Der Regisseur von «Blade Runner 2» läuft sich im Stadtkino warm

Für die Fortsetzung des SciFi-Klassikers «Blade Runner» gibt Ridley Scott den Stab weiter an Denis Villeneuve. Er ist bei dem Frankokanadier in guten Händen, wie eine aktuelle Retrospektive im Stadtkino zeigt.

«Natürlich werden die Kritiker mit einem Baseballbat ins Kino kommen»: Denis Villeneuve.

Als der 48-jährige Filmemacher Denis Villeneuve das Drehbuch zur Fortsetzung von «Blade Runner» in seiner Post fand, war er schlicht überwältigt. Das düstere Meisterwerk aus dem Jahr 1982 hatte in Villeneuve in jungen Jahren nicht nur die Leidenschaft für die Science-Fiction entfacht, sondern für das Kino überhaupt.

Trotzdem fiel ihm der Entscheid nicht leicht, in die Fussstapfen von Ridley Scott zu treten, was aber nicht an der Qualität des Drehbuches lag, wie Villeneuve betont. «Ich fragte mich vielmehr: Wer bin ich eigentlich, dass ich das versuchen soll?»

Gute Frage, und dank der umfassenden Villeneuve-Retrospektive, mit der das Stadtkino in die neue Saison startet, lassen sich jetzt Antworten darauf im Werk des talentierten Filmemachers finden.

Der Kanadier  

Geboren wurde Denis Villeneuve 1967 in einer Kleinstadt bei Québec, und den Traum von Hollywood hatte der Frankokanadier nie geträumt: «Ich dachte, falls ich je dorthin gehe, werden sie mir ‹Legally Blond› Teil 5 andrehen.» Also fertigte er eine Reihe von Dokumentarfilmen fürs Fernsehen, gab 1998 sein Langfilmdebüt, gefolgt vom Festivalliebling «Maelstrom».

Dann verschwand Villeneuve acht Jahre lang von der Bildfläche, kümmerte sich um seine Frau und die gemeinsamen drei Kinder und haderte mit seinen Fähigkeiten als Drehbuchschreiber: «Ich bin zu langsam und, ehrlich gesagt, auch nicht besonders gut darin.»

Als 2009 «Polytechnique» – ein schockgefrorener Thriller über ein wahres Schulmassaker in Quebec – erschien, waren dem Regisseur die Kontroverse und die landesweite Aufmerksamkeit sicher. Quasi-dokumentarisch, mit einem grausam präzisen Blick für die Ästhetik des Schreckens, aber ohne zu beschönigen: Villeneuve hatte seinen Stil gefunden und sein Thema – den Einbruch des Chaos in eine scheinbar geordnete Welt.

Der Unruhestifter

Das einzige Schlimme im Wohlstandsland Kanada seien die langen Winter, gab der Regisseur zu Protokoll, deshalb habe er wohl Musse, sich mit den dunklen Aspekten des Lebens zu befassen.

Für «Incendies» adaptierte Villeneuve 2010 das Theaterstück seines Landsmannes Wajdi Mouawad, in dem ein Geschwisterpaar dem Geheimnis ihrer Mutter nachspürt. Was beklemmend beginnt, wird im Laufe der Ereignisse immer schlimmer. Nicht weil die Handlung eskaliert, sondern weil sie unerbittlich auf die Lösung des abgründigen Rätsels zusteuert.

«Incendies» geht unter die Haut. Der Film verbindet das Rätselraten des Thrillers mit einem haarsträubenden Drama, das – wäre es nicht so gekonnt gefilmt – fast als Exploitation durchginge. Das emotionale Feuerwerk, das der Film abfackelt, ist jedenfalls verheerend.

Der Auteur

Nach dem internationalen Erfolg von «Incendies» liess Hollywood nicht lange auf sich warten. Spasseshalber nahm der Kanadier die Einladung eines Produzententeams an, am Ende des Treffens hatte Villeneuve einen Job: In «Prisoners» (2013) führte er erstmals mit grossen Namen Regie.

Hugh Jackman spielt den Vater eines entführten Kindes, der aus Rache den vermeintlichen Kidnapper foltert, Jake Gyllenhaal ist der ermittelnde Polizeibeamte. Auch wenn Villeneuve bei den Dreharbeiten vollkommen freie Hand hatte, merkt man dem Genrestück die Routine seiner Darsteller doch an.

Um sich besser auf die Schauspielerführung zu konzentrieren, schob der Regisseur deshalb gleich einen zweiten, intimeren Film nach: «Enemy», wieder mit Jake Gyllenhaal, diesmal in einer Doppelbesetzung. Die Geschichte handelt von einem Geschichtsprofessor, der seinem exakten Ebenbild begegnet. Der Film folgt einer surrealen Traumlogik, und dafür, dass nur wenig passiert, ist der Film vor Spannung trotzdem kaum auszuhalten.

«‹Enemy› ist mein persönlichster Film», erklärte Villeneuve. Es stecke darin die Angst vor der Wiederholung, und diese will sich auch der Regisseur in seiner Arbeit nicht vorwerfen lassen.  

Der Feminist

Seine erste Reaktion auf das Drehbuch von «Sicario» (2015), in dem US-amerikanische Drogenfahnder an der mexikanischen Grenze gezielt gegen Recht und Ordnung verstossen, war deshalb: «Nicht schon wieder!» Warum nicht einmal etwas Leichtes, eine Komödie mit Gesang und Tanz? Aber durch diese fatale Geschichte über eine Nation, die ihre eigene Demokratie verrät, musste der Kanadier durch, und mit ihm Emily Blunt als unerfahrene FBI-Agentin.

Natürlich hatte man Villeneuve davon abgeraten, die Hauptfigur mit einer Frau zu besetzen: Kassengift. Doch der Filmemacher, der gleich mit zwei dominanten Grossmüttern aufwuchs, hielt an der weiblichen Hauptrolle fest: «Es muss noch viel für die Rechte der Frauen getan werden», ist er überzeugt. Das Casting von Blunt sei sein bescheidener Beitrag dazu.

Für die Fortsetzung von «Blade Runner» hat Villeneuve neben Harrison Ford und Ryan Gosling die Schauspielerinnen Robin Wright («House of Cards») und Hiam Abbas («Paradise Now») verpflichtet – sowie die Tessinerin Carla Juri

Der Fan

Wer ist Denis Villeneuve also? Bestimmt kein zweiter Ridley Scott, wie er selbst versichert, und deutlich weniger abgehoben als Christopher Nolan, der ebenfalls für das Sequel im Gespräch war. Villeneuve – man muss es so platt sagen – verwandelt grosse Ideen in grossartige Bilder. Er perfektioniert sein Handwerk fortlaufend und braucht keinen Vergleich zu scheuen, weil er eigen ist.

Und: Bei allem Respekt vor dem Original, das er nach eigenem Bekunden über 50 Mal gesehen hat, kennt der Filmemacher keine Angst. «Natürlich werden die Kritiker mit einem Baseballbat ins Kino kommen, und das ist okay», sagt Villeneuve. «Ich würde es genauso machen.»

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