Der quirlige Mister Chan

Mit Paul Chan hat sich das Schaulager einen Künstler ins Boot geholt, der nicht nur tolle Kunst macht, sondern auch unglaublich witzig ist.

Paul Chan – ein quirliger und gleichzeitig nachdenklicher Künstler. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Das Schaulager hat sich für die neue Ausstellung einen Künstler ins Boot geholt, der nicht nur tolle Kunst macht, sondern auch unglaublich witzig ist. Eine Begegnung mit Paul Chan.

Nach zehn Minuten ist Paul Chan schon wieder weg. Entspannt läuft er dem gestikulierenden Fotografen nach und versucht, sich nach dessen Wünschen vor seinen Werken zu positionieren. «Ich mache alles, solange du mich nicht darum bittest, mein T-Shirt auszuziehen,», scherzt er.

Als wir schliesslich mit einem Kaffee in der Bibliothek des Schaulagers sitzen, meint er augenzwinkernd, er habe sich dann doch noch überreden lassen und seine Hose ausgezogen. «Dann hast du wenigstens eine sexy Überschrift: Künstler lässt fürs Schaulager Hose runter!» Er lacht laut. Ich denke an das argentinische «Chan!», den jauchzenden Ausruf, mit dem die Argentinier auf komische Situationen reagieren oder Ironie bekunden. Der kleine Künstler mit dem freundlichen Gesicht und den verschmitzten Augen steht seinem Nachnamen in nichts nach.

Beckett zum ersten Date

Aufgewachsen ist der in Hongkong geborene Chan in Omaha, Nebraska, wo seine Eltern ein chinesisches Restaurant betrieben. Im einzigen Independent-Theater der Kleinstadt erlebte er zum ersten Mal, was Kunst mit ihm anstellen konnte. Er wollte ein Mädchen mit einem ungewöhnlichen Date beeindrucken und entschied sich für eine Samuel-Beckett-Aufführung. Obwohl er keine Ahnung hatte, wer Beckett war, sei damals etwas Verzauberndes geschehen: «Wir waren total absorbiert von diesem Stück, das wir nicht kannten, geschweige denn verstanden. Das ist eben Kunst. Du weisst nicht, was es bedeutet, vielleicht weisst du nicht mal, was es darstellt. Aber irgendwie lässt es dich nicht mehr los.»

Und es liess ihn nicht mehr los. Chan studierte Kunst in Chicago und beschloss nach seinem Studium, in den Westen zu ziehen. Zwei Optionen hätte es für ihn damals gegeben: New York oder Paris. «Ich war ein besessener Frankophiler. Alles, was ich las und sah, war auf Französisch.» Kurz darauf bot man ihm aber einen Job in New York an, und so blieb er im Land. Letzten Endes sei es eine gute Entscheidung gewesen, sagt Chan, das habe er spätestens dann gemerkt, als er zum ersten Mal einen Pariser kennenlernte. «Die effektvollste Art, einen Fetisch loszuwerden, ist ihm zu unterliegen.»

Irak, Orgien und klare Gedanken

Bevor ich diesen Satz verdauen kann, redet Chan schon weiter: Über seine Zeit im Irak, wo er Ende 2002 als Medientechniker mit einer kleinen Antikriegsgruppe nach Bagdad reiste, mit unabhängigen Journalisten in einer kleinen Absteige wohnte und den Kriegsausbruch erwartete. Was er da wollte? «Den Krieg beenden. Klingt lächerlich, oder?»

Ganz und gar nicht. Bei seinem Irak-Aufenthalt entstanden eindrückliche Porträts der Bevölkerung, die Chan später in Andeutung an die Vermisstenmeldungen vom 11. September 2001 in ganz Manhattan aufhängte. Ein paar Jahre später erregte er an der Biennale in Venedig mit «Sade for Sade’s Sake» Aufsehen – einem Video, das sechs Stunden lang eine Massenorgie als Schattenspiel inszeniert.

