«Jackie»: Das Blut steht Natalie Portmann gut

Wie John F. Kennedy ums Leben kam, wissen wir. Das bedrohliche Biopic «Jackie» mit Natalie Portman als Präsidenten-Witwe verursacht trotzdem Gänsehaut.

«Mittelatlantischer Akzent» heisst das gekünstelte Nachkriegsenglisch, mit dem Jacqueline Kennedy (Natalie Portman) den Journalisten in einer Sommerresidenz empfängt: Es ist der Dialekt der Hollywoodstars und Theaterschauspieler. Das passt, will die Ex-First-Lady doch eine Tragödie rezitieren – die Ermordung ihres Ehemannes, John F. Kennedy.

Eine Woche nach dem Attentat in Dallas, Texas gibt die Witwe in Pablo Larraíns bedrohlichen Psychodrama «Jackie» Auskunft über das Unfassbare, das eine ganze Nation lähmt: den Schuss, das Blut, den Schmerz.

All das bekommt der Journalist, der sie zu ihrer Leidensgeschichte befragt, zu hören. Nichts davon wird er in seinem Artikel schreiben dürfen. «Das habe ich nie gesagt», hält die Witwe ein ums andere Mal fest, während sie an ihrer Zigarette zieht. Und selbstverständlich beharrt sie darauf, Nichtraucherin zu sein.

Am Hofe König Artus‘

Jacqueline Kennedy ist auf Mission. Sie hat für John F. Kennedy ein Staatsbegräbnis organisiert, das eines Königs würdig ist: Trotz Terrorwarnungen führt sie den Trauerzug durch Washington mit ihren Kindern an, wie immer makellos gekleidet. Es geht ihr um das Vermächtnis der Kennedys: Ihr Mann soll nicht nur wegen erotischer Eskapaden (Marylin Monroe), einem unbeendeten Krieg (Vietnam) und dem Flirt mit einem atomaren Schlagabtausch (Kubakrise) in Erinnerung bleiben.

Und sie selbst nicht als Fussnote der Geschichte.


Stattdessen verklärt Jacqueline die Ära Kennedy retrospektiv zum mythisch überhöhten Zeitalter der Vernunft, in dem ein weiser und gerechter Herrscher wie einst Arthus an seinem Königshof Camelot regierte: Kein Wunder gehörte das gleichnamige Broadway-Musical zu Kennedys Lieblingsplatten.

An dieser Inszenierung einer kultivierten Regentschaft hatte Jacqueline Kennedy massgeblich Anteil. Das Weisse Haus, wie es der Trump-Clan zurzeit bezieht, ist grösstenteils noch immer so, wie es Jacqueline Kennedy einst eingerichtet und der Fernsehnation vorgeführt hatte. Obwohl sie nie Hausfrau sein wollte, wurde die frühere Journalistin durch ihren TV-Auftritt über Nacht zur Stilikone und Mutter der Nation.

Auf hoher See

Natalie Portmans schauspielerischer Ehrgeiz passt perfekt zur Filmfigur. Als Jacqueline Kennedy spielt sie eine Frau, die krampfhaft versucht, die Kontrolle zu behalten und dabei nur einen Schritt vor dem Abgrund steht. Sie trauert nicht nur um ihren Mann, sie kämpft auch gegen ihren gesellschaftlichen Abstieg in einer machtfixierten Männerwelt.

Portman wechselt gekonnt zwischen dem distanzierten Interview und emotionalen Flashbacks, wobei «Jackie» die Grenze zwischen subjektivem Erlebnis, medialer Mythenbildung und dramatischer Inszenierung aufreizend flimmern lässt. Wie ihr Akzent ist die ganze Filmfigur «Mid-Atlantic» – verloren auf hoher See und gegen das Vergessen anstrampelnd.

Natalie Portman jedenfalls sollte sich eine Hand frei halten: An der Oscarverleihung Ende Februar ist sie – völlig zu Recht – für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.

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