Die «Regionale»-Ausstellung in der Kunsthalle Palazzo in Liestal befreit den Rand von seinem Mauerblümchendasein und präsentiert dezente Werke, bei denen man auch mal ganz genau hinsehen muss.
Gucken wir in ein Gesicht, dann sehen wir zuerst die Augen. Den Mund vielleicht, und auch noch die Nase. Kaum jemand guckt zuerst auf den Haaransatz. Oder das Kinn. Den Übergang zwischen Wange und Ohr. Auch bei einem Bild gehen wir bei der Betrachtung meist von der Mitte aus und suchen die herausstechendsten Merkmale. Wer schaut schon zuerst den Rand an?
Selbst bei Reto Leibundguts Stickbild, das in der Kunsthalle Palazzo direkt gegenüber der Eingangstür hängt, fällt unser Blick zuerst auf die schwarze Mitte und schweift dann an den Rand der Ellipse, den ein Blumenband ziert.
Der Rand ist immer auch formgebend. Umrisse definieren Gegenstände und Menschen, reduzieren sie auf ihre Silhouette. Selbst die einfachsten sind noch erkennbar, die unaufgeregten, dezenten. Und manche muss der Künster nur «pflücken», so wie Chris Hunter, der alte weisse Tablare von Gegenständen befreite, die jahrelang darauf gestanden hatten. Der Staub hat ihre Form quasi darin eingebrannt.
Dezent mochten es auch Lena Friedli und Urs Aeschbach, die zusammen die «Regionale»-Ausstellung im Palazzo kuratiert haben. Sie sichteten die Dossiers und suchten in einem ersten Schritt einfach aus, was gefiel. Ohne Konzept, ohne Absprache. Und kamen auf ziemlich ähnliche Resultate.
Wellensittiche und Frauenporträts
Das Konzept ergab sich dann fast von alleine. Stille, dezente Arbeiten hatten sie ausgewählt, die alle etwas gemeinsam hatten: Sie kümmerten sich um die Frage des Randes in demselben Masse wie um das zentrale Motiv. Stefan Auf der Maur etwa malt Wellensittiche und Papageien. Teilweise sind sie nicht mehr als Farbkleckse, und doch erkennen wir ihre Vogelform. Keiner der Malgründe hat dieselbe Form. Mal rechteckig, mal abgerundet, mal oval. Der Rand ist immer ein wichtiger Teil des Bildes. Auch in Dorothea Trapps Frauenporträts sind es nicht die Gesichter, die im Fokus stehen. Sie sind im Gegenteil gar nicht sichtbar, aus Gründen der Perspektive oder weil die Haare davor hängen. Und ebenso wichtig wie die Struktur dieser Haare ist der Hintergrund, vor dem die Frauen aufgebaut sind.
Reduktion, Verhüllung, Abwesenheit sind zentrales Thema in allen ausgewählten Arbeiten der 22 ausgewählten Künstler und Künstlerinnen. Bei Peter Brunner-Brugg und Nathalie Sidler kreieren die Arbeiten ihren eigenen Rand, ihre Farbigkeit strahlt aus auf die Wand. Catrin Lüthi K und Hansruedi Fitze wiederum thematisieren klassische Randthemen der Medien Skultpur und Malerei: Den Sockel und den Rahmen. Und im Video von Meri Vukovi sehen wir nichts weiter als die Rahmenhandlung einer Interviewsituation.
Die Altbau-Räume der Kunsthalle Palazzo sind nicht nur einfach zu bespielen. Teilweise sehr klein, teils ohne Tageslicht, mit mehreren Durchgängen und vielen Fenstern. Die dezenteste Arbeit fällt denn auch fast diesen Räumlichkeiten zum Opfer – weil sie erst einmal entdeckt werden muss. Im grossen Saal, zwischen den beiden Durchgängen, zieht sich ein orangener Strich von oben nach unten. Florian Köhler hat hier ein Armierungseisen eingemauert, das durch den Verputz rostet. Eine kleine, feine Arbeit, die beweist: Man sollte immer ganz genau hinsehen.
- Kunsthalle Palazzo, Liestal, «Von den Rändern her», Regionale 13. Bis 6. Januar 2013.
Die TagesWoche stellt einzelne Ausstellungen der «Regionale 13» in einer kleinen Serie vor. Teil 3 folgt am Dienstag, 4.12., aus dem Kunst Raum Riehen. Teil 1 aus der Kunsthalle Basel finden Sie hier.