«Für Basler kostet der Eintritt vier Franken mehr». Mit einem schelmischen Lächeln grüsst der Mann an der Kasse. Die lokalpatriotische Ansage kommt im «Fifa Welt Fussball Museum» mit seinem internationalen Anspruch überraschend und ist sympathisch. Beim Eintrittspreis hört aber für viele der Spass auf. Zu teuer sei das Fussball-Museum, ist zu hören. Mit dem Preis von 24 Franken bewegt sich das Museum in einer Liga mit dem Kunsthaus Zürich (22.-) oder der Fondation Beyeler in Riehen (25.-). Und das durchaus zu recht.
Das erst am 28. Februar 2016 eröffnete Museum, in das die Fifa rund 30 Millionen Franken gesteckt hat, ist vor wenigen Wochen in die Schlagzeilen geraten. Ende Oktober trennten sich das Museum und Geschäftsführer Stefan Jost. Gleichzeitig wurden wirtschaftliche Schwierigkeiten bekannt. Ein Defizit im zweistelligen Millionenbereich werde erwartet, schrieb die «Handelszeitung» am 9. November.
Aufwändig und glänzend gestaltet: Das Fussball-Museum des Weltverbandes Fifa im Zürcher Quartier Enge.
(Bild: Keystone/CHRISTIAN BEUTLER)Das modernisierte Gebäude an der Seestrasse 27 in Zürich mit multifunktionaler Nutzung als Hotel, Bistro, Büro – und als Museum der Fifa.
(Bild: Keystone/CHRISTIAN BEUTLER)Da war die Welt für Joseph S. Blatter und die Fifa noch halbwegs in Ordnung: Der Präsident am 25. April 2013 bei der Grundsteinlegung für das Museum, dessen Eröffnung er drei Jahre später wegen seiner Suspendierung nicht mehr als Chef des Weltverbandes erlebte.
(Bild: Keystone/STEFFEN SCHMIDT)Der neue Fifa-Präsident Gianni Infantino (links) bei der Eröffnung des Fifa Museums am 28. Februar 2016 mit Geschäftsführer Stefan Jost, der inzwischen schon nicht mehr dabei ist.
(Bild: Fifa)Das Fifa Museum.
(Bild: Keystone/PATRICK B. KRAEMER)Sitz- und Klappstuhlkunde im Fifa Museum.
(Bild: Keystone/ENNIO LEANZA)Die Zeitleiste der Fussball-Weltmeisterschaften im Fifa Museum.
(Bild: Benedikt Pfister)Wie sich die Zeiten und die Ausrüstung ändern.
(Bild: Keystone/ENNIO LEANZA)Ballkunde.
(Bild: Keystone/CHRISTIAN BEUTLER)Ein Fussball aus dem späten 19. Jahrhundert, als das Spiel noch nicht ahnen konnte, was dereinst mit ihm passieren würde.
(Bild: Keystone/CHRISTIAN BEUTLER)Die Besucherzahlen liegen unter den Erwartungen. Statt der pro Jahr budgetierten 250’000 Besucherinnen und Besucher zählt das Museum bisher 11’000 Eintritte pro Monat. An und für sich gar kein schlechter Wert. In Zürich ist das Fifa-Museum mit seinen rund 130’000 Gästen hinter dem Kunsthaus (2013: 315’000 Besucher) und dem Landesmuseum (2013: 197’000) die Nummer drei. In der Museumsstadt Basel zählen nur die Fondation Beyeler (2015: 480’000), das Kunstmuseum (in der Regel deutlich über 200’000 Eintritte pro Jahr) und das Historische Museum Basel (2015: 148’000) mehr Eintritte.
Von Schliessung ist die Rede, auch von Umzug
Die Gerüchteküche geriet nach Bekanntwerden der Zahlen ins Brodeln. Dem Museum des Weltfussballverbandes drohe das Aus, hiess es. Zürich sei nicht der richtige Ort, hörte man. Marc Caprez, Mediensprecher und interimistischer Leiter des Museums, kennt jedoch weder Schliessungs- noch Umzugspläne.
Eine Task Force unter der Leitung des ehemaligen kroatischen Fussballers Zvonimir Boban, der nach seiner Profi-Karriere an der Universität Zagreb in Geschichte promovierte und heute stellvertretender Generalsekretär der Fifa ist, nimmt das Museum unter die Lupe und wird dem Fifa-Rat bis Januar 2017 Ideen für die Zukunft vorlegen.
