Der Reiz der weiten Klanglandschaften

Bleu Roi, die Basler Band um Sängerin und Songwriterin Jennifer Jans, tauft in der Kaserne ihr Album «Of Inner Cities». Im Vordergrund stehen vielschichtige Songs, die in den Häuserschluchten New Yorks entstanden sind.

Königsblaues Quartett: Bleu Roi.

(Bild: eyeloveyou)

Bleu Roi, die Basler Band um Sängerin und Songwriterin Jennifer Jans, tauft in der Kaserne ihr Album «Of Inner Cities». Im Vordergrund stehen vielschichtige Songs, die in den Häuserschluchten New Yorks entstanden sind.

Was bleibt vom Basler Pop-Jahr 2016 hängen? Ausdrucksstarke Stimmen, zum Beispiel: Was die U30er in dieser Stadt seit James Gruntz‘ faszinierendem Album «Belvedere» in Sachen Vokalpop bieten, ist erfreulich experimentell. Wir denken an Sarah Reid. An Annie Goodchild. Und an Bleu Roi, die nun in der Kaserne ihr Debütalbum «Of Inner Cities» vorstellen werden.

Nanu, Plural? Ist Bleu Roi nicht ein Soloprojekt?

War es mal, ja. Die Geschichte geht so:

Jennifer Jans war Teenagerin, als sie bei Mañana einstieg. Jahre jünger als der Rest der Band, tankte die Keyboarderin Selbstvertrauen und sammelte erste Erfahrungen auf dem internationalen Pop-Parkett.

Bon Iver gab den Startschuss

Vor fünf Jahren, für Mañana gabs kein Morgen mehr, hielt sie sich in den USA auf, ihrer zweiten Heimat (die Mutter stammt aus Connecticut). Dabei geriet ihr das zweite Album von Bon Iver in die Hände – und liess sie nicht mehr los: «Die Art, wie er mit der Stimme arbeitete, wie er sich von klassischen Songstrukturen loslöste, hat mich völlig fasziniert. Und dazu ermutigt, meine eigene Musik zu machen. Bon Iver gab indirekt den Startschuss für Bleu Roi.»

Mit dieser Inspiration in den Ohren begann sie Songs zu schreiben, die von Keyboardklängen und Gesangsharmonien geprägt waren. Als sie das Soloprojekt erstmals live auf die Bühne brachte, zog sie Freunde hinzu: Axel Rüst (Cloudride) als Gitarrist, dessen Bruder Stefan als Drummer und ihre Schwester Imogen Jans als Keyboarderin und zweite Stimme. So wurde Bleu Roi heimlich zum Quartett.

«Es darf ruhig ein bisschen unklar sein, ob es ein Solo- oder Bandprojekt ist», sagt Axel Rüst. Ein bisschen mysteriös also, wie die Musik. Aber eigentlich ist es klar: «Jennifer hat die Vision und die Songs, wir tragen Instrumente und Arrangements bei.»

Field Recordings in New York

Nach einer EP, die im Schlafzimmer entstanden war, reiste Jans mit ihren drei Mitmusikern nach New York, um in die Grossstadt einzutauchen. Das war im Sommer 2014 und markierte den Anfang eines Prozesses, der nun zum Album geführt hat. Titel wie «Skyscraper» erzählen von diesen Eindrücken, unterfüttert von «Field Recordings», Hintergrundgeräuschen, die sie in der Millionenmetropole aufnahmen. 

Ehe sich Jans aber Spaziergängen und Songwriting widmete, machte sie mit ihrer Band eine Lektion in Demut: drei Konzerte im Big Apple. Sie lernten, was es heisst, zu improvisieren. «In New York wird einem bewusst, wie komfortabel, wie gut man es als Musikerin in der Schweiz hat», sagt Jans und Rüst schiebt ein konkretes Beispiel nach: «Im trashigsten Club stand ein 16-Kanal-Mischpult, wovon nur gerade vier Spuren funktionierten. So habe ich gelernt, dass wir die Songs auch mit weniger Equipment auf die Bühne bringen können, dass einige Sachen, auf die ich zuvor viel Wert legte, gar nicht so essenziell sind», sagt Rüst.

Veredelung in Göteborg

Was aber nicht heisst, dass Bleu Roi danach, im Studio, nicht getüftelt hätten. Im Gegenteil: Mit Produzent György Barocsai haben sie in Göteborg die Klangschichten der Demoversionen zusammengetragen. Entstanden ist ein vokalgetriebenes Werk mit vielen elektronischen Untertönen, bei denen die Liebe zu Details hörbar ist: «Skyscraper», «Home» oder «Voyeur» heissen die Lichtblicke, die im dunklen Königsblau besonders stark schimmern. Ergreifend.

Der visuelle Auftritt, der das Album begleitet, wirkt nicht zufällig nordisch kühl. Ob Björk oder Sigur Rós, Jennifer Jans (28) zählt beide zu ihren Einflüssen. «Musik aus Island hat eine andere Ästhetik. Viele Bands arbeiten mit Mehrstimmigkeit, kreieren atmosphärische Klänge, das hat mich schon immer sehr berührt.» 

Entsprechend flächig-entrückt klingen auch die Lieder auf «Of Inner Cities». Diese künstlerische Konsequenz hat allerdings auch ihren Nachteil, weist das Album doch auf Dauer eine Gleichförmigkeit auf – langsam die Tempi, reduziert die Drums, wolkig die Vocals, und dazu ein Bass, der allzu stark in den Hintergrund gemischt ist, um das Ganze noch erden zu können. Ein Schönheitsfehler im Dream Pop, wie man ihn auch bei anderen prächtigen Bands wie Beach House ausmachen kann.

Aber wer weiss, vielleicht kommt da live noch mehr ausgleichender Druck rüber. Denn jetzt stehen die Bühnenauftritte an, und zwar die eigenen – für einmal die eigenen, ist man versucht zu sagen, Jennifer Jans sonst als BScene-Präsidentin und Tätschmeisterin der Talkreihe «Mitten in der Woche» jene Person ist, die die Bühne für andere freigibt.

Muss sie aufpassen, dass ihre eigene Musik nicht zu kurz kommt? Sie lächelt, leicht verlegen. Zwei Herzen schlagen in ihrer Brust: Jenes der Vermittlerin und Veranstalterin, und jenes der Sängerin und Komponistin. 

Jetzt heisst es erst mal Vorhang auf für Jennifer Jans, die Musikerin.
_
Bleu Roi: «Of Inner Cities».
Albumtaufe: Kaserne, Basel. 9. Dezember, 20.30 Uhr. 


Nächster Artikel