Das Museum für Gegenwartskunst zeigt die Kunst der Aneignung

Seit 30 Jahren entstehen Werke der sogenannten Appropriationskunst. Das Museum für Gegenwartskunst zeigt einen Überblick, der die konzeptuelle Kunstrichtung gut erschliessen lässt.

Louise Lawler.

(Bild: Julian Salinas / ©Kunstmuseum Basel)

Seit 30 Jahren entstehen Werke der sogenannten Appropriationskunst. Das Museum für Gegenwartskunst zeigt einen Überblick, der die konzeptuelle Kunstrichtung gut erschliessen lässt.

Die Anfänge der Appropriationskunst gehen zurück bis in die 1970er-Jahre, und bis heute entstehen noch entsprechende Arbeiten. Das Museum für Gegenwartskunst widmet nun der Kunstrichtung eine Ausstellung unter dem Titel «Von Bildern. Strategien der Aneignung».

Hauptsächlich wird die Schau mit Werken aus der eigenen Sammlung bestritten und durch umfangreiche Leihgaben vertieft. Damit wird, so Søren Grammel, Leiter des Museums und Kurator der Ausstellung, die Grenze zwischen Sammlungs- und Wechselausstellung fliessend gestaltet. Vertreten sind 40 Werke beziehungsweise elf künstlerische Positionen aus den Anfängen der Appropriationskunst in den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart.



Sherrie Levine & John Baldessari (mitte).

Blick in die Ausstellung mit Werken von Sherrie Levine & John Baldessari (Mitte). (Bild: Julian Salinas / ©Kunstmuseum Basel)

Im Zuge der Dauerpräsenz von Bildern durch die Massenmedien wie Fernsehen, Werbung und Kino und ihre immer einfacher zu bewerkstelligende Vervielfältigung durch Fotografie, Film und Video begann in den 1970er-Jahren in New York eine junge Künstlergeneration, sich bereits bestehende Bilder der Populärkultur für ihre Werke anzueignen.

Durch den Aneignungsprozess findet eine in vielerlei Hinsicht höchst produktive Verdoppelung statt. Es werden einerseits bestimmte Charakteristika des angeeigneten Werkes hervorgehoben oder erst sichtbar gemacht. In jeder Aneignung zeigen sich andererseits ebenso der Blick, das Interesse und die Besonderheiten der Verfahrensweisen des sich aneignenden Künstlers.

Ein abgefilmtes Gemälde

Ein wunderbares Beispiel für diese Art eines kongenialen Wiedergängers ist das Werk «Bateau-Tabelau» von Marcel Broodthaers, das Grammel als Ausgangspunkt der Ausstellung gesetzt hat – als Appropriations-Arbeit der ersten Stunde. Broodthaers Werk von 1973 besteht aus 80 Farbdias, welche ein Seestück eines unbekannten Malers aus dem 19. Jahrhundert abbilden, das sich der Künstler im selben Jahr gekauft hatte. Ist das Bild auf dem ersten Dia noch in seinem wuchtigen Goldrahmen an der Wand zu sehen, liegt es im zweiten Bild bereits auf dem Seziertisch, um im dritten Dia seines Rahmens entkleidet, für die darauf folgende, intensive Begutachtung vorbereitet zu werden.

In Ausschnitten von unterschiedlicher Distanz zur Farboberfläche des Ursprungsbildes wiederholen die Diaaufnahmen den zerstückelnden, repetitiv mäandernden Sehvorgang einer genauen Bildbetrachtung des gesamten Leinwandgevierts. Das Gemälde wird uns so bis zur letzten, pastos gesetzten Weisshöhung eines Wellenkamms minutiös vor Augen geführt.

Mediale Verschiebungen

Kunstgeschichtlich fassbar wurde die Bildgenerierung aus der Aneignung bestehender Bildvorlagen in der vier Jahre später stattfindenden, kleinen aber paradigmatischen Ausstellung «Pictures», die Douglas Crimp im Herbst 1977 im New Yorker Artists Space mit fünf jungen amerikanischen Künstlern ausrichtete. Die Fotografin Sherrie Levine, die mit drei Werkzyklen prominent vertreten ist, war eine davon. Während es bei Levine in unterschiedlicher Form mittels medialer Verschiebungen um eine Rückführung beziehungsweise Einführung von Bildern und Gegenständen in den Kunstkontext geht, erzählen die Fotografien von Louise Lawler von eben den Bedingungen dieses Kunstbetriebs.

Lawler gehört zu der nach Crimps Ausstellung benannten «Pictures Generation» – wie Levine, Cindy Sherman, die mit Leihgaben von 17 ihrer berühmten Filmstills vertreten ist, Richard Prince und auch John Baldessari. 1982 hat Lawler begonnen, die Ausstellungssituation von Werken anderer Künstler zu fotografieren. 2003/04 entstand so während des Aufbaus der Art Basel am Stand der Jablonka Galerie «Absinthe», eine Aufnahme von Levines ebenfalls hier gezeigter Arbeit «L’Absinthe» von 1995.

Louise Lawlers Werk «L'Absinthe».

