Der Mann mit dem Hang zum skurrilen Humor

Die Filmfestspiele von Cannes wurden mit «Moonrise Kingdom» eröffnet, dem schönen neuen Streich des texanischen Filmregisseurs Wes Anderson.

Er lässt uns mit seinen Filmen in seine bunte, kleine, skurrile Welt eintauchen: Filmemacher Wes Anderson. (Bild: ddp images)

Die Filmfestspiele von Cannes wurden mit «Moonrise Kingdom» eröffnet, dem schönen neuen Streich des texanischen Filmregisseurs Wes Anderson.

Am Mittwoch feierte sein siebter Kinofilm Premiere am glamourösesten Filmfestival der Welt. Endlich «cannes» er im Wettbewerb teilnehmen, Wes Anderson. Hat er verdient, die Ehre: Gehört er doch seit 15 Jahren zu den auffälligsten Vertretern des jungen US-amerikanischen Autorenkinos.

Martin Scorsese – ja, der Martin Scorsese – schwärmte schon zu einer Zeit, als der New Yorker Familienclan um «Royal Tenenbaum» noch gar nicht wusste, dass es ihn gab, vom damals 30-jährigen Wes Anderson. Im amerikanischen «Esquire» outete sich das Regie-Ass als begeisterter Fan des texanischen Jungtalents: «Wes hat ein besonderes Talent: Er versteht es bestens, einfache Freuden und Interaktionen von Menschen zu transportieren. Diese Sensibilität ist in Filmen selten zu sehen.» Scorsese war auch des Lobes voll dafür, wie Anderson Musik einsetzt, um visuelle Eindrücke zu untermalen.

Zweifelsfrei zwei grosse Stärken, die da dem Profi früh auffielen. Der Texaner stöbert für die Soundtracks stets die eigene Plattensammlung durch: So kommen die Rolling Stones oft zu Ehren (womit uns – «Shine A Light!» – ein Licht aufgeht, weshalb Scorsese die Musikauswahl so gefällt). Aber auch abgefahrenere Klänge, mal indisch zirpend, mal easy listening, setzt Anderson gekonnt ein. Nicht zu vergessen die wunderbar schräge Idee in «The Life Aquatic With Steve Zissou» (Die Tiefseetaucher, 2004), den Sänger Seu Jorge in ein Matrosenkostüm zu stecken und ihn im Hintergrund alte David-Bowie-Klassiker auf Portugiesisch seufzen zu lassen.

Mit seinem Händchen für schön-schräge Soundtracks erinnert Anderson an Quentin Tarantino. Er filmt Szenen wie Bilder ab, setzt auf Ensembleleistungen und mag Verlierertypen (wie der gleichaltrige Paul Thomas Anderson in «Magnolia» oder «Boogie Nights»). Und er entwirft Dialoge und Charaktere, die manche Filmexperten dazu bringen, ihn mit Woody Allen zu vergleichen. Vermutlich sehen sie Pa-rallelen in den Milieus (weisse, leicht dysfunktionale Intellektuelle mit Marotten) und im Humor. Zudem geben sich Allen wie Anderson treu im Umgang mit ihren Ensembles.

Wes Anderson begann seine Karriere Seite an Seite mit Owen Wilson (heute Schauspielstar), mit dem er als Philosophiestudent an der University of Texas ein Zimmer teilte. Noch auf dem Campus verfassten sie ein Drehbuch für einen Kurzfilm, ehe sie 1998 dem Komiker Bill Murray zum Comeback verhalfen und den 18-jährigen Jason Schwartzman entdeckten: «Rushmore» hiess der erste Langspielfilm, der allen Involvierten Ruhm brachte – und ein grosses Budget für den nächsten Film, die «Royal Tenenbaums». Murray, Schwartzman und Owen tauchten auch in Andersons letzter Regiearbeit auf – sie liehen für den animierten «Fantastic Mr. Fox» (2009) ihre Stimmen.