So sieht es im Fifa-Museum aus (2:44 Minuten):
Wie die Fifa ihr Museum präsentiert und anpreist (8:33 Minuten)
Es solle ein «nachhaltiges Geschäftsmodell» für das Museum entwickelt werden, erklärt Marc Caprez der TagesWoche, «das aktuelle operative Konzept ermöglicht selbst nach 2016 kein tragfähiges Modell. Daher wird die Task Force neue, innovative Modelle und Konzepte eruieren, um den sozialen und kulturellen Wert des Projektes in Zürich zu erhalten.»
Es wäre eine Überraschung, würde die Schliessung des 30 Millionen teuren Museums vorgeschlagen. Und ein solcher Entschluss würde dem Museum auch nicht gerecht. Das aufwändig und durchaus liebevoll gestaltete und inszenierte Museum ist nicht nur das «einzige permanente Schaufenster» der Fifa, wie der ehemalige Präsident Sepp Blatter dem «Tages-Anzeiger» am 28. Oktober sagte, sondern auch eine Erlebniswelt des Fussballs.
Drei Missionen – Drei Stockwerke
Das Haus stellt hohe Ansprüche an seine Dauerausstellung mit über 1000 Objekten auf 3500 Quadratmetern. «Mit zahlreichen Attraktionen, audiovisuellen Inhalten und abwechslungsreichen Ausstellungsbereichen – die auch zum Nachdenken anregen sollen – zeigt das Fifa Welt Fussball Museum den globalen Einfluss des Fussballs, wie er Menschen auf der ganzen Welt begeistert und deren Leben bereichert», heisst es auf der Website.
Konkret gibt es drei Missionen für das Haus. Es will die Geschichte der Dachorganisation erzählen, eine Galerie der Weltmeisterschaften sein und den globalen Einfluss des Fussballs zeigen. Damit sei das Museum, so die Eigendarstellung, «eine würdige Stätte für die Erfolgsgeschichte des internationalen Fussballs». Drei Missionen, drei Stockwerke. Das ist das Fifa-Museum.
Der Planet Fussball und seine Emotionen
211 in regenbogenfarbiger Anordnung ausgestellte Trikots aller Mitgliedernationen der Fifa nehmen den Gast der Dauerausstellung in Empfang. Rote Trikots wie jenes der Schweiz sind deutlich in Überzahl. Dieser Einstieg ist ein kluger Schachzug der Ausstellungsmacher. Laut Caprez haben bisher Gäste aus über 140 Nationen das Museum besucht. Vermutlich haben alle zuerst das Trikot ihrer Nationalmannschaft gesucht.
Die Trikotsammlung symbolisiert die grosse internationale Fussballfamilie, in der sich jeder aufgehoben fühlen soll. Riesige Bildschirme umrahmen diese und zeigen die Einfachheit und Freude des Fussballs bei Kindern und Erwachsenen auf der ganzen Welt. Die aufwändigen Installationen stehen dabei im Widerspruch zur Armut der gezeigten Menschen und widerspiegeln damit – wohl ungewollt – die zunehmende Gegensätzlichkeit der grossen Welt des Fussballbusiness‘ und der Fussballbasis. Der Grat zwischen gelungenem emotionalen Einstieg in die Ausstellung und überteuertem Gigantismus der Inszenierung ist schmal.
Das Rätsel um die WM 1906 in der Schweiz
Die Timeline zur Geschichte des Fussballs und der Fifa gibt dem Ausstellungsbereich «Planet Fussball» die historische Tiefe. Auf verschiedenen übereinander verlaufenden Ebenen werden die Entwicklung der Spielregeln und des Fussballs sowie die Ereignisse beim Weltverband chronologisch abgehandelt. Darüber thronen die Konterfeis der Präsidenten.
Die Informationen zu ihnen sind spannend. So liess die Fifa 1906 – zwei Jahre nach ihrer Gründung – Pläne für eine Weltmeisterschaft in der Schweiz fallen, obwohl die Auslosung bereits stattgefunden hatte. Hier zeigt sich aber zugleich eine Schwäche, die sich durch die Ausstellung zieht: Oftmals wird der Gast mit Fragen alleine gelassen. Weshalb die WM-Pläne von 1906 beerdigt wurden, wird leider nicht vermittelt.
