Der Albtraum des dicken Mannes

Living Art für heimtückische Gemüter: Die belgische Künstlerin Miet Warlop verwandelt mit ihrer Truppe die Bühne im Theater Roxy im Rahmen des Theaterfestivals Basel in ein kunterbunt-chaotisches Schlachtfeld.

Als hätten sich Jackson Pollock und Roman Signer zur Kinderparty zusammengeschlossen. (Bild: Reinout Hiel)

Living Art für heimtückische Gemüter: Die belgische Künstlerin Miet Warlop verwandelt mit ihrer Truppe die Bühne im Theater Roxy im Rahmen des Theaterfestivals Basel in ein kunterbunt-chaotisches Schlachtfeld.

Welch ein Desaster! Nach knapp einer Stunde liegt alles kreuz und quer, drunter und drüber am Boden. Oder steckt in der Wand, wie der unglückliche dicke Mann, über dem und um den herum soeben die Welt zusammengebrochen ist. Oder hängt verloren in der Luft, wie der Haifisch, der zuvor seine fliegenden Runden gedreht hat. Nur ein Chor von Trockenhauben-Figuren, der zum wortlosen Abgesang anstimmt, bleibt ungerührt.

Man kann es vielleicht auch etwas anders sehen: Eine knappe Stunde lang hat man der Entstehung eines selbstzerstörerischen Living-Art-Werks zugeschaut. Und jetzt sieht man sich einer kunterbunten dreidimensionalen Action-Painting-Installation gegenüber. Es ist, als hätten sich Jackson Pollock und Roman Signer unter der Regie von Christoph Schlingensief zur Bühnenadaption der Cartoonserie «Happy Tree Friends» zusammengetan.

Von der bildenden Kunst auf die Bühne

Am Schluss bleibt eine eigentlich ganz ansprechende Kunstinstallation übrig. Aber es gilt die Devise, dass der Weg das Ziel ist. Das Kunstwerk, die zahlreichen im Boden steckenden Dart-Pfeile, die Farbüberschwemmung und Stoff-Fussel am Boden, die in der Wand steckenden Riesenmopp-Perücken und vieles mehr wird, noch während der Schlussapplaus anhält, weggewischt und weggeräumt.

«Die Aufräumarbeiten nach der Performance nehmen einiges mehr an Zeit in Anspruch als die Performance selbst», sagt Miet Warlop. Warlop ist die Impresaria des Werks, das den Namen «Mystery Magnet» trägt. Ihre Ursprünge hat die 36-jährige Belgierin in der bildenden Kunst. Der Zufall beziehungsweise ein Theaterpreis für ihre Living-Art-Abschlussarbeit an der Kunstakademie in Gent brachte sie dazu, auf und für die Bühne zu arbeiten. Ohne aber den Bezug zu ihrem ursprünglich erlernten Metier aufzugeben.



Miet Warlop: «Die Aufräumarbeiten nach der Vorstellung dauern länger als die Vorstellung selber.»

Miet Warlop: «Die Aufräumarbeiten nach der Vorstellung dauern länger als die Vorstellung selber.» (Bild: Dominique Spirgi)

Eine eigentliche Botschaft habe sie nicht, sagt Warlop am Publikumsgespräch. «Es sind mehrere Botschaften.» Welche es sind, das überlässt sie doch gerne dem Publikum, das sich in den «60 Minuten, ohne Pause (ohne Sprache)», wie es auf dem Programmzettel des Theaterfestivals Basel heisst, köstlich amüsiert hat.

Wer will, kann also einen inhaltlichen Rahmen konstruieren. Etwa den Albtraum eines dicken Mannes, der anfänglich bäuchlings auf dem Bühnenboden liegt und dessen Herzschlag man über Lautsprecher vernimmt. Das Publikum, so kann man es verstehen, wird nun Zeuge eines Albtraums, der daraufhin hinausläuft, dass alles Wüste über diesen Mann hereinbricht, bis er bei seinem Fluchtversuch in der Wand steckenbleibt.

Gelbes Blut, rote Pisse

Bis dahin geraten er und der Raum um ihn herum unter chaotisches Dauerfeuer. Aus den Bäuchen von ausgesprochen haarigen, aber gesichtslosen Wesen quillt gelbes Blut. Aus lebendigen Hosen ohne Oberkörper spritzt roter und grüner Urin an die Hinterwand und aufs weisse Hemd des geplagten Dicken. Ein Mini-Truck hinterlässt auf seiner Fahrt eine weisse Spur, bis er unter knallenden Geräuschen und bunten Rauchwolken seinen Geist aufgibt und den Fahrer abwirft. Aus dickbäuchigen Flaschen schiessen bunte Breifontänen in den Bühnenhimmel. Und zwischendurch fällt ein Dartpfeil-Regen auf die Bühne.

Diese Beschreibung umfasst längst nicht alles, was während dieser knappen Stunde zu erleben ist: hinterlistige Gemeinheiten, wüste Missgeschicke, alles in allem ein liebevolles und detailverliebtes Gemetzel, das ohne Hast daherkommt. Wie wenn man eine riesige Explosion in Superzeitlupe erleben würde.

Miet Warlop & CAMPO „Mystery Magnet“ from Theaterfestival Basel on Vimeo.


Theaterfestival Basel. «Mystery Magnet» von Miet Warlop & Campo im Theater Roxy Birsfelden. Zweite Vorstellung heute Freitag, 29. August, 19.00 Uhr

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