Fabelhafter Anfang

Auch im neuen Film spielt ein Tier eine Hauptrolle. Besser gesagt: ein Mädchen, das ein Tier spielt, im Schultheater. Ein trauriges Vögelchen, das da dem verschupften Pfadfinder Sam ins Auge sticht, sodass er seine übergrosse Brille ans Nasenbein zurückschiebt, ehe er sie in der Garderobe herauspickt. Es folgt eine Brieffreundschaft, es folgt eine Laufbereitschaft: Er haut nachts aus dem Pfadi-Camp ab, sie aus dem Elternhaus. Gemeinsam wandern sie und paddeln sie über und um eine spärlich besiedelte Insel, ab ins Nirgendwo. Zwei unverstandene Teenager auf der Suche nach der tröstenden Geborgenheit, dem gemeinsamen Glück und dem ersten Kuss.

Die Idylle wird getrübt durch den Staub und Blitz und Donner, welche ein alarmierter Tross aufwirbelt: Eine Horde Pfadfinder, ein deprimierter Polizist (herrlich ungewohnt: Bruce Willis) und ein zerrüttetes Elternpaar (Bill Murray und Frances McDormand) haben sich an ihre Fersen geheftet.
Es ist ein Märchen, eine Flucht, wie wir sie uns als Teenager (wer fühlte sich in dieser Phase schon nicht unverstanden?) herbeiträumten, die uns Wes Anderson in «Moonrise Kingdom» vor Augen führt, eingetaucht in satte, nostalgische Farben, ausgestattet mit herrlichen dekorativen Details, die an die 1960er erinnern. Da rotiert Françoise Hardy auf dem Plastikplattenspieler am Strand, während «Le temps de l’amour» anbricht. Fantastique!

Andersons Handschrift erkennt man aber auch an den Kamerafahrten durch aufgeschnittene Räume: Oft meint man, ein riesiger Setzkasten ziehe gerade vor den eigenen Augen vorbei. So etwa in der umwerfenden Eröffnungssequenz, die man am liebsten im Replay-Modus geniessen möchte, untermalt von Benjamin Brittens Sinfonie «The Young Person’s Guide to the Orchestra». Herrlich.

Liebevoller Umgang

Herrlich auch das Wiedersehen mit Andersons Stammgast Bill Murray, der einmal mehr einen skurrilen, leicht derangierten Vater spielt. Die Axt auf der Schulter geht er nach draussen, «um einen Baum zu finden, den ich fällen könnte». Seine Kinder ignorieren ihn ebenso wie seine Gattin. Das Baumfällen ist selbstreferenziell eingesetzt: In «Rushmore» wäre Murray beinahe von einem Baum erschlagen worden. Als ob Wes Anderson wüsste, dass seine Anhängerschaft zur Kultgemeinde gewachsen ist, verknüpft er seine Filme ganz bewusst mit solchen Anspielungen, ohne dass er damit langweilen oder sich allzu sehr wiederholen würde. «Ich liebe den Gedanken, dass meine Figuren von einem Film in den nächsten überlaufen», hat er einst in einem Interview erzählt.

Das glaubt man dem 43-jährigen Texaner gerne. Und liebt ihn für seine Sorgfalt, seinen liebevollen Umgang mit tragischen Figuren. Etwa den drei Brüdern, die in «Darjeeling Limited» (2007) durch Indien reisen, um sich selbst zu finden. Oder den «Tiefseetaucher», mit dem wir vor sieben Jahren in eine groteske Welt eintauchen konnten.

Es ist bezeichnend, dass eine Umfrage auf einem Onlineportal («Euer liebster Film von Wes Anderson?») keinen klaren Sieger ergab. Die Punkte wurden fast gleichmässig auf all seine Kinofilme verteilt. Nicht, weil sie alle mittelmässig sind. Sondern weil sie so gut sind, dass man sich fast nicht entscheiden kann.

Dass er heuer erstmals im Wettbewerb von Cannes mitträumen darf, ist also eine überfällige Anerkennung. Allein für die penible Ausstattung, für die pittoresken Bilder, diese stimmungsvollen Gemälde hätte er einen kleine Palme verdient. Ob er sich das auch schon selber ausmalt?

«Moonrise Kingdom» von Wes Anderson läuft am 24. Mai regulär in unseren Kinos an, ist aber jetzt schon im kult.kino Atelier über Mittag zu sehen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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