Das Monster unter der Kapuze

Aus ihren pubertären Ängsten schuf die elektronische Musikerin Gazelle Twin ein Monster. Heute Samstag lässt die Britin dieses im Haus der elektronischen Künste frei.

Transformiert die «teenage angst» in dunkle elektronische Musik: Gazelle Twin.

Aus ihren pubertären Ängsten schuf die elektronische Musikerin Gazelle Twin ein Monster. Heute Samstag lässt die Britin dieses im Haus der elektronischen Künste frei.

Irgendwie scheint es in Elizabeth Bernholz‘ Biografie angelegt – die Faszination des Fleischlichen. Als kleines Mädchen lebte sie unter anderem auf einer Farm in Kent im Südosten Englands. Ihr Vater war Jäger und brachte immer wieder geschossene Tiere nach Hause. «Das halbe Haus war ein Tierfriedhof», wie sie in einem Interview erzählt.

«Überall war Blut»

An der Garderobe hingen Fasane und Hasen an ihren Hälsen festgebunden und: «Überall war Blut.» Der Anblick des toten Fleisches sollte bis ins Erwachsenenalter nachhallen und schliesslich in einem der direktesten und dunkelsten Alben des Jahres 2014 aufgehen: «Unflesh».

Die Vorgeschichte führt uns zurück in eine verdammt schwierige Zeit – die Pubertät. Während sich Elizabeth Bernholz‘ Körper veränderte, trieben sie Suizidgedanken um, die schliesslich gar in einem Versuch mündeten. Lange konnte sie mit niemandem darüber sprechen. Den Körper, den sie einst töten wollte, musste sie erst verlassen und in einem neuen aufgehen, um die Ängste und den Selbsthass ausdrücken zu können.

Kopf in der Kapuze

Dafür schuf Bernholz ein Monster: Gazelle Twin. Das Gesicht dieses Monsters ist mit einer beigen Gaze verdeckt. Nur der Mund ist durch ein Loch frei, um die rückhaltlos-direkten Lyrics von der «teenage angst» ins Mikrofon zu sprechen. Doch dieses Monster trägt genau den blauen Kapuzenpulli, den schon Bernholz als Mädchen im England der Schuluniformen im Turnunterricht tragen musste. Hoodie, heisst dieser dort und wurde einst gar verboten.

Denn die Jugendlichen sollen damit in der Mall ihre Gesichter vor den Überwachungskameras versteckt haben, was die einkaufenden Massen verängstigte. So sahen es zumindest die Besitzer der Mall und die Polizei. In einem Staat der seine BürgerInnen mit fast sechs Millionen Kameras überwacht, also auf elf Menschen eine Kamera kommt, wird ein simpler Kapuzenpulli zum politischen Statement. Natürlich weiss das Bernholz, wenn sie ihren Kopf auf der Bühne tief in der Kapuze versteckt – schliesslich verbot man den Hoodie auch in ihrer Kindheitsstadt Kent.

Im fremden Körper der Musik

Als Gazelle Twin kann Bernholz alle Kräfte bündeln und in einen elektronischen Sound transformieren, der düster pocht, manchmal wie ein ISDN-Anschluss fiept und uns sofort in einen klaustrophobischen Sog zieht. Es klingt, als stecke man beim Hören selbst in einem fremden Körper, als atme da ständig jemand am anderen Ende. Da schlagen riesige Giraffen-Herzen und elektrophiles Blut wird durch offene Arterien direkt in unsere Gehörgänge gepumpt.

My Daily Noise eröffnen den Abend 

Am 24. Januar wird Gazelle Twin im HeK (Haus der elektronischen Künste Basel) im Basler Dreispitz auftreten. Den Boden bereitet ihr My Daily Noise, das Duo des in Paris lebenden Komponisten Kaspar T. Toeplitz und des Baslers Daniel Buess, der unter anderem Mitglied der grossartigen, hiesigen Noise-Band MIR ist.

My Daily Noise ist «laute, aggressive Musik mit jeder Menge Subbass, symphonischen Trommeln und anderen Mitteln, durchdrungen und entfremdet von Verzerrungen und Noise-Effekten», wie es auf der Homepage des HeK heisst. Andere würden es einfach Krach nennen, doch an den Grenzen des Zumutbaren sind Differenzierungen umso wichtiger. Sicher ist, dass My Daily Noise die Gehörgänge der ZuhörerInnen erst mal durchfegen wird, wenn sie nicht schon frei und ungeschützt daliegen. Damit danach das Monster losgelassen werden kann.

Sicher wird es sich zwischen den satten Boxen, unter der tiefen Decke und in der Dunkelheit des neuen Konzertraumes im Keller des HeK wohl fühlen ­– dann sind Monster wie Gazelle Twin am gefährlichsten.
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Gazelle Twin und My Daily Noise live:
Samstag, 24. Januar, 21 Uhr.
HeK (Haus der elektronischen Künste Basel), Dreispitz, Basel.

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