Mit Begeisterungsstürmen wurde das Oktett des Flamencostars Paco De Lucía im Basler Stadtcasino gefeiert.
In Gitarristenzirkeln haben sich die Geister oft an ihm geschieden. Vielen galt sein Ton als zu hart, zu kompromisslos. Andere sehen gerade darin unverfälschte andalusische Seele und Feuer. Nicht anzuzweifeln jedoch ist: Der 1947 in Algeciras geborene Paco De Lucía ist der bedeutendste Erneuerer des Flamenco im späten 20. Jahrhundert. Er kann heute fast auf ein halbes Jahrhundert Karriere zurückblicken: Durch den berühmten Sabicas wurde er ermutigt, die Pfade der traditionellen Schule zu verlassen, tat sich daraufhin zunächst mit dem Sänger Camarón De La Isla zu einer langen künstlerischen Partnerschaft zusammen. In den Siebzigern vermittelte er der jungen Generation Spaniens den Flamenco mit der LP Entre Dos Águas, 1982 eroberte er mit dem Millionenseller Friday Night In San Francisco, seinem Livemitschnitt mit John McLaughlin und Al Di Meola, ein weltweites Publikum.
Feurige Zurufe und frenetischer Applaus
Seitdem hat Paco De Lucía für den Flamenco stetig die Tore in Richtung Jazz geöffnet und sich im Laufe seiner Karriere mit berühmten spanischen Musikern aus verschiedenen Generationen zusammengeschlossen. Aufnahmen sind neuerdings rar geworden, nur vier waren es in den zurückliegenden zwei Dekaden. Die letzte CD «Cositas Buenas» hatte gerade einmal eine halbe Stunde Spieldauer, es schien als hätte der Mann schon alles gesagt. Doch nun lässt der Gitarrist von Weltformat Einblicke in sein aktuelles Bühnenschaffen mit der Doppelscheibe «En Vivo» zu – und tritt lediglich zwei Jahre nach seinem letzten Gastspiel am Rheinknie wieder vor ein fast ausverkauftes Haus.
Als er auf die Bühne des Stadtcasinos kommt, in weitem weissen Hemd und schwarzer Weste, branden ihm gleich frenetischer Beifall und feurige Zurufe entgegen. Wie beiläufig sitzt er da, mit übergeschlagenem Bein, seine Gesichtszüge konzentriert, aber nie verbissen, beizeiten umspielt von einem kantigen Lächeln.
Ein Souverän, wie er im Buche steht
Er beginnt sein Konzert solo und sogleich fällt auf: Sein Spiel scheint im Alter leichter, beflügelter geworden, der Ton durchweg rund, aber nie geschliffen. Nachsinnend, rhapsodisch sind die Improvisationen, er streut zwischen den Phrasen effektvolle Pausen ein, demonstriert ganz nebenbei seine Virtuosität in Arpeggien, Tremoli, Rasgueados, der ruppigen Anschlagstechnik des Flamenco.
Dabei arbeitet er nie notorisch in hohen Lagen, dort ist sein Ton manchmal sogar etwas unwirsch, vielmehr nutzt er gleichwertig den ganzen Tonumfang der Gitarre, arbeitet Melodien aus dem Bass und der Mitte heraus. Dieser Mann muss sich nichts mehr beweisen, ein Souverän, wie er im Buche steht. Und deshalb kann er, als sein Ensemble schrittweise auf die Bühne kommt, auch problemlos immer wieder zurücktreten.
Glühende Falsettkraft
Die acht Musiker zelebrieren Flamenco als intime Veranstaltung, die sich zufällig in einem grossen Saal präsentiert. Die Gitarre des 64-Jährigen tritt in der Bulería «Mi Antonia» in Wechselbeziehung mit zwei hitzigen Sängern, David Maldonado bei aller glühenden Falsettkraft noch mit etwas kontrolliertem Ton, sein Kollege Duquende dagegen in seiner sich überschlagenden Eruptivität kaum mehr kontrollierbar. Perkussionist Israel Suárez treibt das Geschehen vor allem auf der Kistentrommel Cajón an, einen fast körperlos, geradezu gitarristisch singenden Bass bedient Alain Pérez.
Eine wichtige Rolle kommt auch Antonio Serrano zu, der sich zunächst mit einem zwar nicht kitschigen, aber doch unnötig süßlichen Nebel am Keyboard hervortut, dann jedoch immer wieder mit grandios bluesigen Mundharmonikasoli glänzt. Paco De Lucía hat das Instrument mit großer Wirkung im Flamenco salonfähig gemacht, so wie einst Rabih Abou-Khalil in der arabischen Musik.
Prasselnde Hackenschläge
Die Rituale des Genres mögen sich bei manchen Interpreten schnell erschöpfen, doch bei diesem Oktett wird man des Zuhörens nicht müde. Dieses chromatische Kreisen, das immer wieder in Dur-Aufhellungen hinübergleitet, und sich dann in ein er erdschweren Kadenz entlädt – keiner kann hier so mit Farben spielen wie De Lucía. Nur selten lässt er es einmal zu, dass sich sein zweiter, junger Gitarrist Antonio Sánchez mit ihm duelliert. Als es aber geschieht, steigern sich die beiden, effektvoll in linken und rechten Kanal getrennt, zu einem inspirertem Doppel empor.
Nichts jedoch kann den Enthusiasmus des Publikums an diesem Abend toppen, als sich Antonio Fernández schließlich aus seiner unauffälligen Gesangsrolle löst und in der Bühnenmitte zum Tanz postiert. Wie Hagelschauer prasseln seine Schläge mit den Hacken auf den Boden, während seiner Machoposen glänzt das Silberamulett auf der Brust, die langen, frisch eingenässten Haare wehen wie ein Schleier um sein Haupt. Sein ganzer Körper vibriert unterm rasantem Staccato der Beine. Da tritt sogar Weltstar Paco De Lucía komplett in den Hintergrund.
Als Zugabe schenkt der Protagonist dem Publikum ein zartes, fast schmelzendes Intro aus der Feder des Kollegen John McLaughlin, streift dann seinen Siebzigerjahre-Hit «Entre Dos Águas», um dann noch einmal im ausgelassenen Rumbarhythmus den Gesamtklang dieser hervorragend aufeinander eingestimmten Band inklusive anfeuerndem Chor zur Geltung kommen zu lassen. Das Attribut «Flamenco Nuevo» ist auch beim gealterten Star gerechtfertigt: Paco De Lucías Kraft, aus jedem Moment Neues zu schöpfen, hat noch um kein Quäntchen nachgelassen.