Louise Lawlers Werk «L’Absinthe». (Bild: ©Kunstmuseum Basel / Louise Lawler)

Zu sehen ist ein Ausschnitt von acht der zwölf Rahmen, in denen Levine eine schwarz-weisse Katalogabbildung von Edgar Degas Absinthe-Trinkerin «Dans un café» von 1876 abfotografiert und in der Grösse der Katalogabbildung gerahmt hat. Keines der Bilder ist dabei jedoch vollständig im Bild, fünf sind vom Bildrand angeschnitten und drei von rechtwinklig zueinander platzierten Kartonverpackungen für Kunstwerke verstellt. Und dennoch kommt in dieser Aufnahme durch die Ausschnitthaftigkeit die serielle Abfolge der zwölf Fotografien besonders gut zur Geltung. Lawlers Blick auf das im Ausstellen begriffene Werk ihrer Künstlerkollegin klärt mittels einer eigenständigen Bildfindung den Blick auf die abgebildete Arbeit von Degas.

Zahlreiche Bezüge

Zwischen den ausgestellten Werken lassen sich auch weitere zahlreiche Bezüge herstellen. Darin verdeutlicht sich das kreative Potenzial einer Auseinandersetzung mit Bildern mittels Bildern. So etwa in der Relation der Arbeit «Ein Bild» von Harun Farocki von 1983 mit einer der beiden jungen Positionen der Ausstellung, Michaela Meises «Etude Carpeaux» von 2008.



Louise Lawler, Harun Farocki (Film).

Arbeiten von Louise Lawler und Harun Farocki (Film). (Bild: Julian Salinas / ©Kunstmuseum Basel)

Farocki hatte Anfang der 1980er-Jahre das Shooting für ein «Playboy»-Bild filmisch dokumentiert. Über vier Tage hinweg begleitete er das Team vom Aufbau der Kulissen und der Vorbereitung des Sets über das endlose Posieren des Modells mit beständigen, minimalen Anpassungen und Korrekturen bis hin zum Abbau der Kulissen nach vollendeter Arbeit.

25 Jahre später lässt sich Michela Meise dabei filmen, wie sie minutiös versucht, die Posen von zwei Statuen des Bildhauers Jean-Baptiste Carpeaux nachzustellen. Seine populären Genredarstellungen, wie die eines neapolitanischen Fischerjungen und eines Mädchens mit Muschelgehäuse, kursierten im 19. Jahrhundert in vielen Versionen. Ständig korrigiert und überprüft Meise ihre Bein-, Arm- und Fingerstellung. Die Versuche verdeutlichen – wie bei Farocki – die Unnatürlichkeit der Posen, die nur mit Anstrengung zu halten sind. Der arbeitsintensive Gestaltungsprozess steht im Gegensatz zu der spielerisch, erotisierenden Intention des Endprodukts.

Beide Arbeiten, in Form einer Dokumentation und eines Selbstversuchs, rekurrieren wiederum auf die Entstehung von Aktdarstellungen innerhalb einer sie prägenden Populärkultur der letzten beiden Jahrhunderte. Dabei veranschaulichen sie die enge Verschränkung von Hoch- und Gegenkultur in motivgeschichtlichen Bezügen beider Arbeiten zu Aktdarstellungen seit der Antike, von der kauernden Venus um 300 v. Chr. bis hin zu Manets «Olympia» von 1865.

Die Bedingungen der Wahrnehmung

Eine weitere starke Position aus den Anfängen der künstlerischen Auseinandersetzung mit massengenerierten Bildern der 1970er-Jahre sind die sechs über die ganze Ausstellung verteilten Videos von John Baldessari. Er führt dem Betrachter mit seiner unverwechselbaren, spielerischen Leichtigkeit und technischen Nonchalance die Grundelemente der auch heute noch gültigen Bedingungen unserer Wahrnehmung von massenmedial durch die Zeitungen oder das Kino aufbereiteten Bildern vor Augen.

Mit fünf Neuankäufen im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen ist diese wichtige Position nun auch gebührend in der Sammlung vertreten. Alle gezeigten Arbeiten, meist 16-mm-Filme auf Video übertragen, entkoppeln zunächst die einzelnen Elemente der Bildwahrnehmung – wie Bild und Bildlegende im Fall von Zeitungsbildern oder Bild und Ton im Fall von Filmbildern –, um sie dann Schritt für Schritt wieder neu zusammenzusetzen. Derart seziert wird die Wirkung der einzelnen Elemente auf spielerische Weise erfahrbar, gleichzeitig verdeutlicht der Künstler damit auch eine Offenheit der Bilder, die meist erst durch die ihnen unterlegte Tonspur beziehungsweise Bildlegende inhaltlich wirklich definiert werden.

Sherrie Levine.

Eine weitere Arbeit von Sherrie Levine. (Bild: Julian Salinas / ©Kunstmuseum Basel)

Es ist richtig, dass die Fragen nach der Definition von Autorschaft, Authentizität und Neuschöpfung im Zusammenhang mit Appropriationskunst immer wieder neu verhandelt wurden und werden. Letztlich sprechen hier jedoch die Werke für sich selbst. Viel spannender als die Frage nach Originalität ist daher, dass durch die Vielfalt der Reproduktionstechniken von Fotografie, Film und Video ein künstlerischer Umgang mit den Wiedergängern der Bilder und ihrer Medialität ermöglicht wurde, der ein enormes kreatives und dabei per se immer auch selbstreflexives Potenzial zu entfesseln vermag. Dies verdeutlicht sich in der Ausstellung durch die Werkauswahl und deren ausgezeichnete Platzierung auf wunderbar produktive Weise.

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«Von Bildern. Strategien der Aneignung». 29. August 2015 bis 24. Januar 2016, Museum für Gegenwartskunst.
Begleitheft zur Ausstellung: Manual No. 4, hrsg. v. Kunstmuseum Basel, Museum für Gegenwartskunst, Basel 2015, ISBN 978-3-7204-0226-2

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