David Bowie war eines der letzten Gesamtkunstwerke der goldenen Ära der Popmusik. Ungreifbar. Unberechenbar. Unfassbar gut. Kurz nach seinem 69. Geburtstag ist er in New York gestorben. Er litt seit 18 Monaten an Krebs, wie seine Familie mitteilt.
Auch am Ende hat er uns alle überrascht, David Bowie. Während die Öffentlichkeit über sein wunderbar gewagtes, neues Album ★ («Blackstar») sprach, rang er offenbar mit dem Tod. So wie Freddie Mercury im November 1991, so gelang es dessen Freund David Bowie 25 Jahre später ein letztes Meisterwerk zu veröffentlichen und dabei der Welt zu verheimlichen, wie unheilbar krank er war.
Bowie litt seit 18 Monaten an Krebs, wie seine Familie posthum in einer Nachricht erklärt hat.
January 10 2016 – David Bowie died peacefully today surrounded by his family after a courageous 18 month battle… https://t.co/ENRSiT43Zy
— David Bowie Official (@DavidBowieReal) 11. Januar 2016
Sein letzter öffentlicher Auftritt ist noch nicht lange her: Im Dezember erschien er mit Gattin Iman zur Premiere von «Lazarus». An diesem New Yorker Musiktheater über verlorene Hoffnung hatte er mitgeschrieben.
Verloren war Bowie offenbar zuletzt selber. Zurückgezogen lebte er schon seit 2004, nachdem er hinter der Bühne des deutschen Hurricane Festivals einen Herzinfarkt erlitten hatte. Fortan führte er ein unauffälliges, stilles Leben abseits des Rampenlichts. Die Schlagzeilen über sich liess er jahrelang andere machen. Lady Gaga etwa, die nicht müde wurde, ihn als eines ihrer Vorbilder in Sachen Verwandlungskunst zu nennen.
Von «Space Oddity» bis «Helden»: ein Streifzug durch Bowies Werk.
7 magische Bowie-Momente
Eine persönlich gefärbte Hommage
Wenn sich Bowie zurückmeldete, dann meist unerwartet, überraschend. Sein letztes Album etwa kündigte er aus dem Nichts an, mit einem verstörenden Videoclip und einem vielschichtigen Song.
Live aufgetreten ist der Sänger und Songwriter aber nicht mehr. Obschon sich alle um ihn gerissen hätten. In der US-amerikanischen «Late Show With Stephen Colbert» war kurz vor Weihnachten immerhin ein neuer Bowie-Song zu hören: «Lazarus», mit der denkwürdigen ersten Zeile «Look up here, I’m in heaven». Den Gesang übernahm bei diesem Auftritt Schauspieler Michael C. Hall, bekannt aus den mittlerweile begrabenen TV-Serien «Six Feet Under» und «Dexter».
Schöner konnte uns Bowie gar nicht vor Augen führen, wie überraschend er bis zum Ende geblieben ist. Vielleicht der letzte Popstar mit sagenumwobener Grandezza, der den eigenen Mythos zu pflegen wusste.
Nun könnte man in dieser Rubrik, die Kultwerk heisst, eines seiner Alben würdigen. Das mit Pop-Perlen wie «Life On Mars» gespickte «Hunky Dory» aus dem Jahr 1971 etwa. Das ambiente Meisterwerk «Low», das 1977 den Auftakt für die sagenhafte Berliner-Trilogie bildete. Oder das ausserirdische Glamrock-Konzept, mit dem «Ziggy Stardust» aus dem Traumschiff Pop stieg (ach, das hatten wir ja schon!). Aber, keine Frage: Bowie schaffte es, sich selber zum Kultwerk zu erheben. Das ist eine Kunst, die nur den wenigsten Popmusikern gelingt.
Denn die Musik der Jugend, sie ist längst von ihrer mystischen Faszination befreit worden. Vielleicht liegt es an unserem Alter. Vielleicht an der Repetition der Trends und ihrer kurzen Halbwertszeit. Vielleicht liegt es auch an der ständigen Verfügbarkeit: von Informationen bis Definitionen, alles ist greifbar, Pop längst auf überhitzte Server abgeschoben worden.
Da gammelt das einstige Faszinosum rum, da liegen sie jetzt, in einem Serverraum, die Hintern der Kardashians, die Kinder von Robbie Williams, die Egos von Kanye West. Von den Casting Stars ganz zu schweigen.
Die enigmatische Aura grosser Popstars
Wo bleibt bei all der Retorte noch die Torte, aus der einer rausspringt und uns richtig überrascht? Wo bleibt die Aufregung, das Rätselhafte wie beim ersten Kindergeburtstag? Müssen es wirklich die Alten richten? Aber die sind doch auch fast alle tot, selbst Lemmy von Motörhead! Und wer noch nicht gestorben ist, untergräbt den eigenen Mythos mit endlosen Tourneen, Best-of-Shows oder Weihnachtsalben (ja, sogar der grosse Bob Dylan ist 2009 schwach geworden). Umso stärker wird man Bowie vermissen, jenen Popstar mit enigmatischer Aura, der bis zuletzt unfassbar blieb.
Bowie kreierte sich selber als Kultwerk, das sich immer wieder verändert: «Ch-ch-ch-ch-changes».
