Techno-Produzent Mark Henning kämpft gekonnt mit seinen inneren Dämonen – auf und abseits der Tanzfläche.
Bass, Kick, Clap – und dann dieser tiefe Hauch einer gespenstischen Männerstimme: „Oh yes, Babe!“ Viel mehr braucht einer der verstörendsten Clubhits der letzten Jahre nicht, um schier unaushaltbare Spannung zu erzeugen. „Jilted Love“ lautet der Name des 2009 erschienenen Tracks: eine verfluchte, verhexte, verhängnisvolle Beziehung, eine Liebe, der man den den Laufpass erteilt hat. Und genauso wie eine gescheiterte Liebelei brennt er sich unauslöschlich ins Gedächtnis ein: Düster, irritierend, aufregend – Eine dunkle Dämonenbeschwörung auf dem Dancefloor.
Der Dschinn, der mit wenigen, passgenau angeordneten Klängen eine derart unwiderstehliche Sogwirkung erzeugt, nennt sich Mark Henning, und stieg in den letzten Jahren – genauso linear-logisch, genauso steil-sukzessive wie seine schnörkellosen, laborartig anmutenden Kompositionen – zu den wichtigsten Produzenten elektronischer Musik auf. Ein eigentliches Phänomen: Denn in einer Zeit, wo die Produktionen im Grenzbereich zwischen House und Techno durch massenhaft verkaufte Software samt Sample-Datenbank immer einheitlicher und austauschbarer tönen, gelang es ihm mit der Reduktion auf einzelne, perfekt platzierte Elemente in eine neue Dimension raumgreifender, raumerzeugender, verräumlichernder Musik vorzustossen: Eine Art „THX“-System, ein Surroundsound für den Club, ein Thriller fürs Ohr. Der in Berlin lebende Brite nutzt minimale Mittel für maximalen Output, produziert zeitgemässe Musik für die Zeitgenossen der Generation 2.0 – effizient, effektiv, einprägsam.
Beim Hören eines Mark Henning-Tracks stellt man sich dabei unweigerlich eine Art verrückten Klangwissenschaftler vor, einer, dem es gelingt, seine industriell-funktionalen Instrumente mit einer düsteren Spiritualität zu beseelen, den Geist in der Maschine zu erwecken. Mark-Henning Sargent, so sein voller Name, sieht das selbst allerdings einiges nüchterner: „Ständig sagen mir Leute, dass niemand sonst klinge wie Mark Henning, also habe ich scheinbar tatsächlich einen Signature Sound kreiert“, gibt er gegenüber der „Tageswoche“ zu Protokoll. Das liege wohl an der Kombination von Tools und Einflüssen, an seiner ehemaligen Liebe zum Drum’n’Bass, die noch immer durchdringe: „Dunkel und technisch, nicht Techno, nicht House, nicht Tech-House, irgendwo dazwischen, aber immer mit einer dunklen, deepen Schlagseite. Housige Beats, mit Techno-Sound gespielt“, so die soundtechnische Selbstbeschreibung des erstaunlich bodenständigen Mannes, an dem so überhaupt nichts an das Klischee vom Musikfreak erinnert.
Fremdkörper unter den Feiernden
Soweit, so gut: Das erklärt aber kaum, wie es dem 34-jährigen Tüftler scheinbar spielend gelingt, völlig unverwechselbar zu klingen. Vielleicht liegt das Geheimnis gerade in der emotionalen Entfernung zu seinem Objekt: Denn Mark Henning gehört nicht zu den allerorts anzutreffen Adepten einer House- und Techno-Generation, die ihre Vorbilder so minutiös studieren, dass sie am Ende genau gleich klingen. Im Gegenteil: Bis vor wenigen Jahren konnte der Künstler mit der unterkühlten Techno-Ästhetik gar nichts anfangen: „Als Teenager hörte ich Indierock, erst mit 20, 21 fing ich an Dance Music zu hören, und auch da zunächst lange nur Drum’n’Bass.“ Mittlerweile möge er zwar auch gern Musik von klassischen House-Musikern wie Levon Vincent oder Cosmin TRG.