Das Herzstück: Die Galerie der Weltmeisterschaften
Eine Etage tiefer werden die Informationen zur Frühgeschichte des Fussballs und der Fifa vertieft. Hervorragend gestaltete Touchscreens bieten Einblick in die verschiedenen Projekte der Organisation und stellen die Mitgliederverbände vor. Höhepunkt ist die farbliche Visualisierung der Fifa-Rangliste. Auf einen Blick ist ersichtlich, wo auf der Erdkugel die guten (Europa und Südamerika) und wo die schlechteren (Afrika und Asien) Nationalmannschaften zuhause sind.
Im gleichen Raum steht eine – nennen wir es – Glaskapelle. In halbkreisförmig arrangierten Vitrinen werden Objekte aus der Frühgeschichte des Fussballs präsentiert. Die durchaus hochkarätigen Objekte stehen aber nur Spalier für das eigentliche Zentrum. Durch einen Eingang betritt der Gast einen leeren Raum und wird zu einem Altar geführt, über dem überdimensioniert das erste Fifa-Bulletin mit den Statuten von 1904 thront.
Diese Überhöhung der Fifa mag inhaltlich berechtigt sein (ohne Fifa keine WM), wirkt aber arrogant. An der Glaskapelle vorbei geht es in die Galerie der Weltmeisterschaften, dem Herzstück des Museums. Im Kontrast zu den Verbandsstatuten ist der WM-Pokal, der eigentliche Held des Museums, angenehm zurückhaltend ausgestellt. Löblich ist die Aufteilung der Galerie. Die Frauen-Weltmeisterschaften werden seit 1991 durchgeführt und sind angemessen vertreten. Für Frauen wie Männer gilt: Eine Vitrine pro WM.
Chapuisat und Cubillas im Reliquienschrein
Die Vitrinen der Weltmeisterschaften von 1930 in Uruguay bis 2010 in Südafrika sind wahre Reliquienschreine. Trikots, Bälle, Pfeifen, Medaillen, Tickets, Programmhefte, Kick- und Handschuhe und Kapitänsbinden werden gezeigt. Ergänzend zu jeder Vitrine zeigen Slideshows Bilder von zeithistorischen Weltereignissen.
Die Geschichten zu den Weltmeisterschaften bringen oft überraschende Anekdoten zutage. Jene von Luis Monti etwa. Der Argentinier mit italienischen Eltern spielte 1930 für Argentinien und vier Jahre später für das Heimatland seiner Eltern. 1938 sorgte eben jenes Italien an der Weltmeisterschaft in Frankreich für einen Eklat. Der spätere Weltmeister trat in den Viertelfinals gegen Frankreich in schwarzen Faschisten-Trikots an.
Prominente Erwähnung findet Teofillo Cubillas, der 1973 ein kurzes und unglückliches Gastspiel beim FC Basel gab. Der Stürmer erzielte für Peru an den Weltmeisterschaften 1970 und 1978 als erster Spieler jeweils fünf Tore. Das Trikot von Stéphane Chapuisat schmückt die Vitrine der WM 1994, an der die Schweiz nach 28 Jahren wieder mitmachen konnte.
In einer separaten und räumlich getrennten Sonderausstellung zur WM 2014 und zum Fussball in Brasilien hängt das WM-Final-Trikot 1958 von Didi oder ein 1986 von Socrates getragenes Stirnband.
Die Galerie kann bei einem ersten Besuch kaum vollständig besichtigt werden. Das liegt an den vielen interaktiven Modulen. Der Gast kann ein Selfie im Wembley- oder Maracana-Stadion machen, in einer Tonkabine Spielszenen moderieren, Schiedsrichter-Entscheide beurteilen, Sieger- und Jubeltänze nachtanzen, WM-Maskottchen ertasten, Informationen zu allen WM-Bällen und zur Entwicklung des Trikotdesigns nachlesen oder einen Film mit historischen Spielszenen schauen.
Kurz: Hier vergeht die Zeit wie im Flug. Das Museum wird zur Fussball-Erlebniswelt. Wer sich hier nicht mitreissen lässt, interessiert sich nicht für Fussball.
