Der Mundartpop geht im Osten auf

Am 17. April präsentiert die Mundart-Band Stahlberger ihr neues Album in der Basler Kuppel. Ein Name, den man sich merken sollte, wie die Plattentaufe in St. Gallen zeigte: Ein Abend voller Geschichten, offener Vokale und mit einem Weltuntergang.

Pflegen den Schweizer Minderwertigkeitskomplex: Stahlberger. (Bild: Adrian Elsener)

Am 17. April präsentiert die Mundart-Band Stahlberger ihr neues Album in der Basler Kuppel. Ein Name, den man sich merken sollte, wie die Plattentaufe in St. Gallen zeigte: Ein Abend voller Geschichten, offener Vokale und mit einem Weltuntergang.

So was habe sie noch nie erlebt, sagt eine junge Frau in breitem Ostschweizer Dialekt zu ihrer Freundin. Fast einmal ums Haus reicht die Schlange an diesem Samstag vor dem St. Galler Konzertlokal Palace.

Am Vorabend schon ging die Taufe des neuen Stahlberger-Albums «Die Gschicht isch besser» über die Bühne. In weiser Voraussicht setzten die Veranstalter gleich zwei Konzerte an. Und zum zweiten Mal ist der Laden ausverkauft: Selbst auf der Empore des ehemaligen Kinos stehen die Leute dicht gedrängt. Die Stimmung ist gespannt. Das dritte Album der fünf St. Galler wird von der Kritik frenetisch bejubelt: «Die Gschicht isch besser» setze Massstäbe im Mundartpop, gar vom «besten Schweizer Popalbum der letzten Jahre» schwärmte «Die Zeit».

Aufnahmen in der Abgeschiedenheit

«Das kam alles völlig unvorhergesehen», erzählt Texter und Sänger Manuel Stahlberger im ehemaligen Operateur-Raum, der zum Backstage umfunktioniert wurde. «Wir haben einfach die Platte gemacht und ein gutes Gefühl dabei gehabt.» Die Arbeit sei leicht von der Hand gegangen, und sie hätten sich nicht «uh choge hindersinned».

In einem alten Haus im Nirgendwo bei Engelberg haben Stahlberger die 13 Songs vergangenen Sommer eingespielt. Die Abgeschiedenheit ermöglichte konzentriertes Arbeiten: Unterbrochen wurden die Aufnahmen nur für Spiele am Töggelikasten und durch den allabendlichen Grillplausch auf der Terrasse.

«Früher kam ich mit fertigen Liedern zur Band, und wir haben sie arrangiert. Jetzt entstehen diese zusammen», erklärt Manuel Stahlberger das Vorgehen. Der Sänger bringt die Texte und jeder sein «Biigeli» Songideen mit. Der 39-Jährige spricht unaufgeregt und bedächtig, ganz so, wie man ihn auch als Sänger kennt.

«Ein Beruf mit Sackgeld»

Angefangen hat Manuel Stahlberger als Comiczeichner und Kabarettist in den Duos Stahlbergerheuss und Mölä & Stahli. Dabei war er ziemlich erfolgreich: 2009 erhielt er den Kleinkunst-Preis Salzburger Stier. Sein Comic über den St. Galler Stadtbünzli Herr Mäder ist zudem über die Ostschweiz hinaus bekannt und Kult.

Erst mit Mitte Dreissig gründete er mit den vier St. Galler Musikern Christian Kesseli, Dominik Kesseli, Michael Gallusser und Marcel Gschwend die Band Stahlberger. Zum Namen kamen sie unter Zeitdruck: Vor der Veröffentlichung des ersten Albums gab es viele Ideen, aber keine überzeugte wirklich alle. Das Plattenlabel meinte schliesslich, dass Stahlberger doch gut klinge. So benannte sich die Band kurzerhand nach ihrem Sänger.

Von Züri West gecovert

Seit ihrem Debüt 2009 hat sich die Gruppe einen ausgezeichneten Ruf erspielt. Für den Namensgeber ist es bislang aber nur «ein Beruf, der ein Sackgeld gibt». Leben tut er vor allem von den Solo-Auftritten, wie etwa mit seinem letzten Programm «Innerorts». Bereits studiert er an einem Nachfolger herum.

Stahlberger haben nicht den Erfolg der Berner Mundart-Bands Züri West, Stiller Has oder Patent Ochsner. «Doch denen fühlen wir uns bestimmt näher als zum Beispiel Pegasus», meint der Sänger. Auf der letzten Tour coverte Kuno Lauener mit Züri West das Titelstück des zweiten Stahlberger-Albums «Abghenkt». Das fand Manuel Stahlberger «huere schön – denn der machte das bestimmt nicht mir zu liebe, sondern weil ihm gefällt, was wir machen».

Kein Dialekt für die Radios?

Bei Auftritten in der Mundartrock-Hochburg Bern wurden die Ostschweizer trotz ihres umstrittenen Dialektes immer gut aufgenommen. Dabei findet Stahlberger: «Ich kenne keine Stadt, in der man es mit St. Galler Dialekt schwerer hat.»

