Das Museum für Gegenwartskunst stellt in einer Ausstellung Werke der beiden Künstler Douglas Gordon und Andy Warhol einander gegenüber. Gemeinsames Thema der ausgewählten Werke: Die Vergänglichkeit.
Eine Schale mit Obst, die Äpfel bereits verschrumpelt, dazwischen welke Blätter. Nach und nach entschweben die Früchte dem Gefäss, verschwinden nach oben ins Nichts. «After Caravaggio» heisst dieses kleine, feine Videowerk von Paul Chan, das man sich im zweiten Obergeschoss des Museums für Gegenwartskunst (MGK) anschauen kann. Zu Lebzeiten Caravaggios, auf den sich Chan bezieht, Anfang des 17. Jahrhunderts, war die Obstschale ein beliebtes Motiv – einerseits schlicht als Stillleben, andererseits als ein Symbol für die Vergänglichkeit: Früchte bedeuten Fruchtbarkeit, und beide sind nicht von Dauer.
Seit der Renaissance setzen bildende Künstler auf Vanitas-Symbole, eingedenk der eigenen Sterblichkeit, und um diese auch dem Betrachter vor Augen zu halten. «Memento Mori» – Bedenke, dass du sterben wirst – nennt man deshalb die Darstellungen auch. Noch heute bedient sich die Kunst dieses Stilmittels. Das MGK hat sich in der hauseigenen Sammlung umgesehen und sich Werke von zwei Gegenwartskünstlern ausgewählt, die man ebenfalls in diese Kategorie zählen darf – wenn sie in ihren Ausprägungen auch nicht so plakativ sind, wie manch ein Renaissancekünstler das war.
Titelgebend für diese Sammlungsausstellung ist ein Werk von Douglas Gordon: «every time you think of me, I die, a little» steht über eine Raumecke geschrieben. Ein Satz, ein Werk. Dieser Satz im Speziellen war der Beginn einer Werkserie namens «Letter Unsent», die nichts weiter waren als eben das: Unverschickte Briefe. Über zehn Jahre hinweg hatte Douglas Gordon seit den Neunziger Jahren immer wieder Briefe verschickt, die nichts anderes beinhalteten als ein abgewandeltes Zitat aus Literatur oder Musikstücken. 2003 hörte er damit auf – nicht aber damit, Zitate abzuwandeln. Das Originalzitat des Werks hier lautet bekanntermassen: «Every time we say Goodbye, I die a little».
Leben und Ableben
Sind es die Minuten, die wir zu verpassen meinen, wenn wir nicht bei dem Geliebten sind, die uns die Vergänglichkeit vor Augen halten? Direkt neben Douglas Gordons Satz hat Kuratorin Nikola Dietrich ein Werk von Andy Warhol platziert, welches uns das pralle Leben, die Sehnsucht auch, verdeutlicht: 55 Minuten lang küssen sich zwölf Paare in «Kiss» intensiv, eng umschlungen, vermeintlich endlos.
Doch es braucht nicht mehr als eine halbe Umdrehung, und derselbe Künstler konfrontiert uns mit dem Tod. Ab den Sechziger Jahren beschäftigte sich Warhol ausgiebig mit dem Tod – in «Black and White Disaster #4» kommt dieser schockartig: Bei einem Unfall überschlägt sich ein Auto und begräbt die Insassen unter sich. Sie sind alle sofort tot. 17 Mal bildet Warhol das Foto mit den fünf Toten ab, unmittelbar und unbarmherzig.
Der Fluss der Zeit
So direkt sind die anderen hier unter dem Motto «Memento Mori» versammelten Arbeiten nicht. Gordons zentrale Installation «24 Hour Psycho Back and Forth and To and Fro» hat stärker die verfliessende Zeit zum Thema: Auf zwei Leinwänden läuft Alfred Hitchcocks Film «Psycho» – auf eine Länge von 24 Stunden verlangsamt, einmal von Anfang bis Ende, daneben vom Ende zum Anfang. Diese parallele Projektion hat zur Folge, dass das Opfer im Film, Marion Crane, gleichzeitig umgebracht wird, wie sie auf der Nebenleinwand äusserst lebendig herumspaziert. Gleichzeitig wird durch die extreme Entschleunigung der Handlung sowie das Fehlen jeglicher Akustik eine Unmittelbarkeit des einzelnen Bildes erzeugt, die auf unsere Wahrnehmung drastische Auswirkungen hat: Es scheint, als erhielte die Gegenwart plötzlich mehr Gewicht.
Zuguterletzt findet man ganz hinten in der Ecke, fast versteckt, eine kleinere Drei-Kanal-Arbeit Gordons: In «Looking down with his black, black, ‚ee» hüpfen drei Raben auf steinernen Stufen einer Kirche umher und kreischen, dass man es durch die ganze Ausstellung hört. Durch «Psycho» bereits an Hitchcock erinnert, kann man nicht anders, als hier an «Die Vögel» denken. Gordon aber dachte an etwas anderes, an das, was die Raben im Mittelalter symbolisierten: Der schwarze Vogel war nichts anderes als ein Zeichen des Bösen, der Bote des Todes gar.
Durch die dunklen Räume sind wir bis in diese Ecke gewandert, und der Weg führt durch dieselbe Dunkelheit zurück. Wer beim Durchschreiten des Licht ausschliessenden Vorhangs den Wunsch verspürt, sich noch weitere Facetten der Vergänglichkeit zu Gemüte zu führen, dem sei der Gang in die anschliessende Kabinettausstellung mit weiteren zum Thema «Memento Mori» passenden Werken aus der Sammlung empfohlen. Dort findet sich auch das eingangs erwähnte Werk von Paul Chan. Der Kreislauf schliesst sich – und beginnt von Neuem.
Am 5. Oktober ab 11 Uhr wird Douglas Gordons «24 Hour Psycho Back and Forth and To and Fro» in einem 24-Stunden-Screening in ganzer Länge gezeigt.