Allerdings nicht zuhause: „Kaum zu glauben, aber ich höre daheim keinen House, überhaupt keine elektronische Musik“, gesteht Mark Henning freimütig: „Bei mir läuft nur Indie Pop, Acts wie Tom Vek, Bombay Bicycle Club oder Little Dragon.“ Ob es genau diese Distanz ist, die seinen Blick schärft, die es ihm erlaubt, die Essenz dieser fremden Musik herauszudestillieren, messerscharf, ja fast: chirurgisch zu sezieren?
Eines scheint auffällig: Auch Mark Henning selbst ist in der Technoszene, in dieser Welt, die seinen Beats so wohlig erliegt, eine Art „Fremdkörper“ geblieben. Er gehört weder zu den Aushängeschildern der geschäftigen, gewerbsmässig Glück verkündigenden Gute Laune-Fraktion, noch zur verpeilten Trallala-Partycommunity, die sich im Feierrausch gern jovial gegenseitig auf die Schulter klopft, verschwommene Phrasen vom völkerverbindenden Festen, vom einträchtigen Exzess-im-Einklang drischt.
Mit 34 das Gefühl, auf 50 zuzugehen
„Als ich 2007 meinen Brotjob kündigte, änderte sich schlagartig alles. Plötzlich wurde aus Hobby Beruf, aus Leidenschaft harte Arbeit.“, zieht der Künstler sachlich Bilanz über seinen Aufstieg: „Ich sollte mich eigentlich glücklich schätzen, mein eigener Boss zu sein, meine Zeit selber einteilen zu könnn, aber um ehrlich zu sein: Das ständige Unterwegssein, das Touren macht einen schon müde.“
Der Schlafmangel als ständiger Begleiter: Ein ewiges Thema im Umfeld der „Drei-Tage-wach“-Kultur. „Manchmal habe ich den Eindruck, ich werde zu alt für den Scheiss, ich bin 34, fühle mich aber, als ginge ich auf die 50 zu“, erzählt Mark Henning erstaunlich offen über seine eigene, verflixt-verhexte Beziehung zur Techno-Szene. Dennoch: die Liebe zur Musik, die Leidenschaft sei nach wie vor vorhanden, wenn auch eher für das Produzieren von Tracks als fürs nächtelange Durchraven: „Unter der Woche früh ins Bett“, lautet daher sein erstaunlich bürgerliches Rezept gegen den allzu-frühen Burnout.
Allerdings gar nicht so einfach – denn seit diesem Sommer hat die Zeile „Oh yes, Babe!“ für Mark Henning eine ganz neue, persönliche Note erhalten: Er ist Vater geworden. „Seither ist Schlaf sogar zuhause zum Luxus geworden“, kommentiert er ironisch. Doch fürs Familienglück mit Frau und Kind bleibt in der unerbittlich weiterpulsierenden Techno-Maschinerie nur wenig Platz: Nach einer Auszeit, und einem Baby-bedingten Umzug in ein neues Studio hinke er seinem Terminplan hinterher: „Und schon bald geht’s auf nach Japan, Südafrika, Brasilien, Mexiko… Hardcore!“
Vor seinem Aufbruch nach Übersee serviert Mark Henning dieses Wochenende noch einmal in hiesigen Gefilden eine Kostprobe seines Könnens: In den frühen Sonntag-Morgenstunden spielt er an der „Cityfox“-Nacht im Basler Nordstern. Beim Gedanken an den Event des Zürcher Party-Imperiums, auf dessen Musiklabel er demnächst auch neue Tracks releasen wird, kommt sogar bei Sargent Vorfreude auf: „Cityfox machen zweifellos die besten Partys in ganz Europa – mit Abstand.“ Aus dem Mund des Feierveteranen klingt das wie ein Ritterschlag. „Ha! Ich sollte nicht soviel jammern“, meint der Meister selbst mit Augenzwinkern über seinen inneren Schweinehund. Denn den Kampf mit den eigenen Dämonen, das ist klar, will er auch in Zukunft in erster Linie auf dem Dancefloor zelebrieren. Vielleicht bald noch düsterer, irritierender, aufregender: Seine weltweit wachsende Fangemeinde wird’s ihm danken.
Cityfox Label Night, Nordstern, Basel. Sa, 12.11.2011, 23 Uhr