Im dritten Stock: Verlorene Spielfelder
Nach der geballten Ladung an Informationen und audiovisuellen Eindrücken, hat die letzte Etage des Museums, die letzte Mission, einen schweren Stand. Die «Spielfelder», die den globalen Einfluss des Fussballs zeigen sollen, stehen verloren da. Den nur schwach gefüllten Boxen mit Objekten, die Fussballfans aus der ganzen Welt dem Museum zur Verfügung stellen, fehlt die Bindung an die Ausstellung.
Gleich geht es den aufwändig gemachten Filmen über Menschen aus aller Welt, die den Fussball abseits aller Geschäfte und Wettbewerbe leben, sei es in Thailand oder Grossbritannien. Da wollten die Museumsmacher zu viel oder die Luft ging ihnen aus. Sie hätten den obersten Stock vollumfänglich den Kindern überlassen sollen. Die umfangreiche Bibliothek mit Kinderecke, eine gigantische Pinball-Machine, sowie Playstation und Döggelikasten machen den Museumsbesuch für jeden Heranwachsenden zum Erlebnis.
Ein spielerisches Highlight des ganzen Museums folgt am Schluss. Alle WM-Panini-Bilderalben seit 1970 können digital durchgeblättert werden.
Bewahrer des historischen Fussballerbes
Der Besuch des Fifa Welt Fussball Musem lohnt sich auf jeden Fall. Es ist den Machern gelungen, die Emotionen der Gäste anzusprechen, neben inhaltlichem Pflichtprogramm mit spannenden Geschichten zu überraschen und den Fussballfan im Gast zu wecken. Mit der Verwaltung des umfangreichen Dokumentenarchivs der Fifa, einem Bildarchiv und einer Fussballsammlung übernimmt das Museum auch eine wichtige Aufgabe bei der Bewahrung des fussballkulturellen Erbes.
Speziell für die Eröffnung des Museums wurde eine Sammlung aufgebaut. «Die Exponate speisen sich aus dem Fifa-Archiv, aus Spenden, Leihgaben und Ankäufen», sagt Marc Caprez. Die Sammlung werde ständig ergänzt und orientiere sich an der Mission des Museums, das kulturelle Erbe des Weltfussballs zu bewahren.
Mit diesem Anspruch ist die Fifa auf einem guten Weg. Die Mission, den globalen Einfluss des Fussballs zu zeigen, wird hingegen nicht erfüllt. Eine kritische kulturhistorische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Fussball ist nicht die Stärke des Museums und als Verbandsmuseum auch nicht seine Aufgabe.
Das Thema Fussballkultur wurde in den letzten Jahren von verschiedenen kompetenten Institutionen aufgenommen. Das Sportmuseum Schweiz sammelte 2008 mit «1924 – Wir holen uns den Titel zurück», dem offiziellen Kulturprojekt des Bundes zur Europameisterschaft, die Fussballerinnerungen der Schweizer Bevölkerung. Die Basler Afrika Bibliographien holten 2010 die Wanderausstellung «Fields of Play. Fussball in Kapstadt» in die Schweiz. Das FC Zürich Museum beschäftigte sich 2012 unter dem Titel «Fankultur – Szenen aus dem Stadion» mit dem Verhalten von Stadionbesuchern, und das Historische Museum Basel zeigte 2015 die Ausstellung «Fussball – Glaube. Liebe. Hoffnung», die sich mit der Sinnstiftung des Spiels auseinandersetzte.
Es muss das Ziel sein, dass sich das Fifa-Museum mit interessierten Institutionen vernetzt und seine Sammlung und sein Archiv für fussballhistorische Arbeiten zur Verfügung stellt. Dies ist gemäss Caprez auch sehr erwünscht. Ob das Fifa-Museum dies von Zürich oder London aus tut, ist im Grunde nebensächlich. Für die Fussballfans in der Schweiz wäre ein Wegzug oder eine Schliessung des Museums allerdings ein Verlust.
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Unser Autor ist Historiker und betreibt in Basel die Fussballkulturbar didi:offensiv
Das Fifa Welt Fussball MuseumZürich, Seestrasse 27 (beim Bahnhof Enge) | Öffnungszeiten: dienstags bis samstags 10.00 bis 19.00 Uhr, samstags 9.00 bis 18.00 Uhr | Eintrittspreise, Erwachsene 24,- Franken, Kinder von 7 bis 15 Jahre 14,- Franken | Sonderausstellung bis 19.2.2017: Brazil 2014 revisited, Eintrittspreis, Erwachsene: 8,- Franken.