So sieht es aus wenn Paul Chan nach Basel kommt (wenn man nach seiner eigens konzipierten Schriftart «the future must be sweet» geht)

So sieht es aus wenn Paul Chan nach Basel kommt (wenn man nach seiner eigens konzipierten Schriftart «the future must be sweet» geht)

Paul Chans Kunst polarisiert, aber sie berührt auch – da, wo Anderes nicht hinkommt. In der Publikation, die zu der Ausstellung im Schaulager erschienen ist, spricht Chan von der Dankbarkeit, die Kunst auslöst: «Wir sind dankbar, etwas ausserhalb unserer selbst zu erfahren, das etwas in uns, das uns kostbar ist und nach dem wir uns vielleicht sehnen, zum Ausdruck bringt, wie wir es selbst nicht vermocht hätten.»

Wenn Paul Chan schreibt, dann klingt es nie abgehoben oder verkauft. Es sind klare Gedanken, die der Künstler zu Papier bringt, scharfe Einsichten über das Verhältnis von Leben und Kunst, das in seinen Werken oftmals unzertrennbar ist. So auch Chans Aktion in New Orleans, wo er 2006 Becketts «Warten auf Godot» zusammen mit Bewohnern des grösstenteils zerstörten Stadtteils Lower Ninth Ward aufführte. Seine Augen leuchten, als er von New Orleans erzählt. «So eine Stadt findest du sonst nirgends in Amerika, die hat einen ganz eigenen Rhythmus, einen einzigartigen Geschmack.»

Die beharrliche Frau Oeri

Und wie schmeckt ihm Basel? «Basel ist sehr freundlich. Und so geschichtsträchtig.» Am meisten fasziniere ihn die Drucker- und Verlagsgeschichte der Stadt. «Hast du gewusst, dass hier seit dem 12. Jahrhundert Bücher verlegt werden? Das muss man sich mal vorstellen!» Dann erzählt er von seiner Leidenschaft fürs Verlegen, einer der Gründe, wieso er vor knapp fünf Jahren beschloss, nicht mehr Kunst zu machen. Stattdessen gründete er den Verlag «Badlands Unlimited», um fortan Bücher zu publizieren. Bis ihn eines Tages Maja Oeri kontaktierte und für eine Ausstellung im Schaulager anfragte. Obwohl Chan anfangs ablehnte, blieb Oeri beharrlich und überzeugte ihn schliesslich.

Und jetzt sei er hier und könne es immer noch nicht ganz fassen. «Das Schaulager ist einzigartig, nirgendwo auf der Welt gibt es einen vergleichbaren Ort.» Für die Ausstellung in Basel wurde Chan wieder zum Künstler: Fast die Hälfte der Werke, die ausgestellt werden, sind in den letzten vier Jahren entstanden. Darunter auch verschiedene Alphabete, in denen der Künstler für jeden Buchstaben des Alphabets ein Symbol oder einen Satz kreierte, und die man als Schriftarten auf den Computer laden kann.

«Willst du es mal ausprobieren?» Chan springt sofort zu seinem Computer und erklärt das Prinzip. Dann redet er noch ein bisschen über Hegel und George W. Bushs Malkünste und den Bärengraben. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass zwei Stunden vergangen sind. Genau vier Fragen habe ich gestellt, der Rest hat sich wie von selbst ergeben. 

Zum Schluss frage ich Chan, ob er jemals mit einem Argentinier über seinen Nachnamen geredet hätte. Er lacht laut auf und sagt, das sei die beste Frage, die ihm je gestellt worden sei. Als ich ihm den Ausdruck erkläre, grinst er und sagt, das müsse er sich merken. Dann umarmt er mich zum Abschied und meint: «Kommst du zur Eröffnung? Ich werde da sein und eine gute Figur machen. Je nach dem findest du mich aber auch weinend auf der Mädchentoilette. Chan!»

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«Paul Chan – Selected Works», Schaulager, Münchenstein. 12. April bis 19. Oktober 2014.

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