Der Sound der digitalen Freiheit

Rusconi gehen im Zeitalter der digitalen Musikindustrie ungewöhnliche Wege – auch auf der Bühne, wie sich bei ihrem Auftritt in der Kaserne Basel zeigte.

Drang zum Experiment: Rusconi. (Bild: zVg)

Rusconi gehen im Zeitalter der digitalen Musikindustrie ungewöhnliche Wege – auch auf der Bühne, wie sich bei ihrem Auftritt in der Kaserne Basel zeigte.

Finden in der Musik heute noch Revolutionen statt? Kann, wenn alle Genrekombinationen ausgereizt, der Stilvorrat ausgeschöpft scheint, überhaupt noch wesentlich Neues passieren? «Revolution» hat das Schweizer Trio Rusconi seine 2011 erschienene CD genannt – und mit dieser Formulierung sind wir schon beim Kernproblem. Denn erschienen ist das Werk eigentlich gar nicht so richtig. Stattdessen steht es, neben kostenpflichtigen und liebevollen Vinyl- und CD-Versionen auf dem bandeigenen Label, zuallererst zum freien Download bereit.

Rusconi haben damit die Konsequenzen aus dem Selbstbedienungsladen Internet gezogen. Wie andere mutige Kollegen hat das Trio aus Zürich und Basel von vorne herein sein geistiges Eigentum ins Netz gestellt. «Vergesst dabei aber nicht, dass es unsere Musik bleibt», schreiben sie in einem «Manifest» und verteufeln die Downloadgemeinde nicht. Im Gegenteil, denn diese kleine Rebellion bietet auch unüberseh- und -hörbare Vorteile: «The audience is the new distribution.» Und: Wer nicht mehr an die Bevormundungsmechanismen von Majorfirmen gekettet ist, hat grösstmögliche künstlerische Freiheit.



Revolutionäre Züge

Und so haben nicht nur die Begleiterscheinungen um diese neue Produktion von Stefan Rusconi, Fabian Gisler und Claudio Strüby revolutionäre Züge. Zumindest ein bisschen hat sie auch der neue Bandsound, der nach den drei Alben bei Majorlabels (zuletzt von einem ECHO dekoriert), noch merklich mehr Drang zum Experiment verspüren lässt, wie man bei ihrem zweiten Basler Auftritt in der Kaserne feststellen konnte. Die drei Herren sind lustvolle Eklektiker, doch sie plündern nicht nur, sondern schaffen daraus ganz neue Klangkunst. Die pendelt immer wieder zwischen Extremen, provoziert Brüche, ist mal Noise Rock, mal Free Jazz und mal melodieverliebter Instrumentalpop, und sie transzendiert dabei die Grenzen der Instrumente.



Zu Beginn des Konzerts treffen Gislers aufheulende Gitarrenseufzer auf ein kreisendes Pianoloop von Rusconi, Strübys Drums schlagen rockig zu. Eine Adaption von Sonic Youths «Hoarfrost», und auch die Lightshow dazu passt mehr zur Rocksphäre. Doch wenig später wird das Testosteron sofort bis zu Glockenspielklängen runtergekühlt. Slideeffekte von den Saiten verschmelzen mit ein paar Trompetentönen, bevor ein fast konventionelles Pianosolo folgt, eine kurze Verortung im Jazz, die dann wieder durch donnernde Cluster zerstört wird. Und schließlich gar die Überschreitung der europäischen Klangwelten: Zwischen Gamelan und Philip Glass tönt das, was Stefan Rusconi aus dem präparierten Flügel zaubert, doch wiederum wird ein geradezu teutonisch stampfender Keil dazwischen getrieben, in dem sich Fabian Gisler fast hymnisch mit gestrichenem Bass aufschwingt.

Richtige Ohrwürmer

Die drei Querköpfe bleiben in Fernost, zeichnen eine janusköpfige Zeichentrickfilmfigur aus Japan in Musik nach, da werden dann auch Falsett-Chöre à la Beach Boys zu Rate gezogen.

Und ja, es gibt auch richtige Ohrwürmer in Rusconis spannender Musik. «Alice In The Sky» ist so einer: Wie Tropfen auf verbeultem Blech tönt es, was das Piano da in einem trancehaften Ostinato macht, dazu zieht Gisler den Vibratohebel der Gitarre ad absurdum, Pink Floyds «Echoes» lassen grüßen. Und schließlich «Tempelhof»: Eine jubilierende, gepfiffene Melodie, die dann fast Popcharakter bekommt, tolle Projektionsfläche für ein gestochen scharfes, umtriebiges Bass-Solo. Wäre da nicht wieder die «Selbstzerstörung» in der Mitte durch rasselnde Ketten im Innenleben des Flügels und ein jegliche Rhythmik auflösendes Drummersolo mit Tusch und großer Trommel.



Kein Zweifel, Rusconis Musik zählt zum Kurzweiligsten, was der europäische Jazz, so man sie denn noch dazu zählen mag, zu bieten hat. Man darf den drei mutigen Künstlern auf ihrem neuen Weg durch den digitalen Dschungel nur fest die Daumen drücken. Wie man Social Networking und analoge Ära für virales Bandmarketing zusammenbringt, das haben sie übrigens mit Pfiff gleich auf der Bühne demonstriert. Ein Plattenspieler ist da aufgebaut, und vom Vinyl wird ein prägender Track aus der Vergangenheit vorgespielt. Was da ausgewählt wurde? Die Lösung gibt es am Tag nach dem Konzert auf ihrer Facebook-Seite.

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