Das Tier ist von der Leine

Navel waren 2008 das grosse Rockversprechen der Schweiz, danach folgten Jahre der Umbrüche. Mit dem dritten Album «Loverboy» will die Band um Jari Antti nun die Ernte einfahren – mit einem neuen Sound, der nach den Wurzeln des Rock gräbt.

Alles neu: Navel um ihren Frontmann Jari Antti (2.v.l.). (Bild: zVg)

Navel waren vor fünf Jahren das grosse Rockversprechen der Schweiz, danach folgten Phasen der Umbrüche. Mit dem dritten Album «Loverboy» will die Band um Jari Antti nun die Ernte einfahren – mit einem neuen Sound, der nach den Wurzeln des Rock gräbt.

Ein paar Dinge haben sich geändert bei den früheren Welteroberern aus Erschwil, Laufental, zum Beispiel der Name des Gangleaders. Jari Altermatt nennt sich jetzt Jari Antti. Die zweite Erklärung dafür heisst: Mädchenname der Mutter, aber die erste gefällt besser. In dem Namen klingt etwas aus den Frühjahren dieser Band nach, das Ungestüme, das Exzessive, die Anti-Haltung. Mit einem zusätzlichen t, um den Akzent noch zu verstärken. Denn als Jari Antti und seine Band Navel 2008 erstmals mit einem Album aus dem Laufental herausbellten, «Frozen Souls» mit Namen und mit viel rohem Postgrunge bestückt, war ihr Weg bereits geebnet.

Navel war die Schweizer Band mit den ganz grossen Vorschusslorbeeren; Supporttour mit Queens Of The Stone Age, grosse Festivalauftritte, 150 Konzerte im In- und Ausland, viel Mediengeheul, von ihrer damaligen Plattenfirma Louisville Records aus Berlin noch mit zusätzlichen Geschichten befeuert, erfundenen wie wahren. «Ich war damals enttäuscht, wenn zwei Wochen lang keine Schlagzeile in <20 Minuten> zu lesen war», sagt Jari Antti heute. Die Höhen, in die Navel sich emporgeschrien hatten, konnten Schwindel erregen, und auch hier folgte danach ein Fall. Zweifach gar.

Zuerst ging die Plattenfirma in Berlin konkurs, die Navel gewollt grossmäulig in die deutsche Rockpresse hineinschrieb und am Versuch, mit grossem finanziellen Aufwand Promotion und Publicity zu erhöhen und die Band an ein global operierendes Rocklabel aus den USA abzutreten, scheiterte. Und Jari Anttis Fall war ein ganz wortwörtlicher: Während eines Konzertes in Leipzig machte er «für das Publikum den Affen», und fiel nach einem Handstand auf der Gitarre schliesslich auf eine Glasflasche. Innere Verletzung, Notoperation, knapp am Ende der grossen Träume vorbeigeschrammt.

Düsternis

Zeuge dieser Einkehr war ihr zweites Album «NeoNoir», ein düsterer, schwerer Brocken, mit seinen massiven Gitarrenwänden ästhetisch vom britischen Postpunk und Shoegaze-Rock inspiriert, aber gewachsen aus dem ewig fruchtbaren Humus des dunklen Blues. «NeoNoir» offenbarte im Songwriting eine massive Steigerung zum Debut, aber der erhoffte Durchbruch blieb aus. «Das Album erschien in einer Umbruchphase», erinnert sich Antti, das Booking lief schleppend, sein Selbstvertrauen war angeknackst. Und am Ende der Tour liefen ihm die Musiker davon. Antti stand vor einem weiteren Neuanfang. Navel, die grossen Abräumer aus dem engen Tal, verstummten.

Und dann, nicht einmal zwei Jahre später, steht da eine neue Band mit einer neuen Platte. Navel sind nun zu viert, die Musik sollte variabler werden, sagt Antti. Man hört das: Trotz einer zweiten Gitarre klingt «Loverboy» transparenter, heller, hingerotzer als der Vorgänger. Geblieben ist die Freude am Lärm, an der giftig verzerrten Gitarre, dem hobelnden Bass, dem Telefonhörer-Effekt auf der Stimme. Aber diesmal reicht der Referenzarm weiter zurück als in die Neunziger und gräbt nach den Wurzeln. Hatte «NeoNoir» noch um den «Blues On My Side» gebeten, um ihn danach dennoch unter massiven Lärmschichten zu begraben, liegt nun alles offenbar. Die schwungvollen Sixties-Gitarren auf «The Sun For Me». Der schnoddrige, slide-verzierte Rootsrock in «Barrels Of Love». Der entfesselte Boogie-Punk in «Love Her». Und hört man die matte Orgel über den knochigen Zwölftakter «Loverboy» tröpfeln, der in ein heulendes Gitarrensolo entschwindet, raunen die späten Doors ihre Grüsse aus der Gruft. «Ich wollte einen Sound, der wie eine alte Liveaufnahme klingt», sagt Antti. «Wie die grossen Platten aus den Siebzigern.»

Befreiungsschlag

Soviel ist ihm, der vom Songwriting bis zum Endmastering die komplette Produktion in den eigenen Händen behielt, fraglos gelungen. Und noch mehr: Das Songwriting schreckt, ein Novum bei Navel, vor zielsicher kurvenden Refrainmelodien nicht zurück, und Anttis Stimme hat vor allem in den tieferen Lagen deutlich an Kontur gewonnen. Ob «Loverboy» nun der Befreiungsschlag ist, mit dem die lange verheissene Ernte eingefahren wird, bleibt dennoch abzuwarten. Die Orientierung am Country ist mit der trauertrunkenen Ballade «I Bury My Luck In This Town» und dem galoppierenden «The Sweetest Song» soundästhetisch gar prominent herausgekehrt, und der lottrige Garagenklang hat nach zehn Jahren Retromanie bereits gegen eine zweite Patinaschicht anzurocken.

Aber Herrgott, dann lassen Navel zum Ende ein psychedelisches Monster von der Leine, elf Minuten lang und apokalyptisch-ironisch «Shine On» genannt, in dem das ganze Spektrum dieser talentüberfluteten Truppe nochmals ausgemessen wird. Bedrohlich wackeln die Wände, besessen schreit der Gesang empor, am Ende rasseln die Ketten. Ergreifend klingen sie aus, die ersten zehn Jahre Navel.

Was wird folgen, Jari Antti? «Ich mache keine Prognosen», antwortet er mit Blick auf die bewegte Bandgeschichte. Eine Tour durch mittelgrosse Hallen, 500 Leute, würde ihn freuen. Ein neuer, vielleicht längerer Versuch in den USA. Und Hoffnung auf Anerkennung. «In dieser Musik steckt meine ganze Leidenschaft», sagt er. «Und ich fände es schön, jahrelang alles selbst zu machen, und dann kommen die Leute, klopfen ehrlich auf die Schulter und sagen, sie mögen das. Ich lebe dafür.»

Navel: «Loverboy», Noisolution/Irascible. Plattentaufe: Kaserne Basel.
Samstag, 26. Januar, 21 Uhr.

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