Nach 36 Jahren leistet sich Basel Sinfonietta erstmals einen Chefdirigenten: Mit Baldur Brönnimann tritt ein Spezialist für Neue Musik an, der die gealterte Jungformation im Wettbewerb der klassischen Orchester klarer positionieren soll.
Zumindest äusserlich scheinen sie bereits gut zusammen zu passen. «Waren das Zwillinge?», fragt ein Redaktionskollege, nachdem sich der neue Chefdirigent und der Co-Geschäftsführer von Basel Sinfonietta nach ihrem Besuch bei der TagesWoche wieder verabschiedet haben.
Tatsächlich haben die beiden gewisse Ähnlichkeiten, besonders, was ihre haarlosen Häupter angeht. Im Gespräch sieht man sich allerdings unterschiedlichen Charakteren gegenüber. Der Co-Geschäftsführer Thomas Wehry ist der eher ruhige und zurückhaltende Typ, was vielleicht nur deswegen so herüberkommt, weil die Worte aus dem Dirigenten Baldur Brönnimann nur so heraussprudeln.
Vielleicht spielt in diesem beherzten Aufreten auch etwas Aufregung und Nervosität mit. Denn an diesem Mittwochnachmittag wird Brönnimann erstmals mit dem Orchester, mit dem er als Chefdirigent zusammenarbeiten wird, zusammentreffen. Und das ohne Probedirigat, wie das sonst üblich ist, und lediglich vier Tage vor dem ersten Konzert, dem «Antrittskonzert», wie Basel Sinfonietta schreibt.
«Ich kenne die Musiker nicht, sie kennen mich nicht wirklich. Es ist in einem gewissen Sinne mit einem Blind Date vergleichbar.»
Es ist ein Programm, das die Begriffe Überdosis und Ekstase im Titel trägt, die zumindest das wuchtig-rotzige Orchesterwerk «Kraft» von Magnus Lindberg ganz gut umschreiben. Der zeitgenössische finnische Komponist setzte 1985 die Klangkulissen aus Berliner Clubs und Punk-Kneipen für ein grosses Orchester um. Aussergewöhnlich ist auch der Konzertort: die Halle 3 der Messe Basel, von der auch die Protagonisten des Konzerts noch nicht wirklich wissen, ob sie akustisch taugt.
«Ich kenne die Musiker nicht, sie kennen mich nicht wirklich, es ist eine aussergewöhnliche Situation», sagt Brönnimann. «Es ist in einem gewissen Sinne mit einem Blind Date vergleichbar.» Dirigieren wird er überdies ein Programm, dass nicht er, sondern die Musiker ganz im Sinne des selbstverwalteten Orchesters selber zusammengestellt haben.
Es ist aber ein Programm, das Brönnimann liegt. Mit seinen Engagements unter anderem in Portugal – er ist Chefdirigent des Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música –, England, Skandinavien, Wien und Südamerika hat er sich einen Namen als Spezialist für neue und zeitgenössische Musik geschaffen. «Ganz grundsätzlich sind viele gemeinsame Interessen da, die uns verbinden», sagt Brönnimann dazu.
Weltreisender mit Wurzeln in der Region
Für den musikalischen Globetrotter Brönnimann ist das Engagement in Basel auch eine Reise zurück zu seinen familiären Wurzeln. Der 46-jährige Musiker ist in Pratteln aufgewachsen und hat in Basel die Musikakademie besucht, bevor er ans Royal College of Music in Manchester wechselte. Heute hat er seinen Hauptwohnsitz in Madrid, seine Agentur ist in England, seine Chefdirigenten-Ämter nimmt er in Porto und eben neu in Basel wahr, wo er künftig vier der sechs jährlichen Programme von Basel Sinfonietta leiten wird.
Aus seiner Studienzeit in Basel kennt Brönnimann das selbstverwaltete Orchester mit seinen damals noch vornehmlich jungen Musikerinnen und Musikern. «Das war etwas Neues, Innovatives und Aussergewöhnliches damals», sagt Brönnimann. Aber vieles, was Basel Sinfonietta einst angestossen habe, gehöre heute auch zum Repertoire anderer Orchester. Zum Beispiel die Live-Begleitung von Stummfilmen.
Suche nach neuen innovativen Ansätzen
«Eines der wesentlichen Merkmale aber ist geblieben», meldet sich Wehry zu Wort: «die grosse Leidenschaft für die Neue Musik.» Das sei letztlich auch der Grund, der ihn dazu bewogen habe, die Berufung und Herausforderung anzunehmen, Chefdirigent eines basisdemokratisch organisierten Orchesters zu werden, sagt Brönnimann.
Das gemeinsame Anliegen der Musikerinnen und Musiker sowie des Dirigenten ist es, in einer kontinuierlichen Zusammenarbeit am Klang des Orchesters zu arbeiten, beteuern Brönnimenn und Wehry unisono. «Wir werden nach neuen innovativen Ansätzen in der Musik suchen», sagt Brönnimann. Und fügt gleich hinzu: «Ohne aber nach Innovationen um der Innovation Willen zu streben.»
Strukturelle Herausforderung
Neben den musikalischen Herausforderungen kommt auch eine strukturelle auf Basel Sinfonietta zu. Gemäss den Vorgaben des neuen Fördermodells für die Basler Orchester wird in Zukunft nur noch das Sinfonieorchester Basel längerfristige Subventionen erhalten. Die weiteren Orchester werden sich um Programmförderbeiträge mit einer Laufzeit von drei Jahren bewerben müssen – und das immer wieder von neuem.
Das heisst, dass sich auch Basel Sinfonietta regelmässig dem Vergleich der Orchester wird stellen müssen. Bislang erhielt es regelmässige Beiträge vom Kanton Basel-Stadt und aus der Kulturvertragspauschale. Um nun im verstärkten Wettbewerb bestehen zu können, ist ein klares Profil nötig.
Einen direkten Zusammenhang der Wahl eines Chefdirigenten mit dem neuen Fördermodell stellt Wehry aber in Abrede. «Das neue Modell wurde etwa vor einem Jahr vorgestellt, die Idee, künftig kontinuierlich mit einem Chefdirigenten zusammenarbeiten zu wollen, ist älter», sagt er.
Die Feuerprobe
Sein Amt als Chefdirigent wird Brönnimann in der kommenden Saison 2016/17 antreten. Die Feuerprobe der Zusammenarbeit wartet aber bereits am Sonntag, 24. Januar. Mit einem Programm, das den Charakter von Basel Sinfonietta als innovativen Klangkörper durchaus zu unterstreichen vermag.
Angesagt sind unter dem Titel «Epicycle 3 – Kraft» Werke der drei zeitgenössischen Komponisten Magnus Lindberg, Michael Torke und Thomas Adès, die Inspirationen aus dem Jazz, dem Techno und der Clubmusik aufnehmen. Zu erleben sein wird auch die Music Animation Machine des Musikers und Softwareentwicklers Stephen Malinowski, welche die Musik visualisiert.
_
Basel Sinfonietta: «Epicycle 3 – Kraft». Sonntag, 24. Januar, 19 Uhr, Messe Basel, Halle 3