Vor hundert Jahren starb der schwedische Autor August Strindberg. Konsequent waren die Entscheidungen, die er im privaten Leben traf, eng sein Bezug zur Schweiz.
Am 15. August 1887 telegrafierte August Strindberg aus Basel nach Stockholm. Danach verliess er hastig die Schweiz. Sein Zug fuhr vom Areal der heutigen Mustermesse los – dort lag der damalige «Badische Bahnhof» mit einer Verbindungslinie zum «Bundesbahnhof». Was hat der schwedische Dramatiker damals Dringliches an die Redaktion des «Dagens Nyheter» depeschiert?
Bei seiner Einreise 1884 in die Schweiz stürzten der Familienvater und seine Frau Siri noch mit ihren Kindern «jubelnd von einem Zugfenster zum anderen, um keinen Eindruck, keinen Berg im Jura zu verpassen». Strindberg, der als Chronist, als Dramatiker, als Romancier und Essayist in Schweden bereits kleine Erfolge gefeiert hatte – zog mit vagen Hoffnungen in die republikanische Schweiz: Seiner Frau wünschte er in Genf einen fulminanten Karrierestart als Schauspielerin am dortigen Theater. Er träumte von einer Laufbahn als europäischer Autor, ohne Nachstellungen der monarchistischen Zensur im Norden, und er entwarf für sich und sie eine moderne Ehe.
Durchbruch auf den Bühnen Europas
Tatsächlich fand er seine Rollen in der Schweiz: als Reporter verfasste er «Unter französischen Bauern», als Dramatiker «Marodöre», als Romancier die Novellenbände «Heiraten 2» und «Schweizer Novellen» und als Debatteur «Gleich und Ungleich« im politischen Diskurs der antimonarchistischen Linken. Aber der Durchbruch auf den Bühnen Europas gelang ihm erst mit dem Drama «Der Vater», in Gersau entworfen, in Lindau beendet.
Von den Träumen grosser Rollen seiner Frau Siri blieb nach vier Jahren nur eine Rolle übrig, die der Mutter ihrer Kinder. Ihr Gatte, der sich in der Öffentlichkeit noch für die Befreiung der Frau stark gemacht hatte, verhedderte sich zusehends in Grabenkämpfe mit Frauenrechtlerinnen, verteidigte aus der Schweiz sein «Letztes Wort zur Frauenfrage» vor Gericht in Stockholm, und traf mit seiner Gattin eine Abmachung, die tief blicken lässt: «Seit meine Frau und ich übereingekommen sind, dass sie meine Schriften nicht mehr liest, leben wir wie die Turteltauben», schrieb er nach Schweden.
Lob auf die Schweiz
«Wir wohnen in Arkadien!», lobte er die Schweiz. «Nur das viele Essen macht alles wieder kaputt! Hier sind 30 Gäste und man spricht vier Sprachen … Für vier Franken Vollpension und ein Zimmer mit Aussicht, wo du dem Himmel direkt in die Klitoris schauen kannst.»
Drei Jahre später, um einige Erfahrungen als politischer Aktivist reicher, verliess August Strindberg die Schweiz – um eine Familie ärmer. Was stand im Telegramm, das er bei der Ausreise in Basel wutentbrannt nach Stockholm vorausschickte? «Dass er das Gesuch um die Scheidung» eingereicht habe, unter der Voraussetzung, «dass das Erziehungsrecht an den Kindern der Mutter überschrieben werde!». Das Scheidungsbegehren traf eine Stunde später beim Konsistorium in Stockholm ein, das dafür gar nicht zuständig war. Zwei Tage später tauchte Strindberg in Stockholm auf – allein. Siri, seine Gattin, erfuhr erst Wochen später von seinem Scheidungsantrag.
Unmittelbar nach der Kommune 1848 geboren und kurz vor der russischen Revolution gestorben, spiegelt das literarische Schaffen des Schweden August Strindberg eine geistig unruhige Zeit wider. Am 14. Mai jährt sich sein Todestag zum hundertsten Mal. Als Journalist, Dramatiker, Romancier und Historiker stand er als Autor gleich mehrfach in der Öffentlichkeit. Lange vor Facebook und Twitter stellte er seine Version des eigenen Privatlebens gerne europaweit ins damalige Netz: Zeitungen, Bücher, Theater. In keinem Werk der Weltliteratur verschmelzen Rollen der Dichtung und der Wirklichkeit derart untrennbar: Strindberg, der gerne Schauspieler geworden wäre, nahm im Leben fast jede Rolle an, die man ihm zudachte: Sozialist, Bohèmien, Irrer. Am liebsten gefiel er sich in der Rolle des Frauenfeindes.