Der Brite hat mit so vielen Musikstilen, Haarfarben, Alter Egos und Drogen experimentiert, dass er sich selber in den grössten eskapistischsten Momenten vermutlich wie sein «Major Tom» am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Und sich je nach Tagesform und Rauschmittel ebenso verloren vorkam.
Ob als Ziggy Stardust oder Thin White Duke, ob als Nikolas Tesla (im Film «Prestige») oder Andy Warhol (im Film «Basquiat»): Der Mann, den man der Einfachheit als Musiker bezeichnete, überraschte immer wieder mit seiner theatralischen Kunst. Das Faible für Rollenspiele kam dabei nicht von ungefähr: Ehe er sich Bowie nannte, nahm David Robert Jones im Alter von 20 Jahren Pantomimenunterricht bei Lindsay Kemp. So interessierte er sich 1967 fürs japanische Theater wie auch für die Undergroundszene der Transvestiten. Dieser junge Mann sog alles in sich auf. Und kreierte sich selber als Kultwerk, das sich seither immer wieder verändert hat. «Ch-ch-ch-ch-changes»!
Wenn der kommerzielle Erfolg ihn vereinnahmte, setzte ihn das aber mitunter auch unter einen Druck, mit dem er nicht umgehen konnte. «Immer wenn ich etwas tat, weil ich dachte, dass man es von mir erwarten würde, war dies rückblickend ein Fehler», stellte er selber mal fest.
Ein Chamäleon verändert sich, um seinen Hintergrund nachzuahmen. Bowie aber zwang den Hintergrund, sich nach ihm zu richten.
Tatsächlich hat David Bowie ein paar Mal seinen exquisiten Ruf riskiert: Mit schlechten Songs. (Werfen Sie ruhig Ihr verstaubtes Exemplar von «Never Let Me Down» in den Müll, kein Flohmi-Grümscheler gibt Ihnen dafür noch einen Fränkler. Und das zurecht). Mit schlechten Looks (Yuppie ay, hey?!). Und auch mit schlechten Filmen (B.U.S.T.E.D) wollte er vielleicht über die schlechte Zahnstellung hinwegtäuschen. Aber hallo, für die schiefen Zähne liebten wir ihn doch auch!
Und erst für die unterschiedlichen Augenfarben! Zum Glück erinnerte er sich seiner Stärken und folgte in den 90ern, nach schwierigen, verko(r)ksten Jahren, wieder der Experimentierlust und strahlte als Konzeptkünstler: «1. Outside» oder «Earthling» (hallo Spaceboy, hallo Techno!) zeigten, dass Bowie bei den Leuten war.
Und während ihn unglücklich argumentierende Journalisten wiederholt als «Chamäleon» bezeichneten (Ist das wirklich euer bester Vergleich, Kollegen?), zupfte man freudig erregt seine bunte Strähne und realisierte, dass Bowies Wandlungsfähigkeit nicht mit diesem Tier verglichen werden durfte. Denn es wurde ihm nicht gerecht.
Ein Chamäleon verändert sich, um seinen Hintergrund nachzuahmen. Bowie aber streifte sich nicht einfach eine Farbe über, er zwang den Hintergrund, sich nach ihm zu richten. Der britische Musikbiograf Paul Trynka hat diese eleganten Gedanken geäussert (und ich danke ihm dafür): «His great achievement is not to market himself with a persona, it’s to create a persona with which to make art.»
Sein 25. Studioalbum nannte er schlicht ★
Am 8. Januar, seinem 69 Geburtstag, brachte er sein 25. Album heraus: ★. Sein spannendstes seit Jahren, hat er doch Jazzmusiker aus der experimentellen New Yorker Musikszene angeheuert und diese Rock spielen lassen. Damit wollte er vermeiden, dass er sich musikalisch wiederholen oder in ein Korsett zwingen würde. Stark.
Trotz Presserummel blieb er selber nobel im Hintergrund, womöglich aufgrund seiner Krankheit, womöglich aber auch, weil er wusste, dass sein Mythos längst für ihn weiterarbeitetete, während er in Manhattan den Wasserkocher aufsetzte oder seine Tochter zur Schule brachte.
Seine vielen verschiedenen Gesichter, sie sind längst zu Selbstläufern geworden. Als 2004 die «DU»-Ausgabe 741 erschien, ein «Bowie-Sonderheft», da konnte man zwischen 22 verschiedenen Titelbildern wählen. 22 Heftcover! Und das zu einer Zeit, als eine DU-Ausgabe nicht von Christoph Blocher, sondern ausschliesslich von den Lesern gekauft wurde. Wahnsinn!
Diesen Wahnsinn hat David Bowie immer wieder gestreift und in Musik verwandelt. Den Albumtitel «Aladdin Sane» könnte man so verstehen: A lad insane. Aber während andere Rockmusiker wie Syd Barrett wirklich dem Wahnsinn verfielen, schien Bowie immer ziemlich genau zu wissen, was er tat. Ein Homo universalis der Popkultur, ein Kunstmaler, Musiker, Schauspieler, Hausmann, ein, ja, Gesamtkunstwerk. Der Starman, er wird auf dieser Welt eine riesige Lücke hinterlassen.