Nur im Radio sei es noch schwieriger. Dort müsse man Musik machen, die nicht auffalle, und mit dem St. Galler Dialekt gehe das einfach nicht. Wirklich aufregen kann sich Stahlberger darüber aber nicht: «Wir haben keine Erfolgsstrategie und wollen einfach authentisch bleiben.»

Das Licht im Palace ist inzwischen gedimmt, in der Luft flimmert die Erwartungshaltung des gemischten Publikums –  ältere Menschen sitzen auf samtenen Kinostühlen, die Tanzfläche vor der Bühne ist voll von jungen Leuten. Manche Alten kämen wegen seiner Kleinkunst zu den Konzerten der Band und umgekehrt viele Junge wegen der Band zu seinen Soloprogrammen, erklärt uns Manuel Stahlberger.

Schliesslich tritt die Band auf die Bühne und wird ausgiebig beklatscht. Das Konzert umschliesst alle 13 Songs der neuen Platte und ein paar ältere Nummern wie «Gwaltbereiti Alti», «Abghenkt» und «Rägebogesiedlig», die neu arrangiert wurden. Hier in der Ostschweiz sind es Hits.

Kantiger Nicht-Gesang

Die Band spielt konzentriert und lässt die Lieder nur selten an den Rändern ausfleddern. Schade, denn vor allem in diesen Momenten zeigen die Mitmusiker, dass sie mehr sind als nur Begleiter. Doch meist halten sie sich zurück und geben dem kantigen Nicht-Gesang von Manuel Stahlberger viel Raum.

Dieser erzählt mit empathischer Unaufgeregtheit von Figuren, «die manchmal ein wenig trostlos sind, es aber immer wieder versuchen.» Man spürt wie ernst der Sänger sein Songpersonal nimmt, etwa wenn er in «Abtaucht» vom Popstar singt, der die Nase voll hat von der Cervelat-Prominenz und verschwindet: «Swiss Music Award und jedi Wuche irgend en Charity Aalass / Immer die gliiche schöne Lüüt a de immer gliche blöde Galas.»

Schenkelklopfer gibt es in den Texten Manuel Stahlbergers keine. Sie reizen zwar zum Lachen, aber Stahlberger selbst spricht von einem «Lachen aus Zweifel» und von Situationen, in denen man «im Saich hockt». Dann sei dieses Lachen ein Ausweg.

Die Beiläufigkeit des Weltuntergangs

Als Kleinkünstler trat Manuel Stahlberger solo oder im Duo im Basler Parterre auf. Die Band Stahlberger spielt nun in der grösseren Kuppel. Und das nicht nur wegen ihres Erfolgs: Die Songs der neuen Platte sind dort auch besser aufgehoben als im Singer-Songwriter-Lokal.

In «Fallschirmspringer» lässt einen Michael Gallussers Gitarre träumen, bei «Hornusse» verliert man sich im Hall, der auch von The XX sein könnte. Und in «Flowiler» nickt man zum selbstgenannten «kosmischen Lärm» von Marcel Gschwend mit. Das ist keine Kleinkunst mehr, das ist Rock, manchmal Pop mit diesen wunderbaren Texten vorgetragen vom notorischen Geschichtenerzähler Manuel Stahlberger.

Wenn beim Konzert in St. Gallen zwischendurch die Gitarren gestimmt werden müssen, springt der Frontmann ein und erzählt, zum Beispiel davon, wie er ein Kinderprogramm mit dem Namen Stahlbitterli planen würde. Die Handlung sei immer gleich: «Der Frechdachs verarscht den Halbdachs.» Die erste Folge heisst «Labello». Darin klaut der Frechdachs dem Halbdachs die Lippenpomade und tauscht ihn mit Sekundenleim aus. Der Saal johlt und der Sänger selbst verzieht keine Miene. Dann folgt das Titelstück der neuen Platte: «Die Gschicht isch besser» und spätestens jetzt haben Stahlberger das ganze Publikum im Sack.

Vom Schweizer Minderwertigkeitskomplex

In «De grööscht Maa» singt Stahlberger eine Agglo-Geschichte, die auch in Pratteln oder Reinach spielen könnte: «De grööscht Maa vo de Welt chunnt i üsi Stadt / am Bahnhof hüt Nomitag am zwei / s gäb no en grössere Maa irgendwo im Tibet / aber dä bliibt lieber dehei», schliesst er den Song. Da spürt man den «Schweizer Minderwertigkeitskomplex», von dem Stahlberger im Gespräch erzählt, der es ihm angetan hat und den er in lakonischem Tonfall so gern beschreibt. So wie auch das landläufige Scheitern an sich selbst, wenn man in der Welt etwas bedeuten will.

Am deutlichsten wird diese «Mischung aus Komik und Traurigkeit» im letzten Song der Platte, mit dem auch das fantastische Heimspiel im Palace endet: «Wenn d’ Welt undergoht / und mer stoht gad a de Kasse am warte / und s’ letscht wommer khört / Hend sie Supercharte?» Bei Stahlberger passiert sogar so etwas wie ein Weltuntergang ganz beiläufig.

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Stahlberger Live: Kuppel, Basel. Donnerstag, 17. April 2014, 21 Uhr. Support: Dänu Siegrist.

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