Der Tanz um die Bären

Die Ausstellung «Winter Line» von Ross Birrell und David Harding in der Basler Kunsthalle bietet nicht nur was fürs Auge, sondern auch fürs Ohr.

Wojtek, einst Maskottchen der polnischen Armee, wartet als Plastik von Ross Birrell und David Harding in der in Rot getauchten Kunsthalle auf bessere Zeiten. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Ausstellung «Winter Line» von Ross Birrell und David Harding in der Basler Kunsthalle bietet nicht nur was fürs Auge, sondern auch fürs Ohr.

Es gibt in der Kunsthalle Basel immer wieder Ausstellungen, bei denen es sinnvoll ist, vorher den Saaltext zu lesen. Einige Besucher hat dieser Umstand schon so sehr verschreckt, dass sie gar nicht mehr wiederkommen. Sie sind der Meinung, Kunst müsse sinnlich erfahrbar sein.

Das Konzept der aktuellen Ausstellung «Winter Line» füllt mehrere Seiten Papier – und führt zu einem rauchenden Kopf, wenn man es sich erzählen lässt. Siehste, werd ich mir sparen, werden sich die soeben Beschriebenen sagen. Sollten sie aber nicht. Denn «Winter Line» bietet auch denjenigen etwas, die nur hören und sehen wollen und sich das Konzept schenken. Nur Musik sollten sie mögen.

Verwirrend wie ein Stammbaum

Ich war kurz versucht, nachdem mich Kuratorin Ruth Kissling durch die Räume geführt hatte, eine Zeichnung oder eine Mindmap anzufertigen statt einen Artikel zu schreiben. Diese hätte allerdings wohl ungefähr so verzweigt ausgesehen wie der Stammbaum einer Grossfamilie. Und wäre dementsprechend verwirrend gewesen. Ich versuche also nun doch mit Worten zu beschreiben und zu entwirren, was Ross Birrell und David Harding, die beiden Künstler von «Winter Line», antreibt.

Birrell (*1969) war einst Schüler von Harding (*1939) an der Glasgow School of Art. So lernten sich die beiden kennen, und seither machen sie gemeinsam Kunst. Inzwischen waltet auch Birrell als Dozent an jener Schule.

Birrell spielt kein Instrument. Dies ist insofern von Bedeutung, als wir in «Winter Line» diversen von Birrell komponierten Musikstücken lauschen. Der Schotte komponiert stattdessen am Computer. Umgesetzt werden die Musikstücke dann mit klassischen Instrumenten.

Politische Dissonanzen

Durch die Kunsthalle also schwirren Klänge. Erstaunlicherweise stören die einzelnen Werke sich gegenseitig aber nicht. Schon im Eingangsbereich hört man bekannte Gesänge: «Guantanamera» schallt aus dem ersten Ausstellungsraum. Tritt man hinein, so findet man sich einem in Nahaufnahme projezierten Gesicht eines singenden Mannes gegenüber. Ein paar Meter weiter tut eine Frau dasselbe. Sie singen dasselbe Lied, doch nicht miteinander, und jeder in seiner eigenen Façon. Die Frau singt etwas schneller, wodurch sich immer stärkere Verschiebungen ergeben. Die Dissonanzen, die so entstehen, stehen bei den beiden Künstlern stellvertretend für die politische Situation, die sie mit dem Werk illustrieren: Der Mann ist Kubaner, die Frau stammt aus Miami. Beide Seiten – die kubanischen Castro-Anhänger wie auch die amerikanischen Castro-Gegner im Exil – haben das Lied von José Martí für sich vereinnahmt.

Etwas Ähnliches findet sich in der Arbeit «Duet» einen Raum weiter. Dort spielen eine Palästinenserin und ein Israeli auf der Viola das Stück «Lift me up for I am dying», das Ross Birrell in Anlehnung an den Dichter John Keats, der diese Worte auf dem Sterbebett gesagt hat, komponiert hat. Wieder nehmen die beiden Künstler Bezug auf eine politische Situation.

Doch nicht nur Politik ist den beiden Schotten ein Anliegen. Manch eine Arbeit ist auch inspiriert vom individuellen Schicksal eines Menschen oder einer gesamten Gesellschaftsgruppe. Mit dem Film «Quartet» leisten sie zum Beispiel einen Beitrag zum Thema Gewalt an Frauen: Darin spielen Mitglieder eines mexikanischen Musikchores einerseits ein Stück aus Haydns «Die letzten sieben Worte unseres Erlösers am Kreuze», andererseits tragen vier junge Frauen ein Chorwerk vor, das im 17. Jahrhundert von der Nonne Sor Juana geschrieben wurde, die als Figur des Widerstandes gegen die Brutalität der Lebensbedingungen von Frauen einen festen Platz in der Geschichte hat.

Der Raum als Ganzes

Alles bildet bei Birrell und Harding eine Einheit. Was in den hinteren beiden Räumen auffällt, aber auch schon in den ersten zu erfahren wäre, ist der Einbezug der Oberlichter in den Ausstellungsraum. Farbige Folien bilden auf ihnen ein Muster: Im ersten Saal sind es graue, im zweiten Weisstöne, im dritten verschiedene rote Folien, und im hintersten Saal blaue. Die Muster, in denen die Folien mosaikartig angeordnet sind, folgen einem System aus der Zwölftonmusik. Auch hier nimmt Ross Birrell mit einer eigenen Komposition Bezug auf Vertreter der Neuen Musik mit einer biografischen Parallele: Alle teilen die Erfahrung der Aberkennung künstlerischer Würdigung in repressiven ideologischen Systemen, darunter Iannis Xenakis und Conlon Nancarrow.

Was scheinbar aus dem Rahmen fällt in dieser Schau sind zwei Plastiken in der Form eines Bären. Dabei sind es eben diese, die der Ausstellung den Titel verliehen. Bei dem Tier handelt es sich um das Abbild eines syrischen Braunbären, der in der Schlacht von Monte Cassino im Jahr 1944 die polnischen Einheiten als Maskottchen begleitete. Sie nannten ihn «Wojtek». Der Frontverlauf der damaligen Schlacht erhielt im englischen Sprachgebrauch den Namen «Winter Line».

Die Grenze – oder der Grenzverlauf –, auf die die beiden Künstler damit anspielen, findet sich in irgendeiner Form in jeder ihrer Arbeiten als Gedanke wieder. Um sie zu finden, muss man allerdings tatsächlich lesen. Aber wenn Sie bis hierher durchgehalten haben, haben Sie das ja eigentlich bereits erledigt.

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«Winter Line – Ross Birrell, David Harding», Kunsthalle Basel, bis 23. März 2014.

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