Im neuen Stück des jungen theater basel geht es um Männer, die sich tanzend mit ihrer Männlichkeit auseinandersetzen. Für alle, die jetzt aufstöhnen: Keine Sorge. Es kommt ganz anders. Sogar richtig gut.
«Das sind ja Jungs!» flüstert meine Sitznachbarin ehrfürchtig. Ich schaue auf. Tatsächlich. Die sieben Figuren, die hier über den roten Boden des alten Rossstalls poltern, sind knapp aus dem Teenageralter raus. «Männer», wie uns der Titel dieser Produktion weismachen will, kann man diese Knaben doch wohl noch nicht nennen. Oder?
Genau darum soll es im neusten Stück des jungen theaters basel aber gehen. «Wie wird ein Mann ein Mann? Und was ist das überhaupt, ein Mann?» fragt der Begleittext und spricht von einem Theater mit jungen Männern, die sich tänzerisch mit ihrer Männlichkeit auseinandersetzen. Sich darunter urteilsfrei etwas vorzustellen, ist für den Besucher ein Ding der Unmöglichkeit. Im Kopfkino rattert es folglich schon vor der Vorstellung: Ein Mann in hautfarbenem Ganzkörperanzug sitzt im Schlaglicht, hält leidenschaftliche Monologe über Leistungsdruck und unterdrückte Emotionen, dazu inbrünstige Bewegungen, Muskeln, Pathos, ein paar Tränen – die üblichen Verdächtigen. Eine einzige Glorifizierung berechenbarer Gemeinplätze.
Der erste Blick täuscht
Zum Glück sieht die Realität ganz anders aus. Die Produktion von Choreograph Yves Thuwis und Dramaturg Uwe Heinrich ist nämlich – das muss nach diesem Ausflug in die Klischeesuppe jetzt unbedingt gesagt werden – grossartig.
Eine Stunde lang lassen uns die sieben Protagonisten in ihr Innenleben hinein und dabei keine Ecke unbeleuchtet: Wir sehen den Jungs beim Prahlen, Kämpfen und Kräftemessen zu, sind dabei, wenn sich David (David Speiser) ein paar Stöckelschuhe anzieht und das eigentlich ganz interessant findet, oder wenn Alex (Alexander Megert) Anton (Anton Baecker, der mit 16 Jahren der Jüngste der Gruppe ist) mit Fragen zu Schwulen konfrontiert. Die Geschichten kreisen um Freundschaft und Sexualität, um Schwänze und Muskeln und Mütter und werden mit einer solch selbstverständlichen Ehrlichkeit erzählt, dass spätestens nach der ersten Hälfte klar ist: Das sind eben doch nicht nur Jungs.
Explosive Stimmung, brutale Nähe
In der Ehrlichkeit schwingt eine explosive Komponente mit, die ständig Situationen von einem Extrem ins andere kippen lässt. So werden nach anfänglichem Gejohle und Gebuhe die Stöckelschuhe von allen anprobiert und mit Genuss defiliert. Alexs ernsthafte Konfrontation wird zur obszönen Provokation, worauf Anton zuerst als Opfer deklariert und kurze Zeit später zum Held erkoren wird.
Dieser konstante Schlagabtausch ist nicht immer übersichtlich. Das Tempo ist rasant und die Emotionen schwingen hin und her: Vom Zärtlichen ins Aggressive, vom Stolzen ins Schamvolle. Erzeugt wird durch diese Zurschaustellung von Gefühlen eine fast schon brutale Nähe zu den Protagonisten (verstärkt durch die Tatsache, dass die Jungs alle unter ihren eigenen Namen spielen), die ohne Vorwarnung eintritt und von Beginn an voll ausgekostet wird.
Auch körperlich wird aus dem Vollen geschöpft: Es wird mit ganzem Körpereinsatz gerannt, gestampft und geschlichen, die Jungs posieren, springen sich an, halten sich und stossen sich wieder weg, immer wieder, bis zur Grenze der Erschöpfung. Eine solch tänzerische Wucht geht über das blosse Theater hinaus: Hier tanzen sich junge Menschen die männliche Seele aus dem Leib.
«Das hier ist wichtig.»
Nach einer Stunde ist es vorbei. Stöckelschuhe und Heldenkostüme liegen auf der Bühne, es riecht nach Schweiss. Ein paar Jungs im Teenageralter stehen vor dem Eingang und ich frage sie, wie sie die Vorstellung fanden. «Am Anfang wars schon ein bisschen peinlich, wie die so rumgetanzt haben. Irgendwann hab ich aber gecheckt, worum es geht und dann wars richtig geil», sagt einer. Sein Freund nickt: «Das was hier angesprochen wird, ist sehr wichtig. Alle Menschen sollten das sehen, auch solche, die normalerweise nicht auf so Theaterzeug stehen.»
Die Männer haben gesprochen. Hört hin.
Insgesamt 23 Mal tanzen sie im jungen theater basel auf dem Kasernenareal an, jeweils am Mittwoch, Donnerstag und Freitag um 20 Uhr. Letzte Vorstellung: 5. Mai 2014.