Basler Kuppel ihr erstes Soloalbum: Nicole Bernegger. Die einzige Soulstimme aus dem Baselbiet ist sie nicht: Auch Ira May präsentiert bald ihr Solodebüt.

Nicole Bernegger und Ira May: Zwei grosse Stimmen gehen mit ihren ersten Soloalben auf Tour. Bernegger bringt «The Voice» Ende November ein zweites Mal in die Basler Kuppel, May singt am 7. November im Sud.

Déjà-vu: Nicole Bernegger bestellt sich einen Latte macchiato in Basels Mitte. Das hat sie schon bei unserem letzten Treffen getan. Dazwischen liegen zwei Jahreszeiten, ein Medienrummel, eine Geburt und eine Plattenproduktion. Ganz schön viel Aufregung. Im März wurde sie vom SRF-Publikum zur «Voice of Switzerland» gekürt, im Mai brachte sie ihr drittes Kind zur Welt.

Und dazwischen? «Dank der Schwangerschaft musste ich zum Glück nicht gleich hopp hopp ins Studio», sagt sie freimütig. Bei solchen TV-Formaten sind Schnellschüsse üblich, schliesslich will die beteiligte Plattenfirma rasch abschöpfen, ehe das Publikum zur nächsten Talentshow zappt. «Durch die Schwangerschaft aber konnte ich etwas Zeit rausschlagen», sagt sie. Und in Ruhe über die Songauswahl reden, «auch mal ablehnen, wenn mir etwas überhaupt nicht gefiel.»

Aber die 36-jährige Birsfelderin, die den Soul in der Brust und das Herz auf der Zunge trägt, weiss, dass sie sich auf ein Abenteuer einliess, bei dem auch andere, die Financiers im Hintergrund, sich einen Return on Investment erhoffen. In ihrem Fall heisst das, dass «das Spektrum bewusst erweitert wurde», wie sie erzählt.

Stress half

Rapper Stress, der sie in der Sendung portiert hatte, begleitete sie auch beim Aufnahmeprozess, schrieb viele der elf Lieder, die sich Bernegger aneignete, zusammen mit dem Produzenten Fred Herrmann von Hitmill, jener Zürcher Firma, die im Verbund mit SRF und der Plattenfirma Universal für viele, vielleicht zu viele aktuelle Schweizer Produktionen verantwortlich zeichnet – manifestiert sich dies doch in einer Nivellierung von Berneggers charakterstarkem Gesang. Da wird soundmässig dick aufgetragen, Berneggers grossartige Stimme streckenweise allzu stark in ein künstliches Popkorsett gezwängt oder von seichten Arrangements erdrückt. Herausragen kann sie in Soulsongs wie dem neckischen «The Boss» oder im herrlichen Blues «Helpless».

Seele und Beats

«The Voice» heisst das Album, das in der Kuppel getauft wird. Das war Bernegger wichtig, «denn die Kuppel hat schon an uns geglaubt, als wir ganz unbekannt waren». Mit «wir» meint sie The Kitchenettes, die Basler Band, mit der sie seit Jahren auf der Bühne steht und die sie auch jetzt begleiten wird. Doch steht ihr Name neu im Vordergrund. Und wenn der ­Erfolg nicht im gewünschten Mass eintreffen sollte? Bernegger ist reif und leidenschaftlich genug, um weiterzumachen – im Unterschied zu manchen Gewinnerinnen der «MusicStar»-Sendungen, die jung und sang- und klanglos untergingen.

Beide berühren mit starkem Ausdruck und dunklem Timbre.

Eine, die sich 2004 bei dieser Casting-Show bewarb und früh ausschied, ist einen anderen Weg gegangen: Iris Bösiger aus Sissach. Via Facebook entdeckte sie der deutsche Hip-Hop-Produzent Shuko und war hin und weg von ihrer Stimme. Man traf sich, entschied, ein Album aufzunehmen mit den Songs, die sie in den letzten Jahren geschrieben hat. Ira May, so ihr Künstlername, hat ebenfalls vom Boost durch einen SRF-Kanal profitiert, allerdings war es in ihrem Fall das Radio.

SRF3 spielte die unveröffentlichte Single «Let You Go» und positionierte sie als Amy Winehouse aus Sissach. Rasch berichteten weitere Medien, obschon noch gar kein Album im Kasten war. In England Alltag, ist ein solcher Hype für die Schweiz ungewöhnlich. Was ihre gesanglichen Fähigkeiten angeht aber durchaus berechtigt, wie ihr erstes Album bestätigt, das im Januar 2014 beim deutschen Label Peripherique erscheinen wird – und auch in Neuseeland oder Frankreich Vertriebe gefunden hat.

Ihre Produktion ist wärmer, organischer, runder. Die Stimme wunderbar eingebettet in die Musik, weshalb Ira May den Vergleich mit Amy Winehouse noch ein paar Mal hören wird. Auch der Stilmix aus Soul und einer Prise Reggae, kombiniert mit Beats, erinnert an das Erfolgsrezept von Produzent Mark Ronson. Da verwundert es nicht, dass sogar eine Veröffentlichung in Grossbritannien im Raum steht.

Hatte sie das SRF für eine Teilnahme bei der nächsten Folge von «The Voice of Switzerland» angefragt? «Für den Eurovision Song Contest hat man mich kontaktiert», sagt die 26-Jährige. «Doch solche Formate kommen für mich nicht mehr in Frage», sagt sie. 76 000 Views auf Youtube sprechen für sich.

Es wird interessant werden, die Entwicklungen dieser zwei Sängerinnen, die sich übrigens noch nie begegnet sind, zu verfolgen. Beide haben herausragendes Talent und grosse Reife, berühren mit dunklem Timbre und ihrer Ausdruckskraft. Der Titel einer Schweizer Soulkönigin ist noch nicht vergeben, sicher ist aber schon jetzt: Die Krone wird im Baselbiet getragen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 11.10.13

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