Der Tod steht ihnen gut

Die für den Schweizer Buchpreis nominierten Bücher sind heiter, obwohl sie im Tod enden.

Fünf Bücher, ein Thema: Die nominierten Bücher schauen grimmig in die Welt. (Bild: Nils Fisch)

Die für den Schweizer Buchpreis nominierten Bücher bieten auch heitere Lektüre – selbst wenn sie alle im Tod enden.

Fünf Autoren sind für den Schweizer Buchpreis nominiert, der am Sonntag, 27. Oktober, im Theater Basel verliehen wird. Vier davon sind in den Jahren 1975–1978 geboren und der fünfte, Ralph Dutli, hat mit 59 Jahren sein Prosadebüt geschrieben. Im vergangenen Jahr wurden arrivierte Literaten nominiert, dieses Jahr richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Jüngeren im Geschäft.

Buchpreis

Der Schweizer Buchpreis wird am Sonntag, 27. Oktober, um 11 Uhr im Theater ­Basel verliehen.

In ­unserem Online­dossier «Kimstedt liest» finden Sie Video­kritiken zu den einzelnen Büchern.

Umso erstaunlicher, dass diese Autoren noch etwas ganz anderes verbindet: In allen fünf Büchern nimmt der Tod eine zentrale Rolle ein, auch wenn diese Gemeinsamkeit auf den ersten Blick nicht auffällt, so unterschiedlich sind die Texte.

Blinde Gipfelstürmer

In Henriette Vásárhelyis Roman «Immeer» ist der Tod freilich der Ausgangspunkt. Die junge Berlinerin Eva verliert ihren geliebten Freund Jan und kommt mit ihrer Trauer nicht klar. Klassischerweise führen solche Texte zurück ins Leben und zu einem Neuanfang. Vásárhelyi schickt ihre Heldin jedoch in den Freitod.

Doch dieses Buch voll Tod ist nicht das eigentlich verstörende. Vor allem Roman Graf und Jonas Lüscher schildern Formen des «Niedergangs» (so der Titel von Grafs Roman), die den Leser völlig entrückt zurücklassen. Bei Graf unternimmt ein junges Paar eine mehrtägige Wandertour in den Schweizer Alpen, Ziel ist ein 3500 Meter hoher Gipfel. Zusammen haben sie minutiös geplant, doch Louise zickt pausenlos rum. Als sie schliesslich umkehrt, ist André so gekränkt und in seinem Willen angestachelt, dass er die leichtsinnige Besteigung allein durchzieht.

Er ist ein weltoffener Mann wie du und ich: Ressentiments, die er in sich entdeckt, verwirren ihn eher, als dass er sich mit ihnen identifiziert. Den Launen seiner Freundin begegnet er mit einer Mischung aus Duldung und unterdrückter Wut. Wie kann es sein, dass so einer offenen Auges in den Tod läuft? Am Gipfel erklettert er eine Wand, bei der ein Abstieg alleine unmöglich ist. Doch Graf erzählt nicht einfach vom berüchtigten Gipfelsog. In André ­wütet ein Überwindungstrieb, ein ungezügelter Wille. So grotesk ist seine Blindheit, dass es scheint, er suche seinen Tod – doch ohne es zu merken. Er überrascht sich damit selbst noch mehr als den Leser. Die Lektüre liegt schwer im Magen. Gerade erkannte man sich in André noch wieder, wenn auch ungern, schon ist er an sich selbst zerschollen.

Kleistsche Dimensionen

Jonas Lüscher macht es einem nicht leichter. Die Katastrophe in seiner Novelle «Frühling der Barbaren» nimmt kleistsche Dimensionen an. Ein Schweizer Geschäftsmann gerät im Tunesienurlaub durch Zufall an eine englische Hochzeitsgesellschaft. Lauter Banker, völlig dekadent, Oasenresort, die Brautleute lassen es sich ein Vermögen kosten. Über Nacht bricht die englische Wirtschaft zusammen, alle Gäste sind zahlungsunfähig und werden am Morgen aus dem Resort geworfen. Doch bevor sie gehen, entfesseln sie eine Gewaltorgie.

Unter dem zusammengebrochenen Finanzsystem gibt es keinen kulturellen Boden, der die Touristen hält. Sie lebten in einer Scheinkultur und haben sich eine Identität übergestülpt, die leicht zu haben war. Nun treffen ein paar Mails auf ihren Smartphones ein, und die Barbarei feiert Frühling.

Ähnlich wie bei Roman Graf kommt der Niedergang bei Jonas ­Lüscher überraschend. Elegant spinnen sich seine Sätze dahin. Während man sich genüsslich im Sprachfluss wiegt, erwacht in einem der Dandy alter Schule. Und dann das! Aus der hohen Sprachkultur ist die Fallhöhe doppelt.

Einmal so tief gelandet, erscheint Ralph Dutlis «Soutines letzte Fahrt» geradezu passend. Das Romandebüt schildert die letzten Tage des russisch-jüdischen Malers Chaim Sou­tine, der 1943 im besetzten Paris stirbt. Den Tod trägt das Buch bereits im Titel, Soutines ganzes Leben kreist darum. Unter der deutschen Besatzung macht er sich unsichtbar, sein eigentliches Ableben bleibt fast unbemerkt. Sein Verrecken steht unter dem Stern des Regimes, in dem sich der Kulturverlust grösstmöglich verdichtet hat.

Wir spielen mit hohem Einsatz

Und «Carambole»? Alles scheint so unschuldig. Zwölf Bewohner eines Schweizer Dorfes tragen sich mit Gefühlen von vertaner Vergangenheit und ungenährter Hoffnung. Warten auf nichts, offene Fragen liegen in der Luft. Dauernd kündet sich etwas an, doch nichts geschieht. Ach doch. Eines Tages liegt ein Toter in der Scheune. Aber er ist nicht die Auflösung ­einer verborgenen Handlung, die nun ans Licht kommt. Er ist ein Beiwerk. Er ­illustriert nur, mit welchen Einsätzen diese Dorfgesellschaft spielt, während sie misstrauisch um sich selbst herumschleicht. Alles ist vertan, alles ist langweilig, und mit ­einem Mal öffnet sich auch hier der Abgrund.

Die nominierten Bücher treten nicht auf, als wollten sie das Ende der Zeit verkünden. Alle könnten auch anders enden. Man hat beim Lesen heitere Zeiten. Und gerade damit hinterlassen sie Verwirrung: Krisenfest, wie wir uns fühlen, auf welchen Füs­sen stehen wir?

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 25.10.13

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