Mit Schalk und Hintersinn hat der Schweizer Objektkünstler Pavel Schmidt das Pharmazie-Historische Museum Basel zur Kunstinstallation auf Zeit veredelt. Die Installation mit dem Titel «Befall» verführt zu einer Entdeckungsreise der besonderen Art.
Das Pharmazie-Historische Museum Basel ist anders. Auf wohltuende Weise ist hier der museologisch didaktische oder belehrende Ansatz ausgeklammert. Das in einem mittelalterlichen Gebäude am Totengässlein untergebrachte Sammelsurium an Objekten der Pharmaziegeschichte präsentiert sich so, wie es wohl die Kunst- und Wunderkammern von früher taten, zumindest für wissenschaftliche Laien. Die Museumsverantwortlichen würden einwenden, dass es sich um eine seriöse akademische Sammlung handelt, was sie ja auch tatsächlich ist.
Zu ihr gehören hängende Krokodil-Präparate, in Formalin eingelegte Frösche, Mumien-Fragmente, Knöchelchen, Kräuter, Pulvergefässe, Laboruntensilien und unzählige weitere wundersame Objekte, die dichtgedrängt und mit vergilbten Schrifttafeln versehen in Vitrinen, historischen Apothekeneinrichtungen oder nachgebauten Alchemisten-Küchen ausgestellt sind. Es ist wahrhaftig schwer, sich vom Begriff Wunderkammer zu lösen.
Hinterlistiger Befall
Während man nun an den vielen Vitrinen vorbeischlendert und sich über die wunderlichen Dinge wundert, stellt sich plötzlich ein Moment der Irritation ein: Mitten in Knochenstücken fällt der Blick auf ein präpariertes Kindergebiss, dem ein Schlagring beigestellt ist. In einer anderen Vitrine sind kleine afrikanische Aufklärungspuppen zu entdecken – Objekte, die erst auf den zweiten oder dritten Blick als Fremdkörper auffallen.
Solche Momente sind im ganzen Museum zu finden. Installiert oder eingefügt hat sie der Schweizer Objektkünstler Pavel Schmidt, der das Haus mit einer schelmischen Hinterlist befallen hat. Viele Objekte fügen sich so unauffällig in die Sammlung ein, dass sie sogar Museumsdirektor Michael Kessler erst beim ganz genauen Hinschauen entdeckt.
«Ophelia» im Fayencen-Saal (Bild: Pharmazie-Historisches Museum)
Andere sind offensichtlich Fremdkörper oder auffällige künstlerische Parasiten, die das Museum befallen haben. Etwa der präparierte antike Marmor-Torso im Interieur der Innsbrucker Hofapotheke oder die Venus-Figur, die als Kopfgeburt einem Schädel entsteigt. Klar wird der Eingriff auch bei der Gegenüberstellung eines Orang-Utan-Schädels mit einem französischen Helm aus dem 1. Weltkrieg, die beide auffällige Übereinstimmungen in ihrer zweckdienlichen Form haben.
Kunst und Medizin
Auch wenn viel hinterlistiger Humor im Spiel ist, Pavel Schmidt treibt im Museum kein schalkhaftes Spiel nur um des Spielens Willen. So hat der Künstler, der in Bern für kurze Zeit Naturwissenschaften mit Hauptfach Chemie studiert hat, durchaus eine Ahnung davon, in welcher Umgebung er seine Eingriffe vornimmt.
Und auch wenn die Museumsverantwortlichen betonen, dass es sich um ein künstlerisches und nicht um ein naturwissenschaftliches Projekt handelt, dann wissen sie sehr wohl, dass Kunst und Medizin in Vergangenheit Disziplinen waren, die natürlich in erster Linie bei der Illustration Hand in Hand gingen. Das zeigt sich beispielsweise an den Schautafeln, auf dem verschiedene Verbandsarten illustriert sind und die Schmidt zusammen mit einer alten Militärapotheke aus der Museumssammlung zu einem Triptychon gruppiert hat.
Weibliche Gesellschaft für männliche Anatomie-Modelle
Dies zeigt sich sehr gut beim berühmten Werk «Fabrica», mit dem Vesal im 16. Jahrhundert die neuzeitliche Anatomie begründete und das in Basel gedruckt wurde. Das mächtige Werk besticht durch die wundervollen und künstlerisch hochwertigen Drucktafeln, die in Venedig – möglicherweise in Tizians Umfeld – hergestellt und nach Basel in die Druckerei gebracht wurden.
Die dargestellten Figuren, Menschen in klassischen Posen, sind ausnahmslos männlichen Geschlechts. Schmidt greift nun mit roten und schwarzen Linien in die Tafeln ein und setzt mit kargen, aber präzisen Strichen Versatzstücke von erotisch aufgeladenen weiblichen Körperteilen zu den männlichen Körpern, denen die Haut oder gleich das gesamte Gewebe abgeschält worden ist.
Amüsanter und lehrreicher Museumsrundgang
Pavel Schmidts «Befall» ist ein Glücksfall. Seine Interventionen setzen weit mehr als originelle Akzente in der Dauerausstellung. Sie veredeln das Haus als Ganzes quasi zum Kunstwerk. Und sie laden überdies dazu ein, sich mit grosser Aufmerksamkeit durch die akademische Wunderkammer zu bewegen, wo es auch ohne Eingriffe viel Wundersames, aber auch Lehrreiches zu entdecken gibt.
Dass die Ausstellung überhaupt in Basel stattfindet, ist ein weiterer Glücksfall. Denn Pavel Schmidt hat sich mit seiner Idee, wie er erzählt, zuerst an das Medizinhistorische Museum der Universität Zürich gewandt. Dieses wird aber nach dem unrühmlichen Abgang seines Direktors Christoph Mörgeli zum Medizin-Museum umkonzipiert und stand deswegen nicht zur Verfügung.
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«Befall» im Pharmazie-Historischen Museum Basel. Bis 23. Januar 2016