Das Summen verstummt

In seinem neuen Film streicht uns Markus Imhoof keinen Honig um den Mund: Er geht der beklemmenden Frage nach, warum die Bienen sterben.

Sie lacht, dabei ist es zum Weinen: In China sind die Bienen mancherorts ausgestorben, weshalb die Bäume dort von Menschenhand bestäubt werden müssen. (Bild: zVg)

In seinem neuen Film streicht uns Markus Imhoof keinen Honig um den Mund: Er geht der beklemmenden Frage nach, warum die Bienen sterben.

Es war ruhig geworden um Markus Imhoof. Lange her, seit der Zürcher Filmemacher für «Das Boot ist voll» (1981) mit Preisen und einer Oscar-Nominierung bedacht wurde. 1996 führte er letztmals Regie bei einem Film («Les Raisons du Cœur»), danach konzentrierte er sich auf das Schreiben von Drehbüchern und inszenierte Opern sowie Theaterstücke.

Er hatte auch Filmprojekte auf dem Tisch, doch scheiterte eines an der Finanzierung, ein anderes an der Überzeugung. Ein drittes realisierte er schliesslich – weil es ihm am Herzen lag, weil es uns alle betrifft und sich demzufolge genügend Geldgeber finden liessen: ein Dokumentarfilm über die Bienen. Was niedlich klingt, ist voller Dramatik. Denn in «More than Honey» streicht uns Imhoof nicht Honig um den Mund, sondern geht der drängenden Frage nach, warum die Bienen sterben, hüben wie drüben. Zwar haben die Medien in den letzten Jahren darüber vereinzelt berichtet, die öffentliche Debatte hält sich aber in Grenzen – obschon Albert Einstein einst zum Schluss kam: «Sterben die Bienen aus, trifft es vier Jahre später auch die Menschen.»

Finstere Aussichten in China

«Würde ein Viertel der Kühe sterben, dann wäre die Hölle los», sagt Imhoof. «Den Bienen aber fehlt es an einer vergleichbaren Lobby.» Dabei sind die Bestäuber die wichtig­sten Nutztiere nach Rind und Schwein: Ein Drittel unserer Ernährung hängt von ihnen ab. In manchen Regionen Chinas sind die Bienen bereits ausgestorben. In beklemmenden Aufnahmen zeigt Imhoof, wie Bäume von Menschenhand bestäubt werden müssen. Finstere Aussichten.

Imhoofs Interesse am rätselhaften Massentod der Bienenvölker hat familiäre Gründe, wie er im Film offenlegt: Sein Grossvater war Imker, führte eine Konservenfabrik, der Enkel wuchs mit den stacheligen Flugtieren auf. Und flog nun für «More than Honey» um die ganze Welt, auf der Suche nach Antworten, warum die Bienen sterben. So begleitet Imhoof in den USA John Miller, der Bestäubungen im grossen Stil anbietet und mit seinen 15 000 Bienenvölkern von einer pestizidverseuchten Plantage zur nächsten reist. Trotz Einsatz von Anti­biotika: Die Verluste sind gross.
Ebenso bei Fred Jaggi, einem Schweizer Bergbauer. Seine Völker verenden durch Milben und an Inzuchtschwäche. Die Ratlosigkeit ist ihm ins Gesicht geschrieben.

Hoffnung gibt es: Zwei Österreicherinnen züchten gesunde Königinnen und verschicken diese per Post in die ganze Welt. Den Rückgang aufhalten können sie aber nicht.

Eine mögliche Lösung spürt Imhoof im amerikanischen Arizona auf: Fred Terry hat sich mit den sogenannten Killerbienen angefreundet, die einst aus einem brasilianischen Labor entwichen. «Sie sind zwar aus Sicht des Menschen aggressiver, aber gegenüber Parasiten resistenter», stellt Imhoof fest. Die Forschung hat alle Hände voll zu tun. Das führt er uns am Ende seines mit faszinierenden Bildern und spektakulären Makro­aufnahmen ausgestatteten Films vor Augen: Seine Tochter erforscht mit ihrem Mann das Immunsystem der Bienen. Im fernen Australien testen sie eine neue Kreuzung und bringen diese auf eine einsame Insel – in der Hoffnung, dass diese Bienen dort geschützt sind vor Parasiten und Pestiziden. Eine Art Arche Noah, falls auf dem Festland das letzte Summen verstummt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.10.12

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