Radikales Facelifting bei den Schweizer Skifahrern: Der neue Schweizer Alpinchef Rudi Huber kommt aus Österreich – und hat seine Landsleute mitgebracht.
Manchmal kommt sich Rudi Huber beinahe schon vor wie Marcel Koller. Der Fussballcoach war seinerzeit in Österreich ja auch nicht wirklich mit offenen Armen und tosendem Applaus empfangen worden. Heute, zwei Jahre später, kann sichs im österreichischen Fussball plötzlich niemand mehr ohne den 52-jährigen Zürcher vorstellen.
Und die eigene Facebook-Gruppe «Marcel Koller soll Trainer des österreichischen Nationalteams bleiben» hat binnen weniger Tage bereits 50’000 Likes gesammelt. Ob Rudi Huber nach zwei Jahren als Alpinchef der Schweizer Skifahrer wohl ähnlich gefragt und beliebt sein wird wie der Schweizer Teamchef der österreichischen Fussballer?
Der 50-jährige Österreicher ist sich jedenfalls darüber im Klaren, dass seine Arbeit derzeit teilweise noch sehr kritisch beäugt wird. Dass ausgerechnet ein Mann aus dem Lande des ewigen alpinen Erzrivalen den Schweizer Skisport wieder zurück in die Erfolgsspur bringen soll, wird vor dem Saisonstart in Sölden vom 26. und 27. Oktober nicht überall gerne gesehen. Als gäbe es in der Schweiz keine geeigneten Skitrainer.
Der Neue hält sich nicht zurück
«Hier gibt es viele hervorragende Leute und jeder gibt sein Bestes», hält Rudi Huber dagegen, «aber wegen des föderalistischen Denkens und der unterschiedlichen Auffassungen vom Skirennsport geht vieles in verschiedene Richtungen.» Mit Aussagen wie diesen macht er sich nicht überall Freunde. «Aber Marcel Koller hatte es beim Österreichischen Fussballbund anfangs auch nicht leicht», erinnert Huber.
Der langjährige Rennchef der Skifirma Atomic ist bei seinem Amtsantritt in der Schweiz alles andere als zurückhaltend vorgegangen. Kaum ein Stein blieb auf dem anderen, etliche Führungskräfte wurden ausgetauscht. Damit kam er auch dem Wunsch des TV-Experten Bernhard Russi nach, der nach der schlechtesten Weltcup-Saison aller Zeiten vor allem im Schweizer Herren-Team einen totalen Cut gefordert hatte. «Die gesamte Mannschaftsleitung inklusive Trainer muss durchmischt werden.»
Vielleicht radikaler, als der Verband gedacht hatte
Rudi Huber hat in wenigen Monaten die Mannschaft einem umfassenden Facelifting unterzogen, vielleicht sogar einem radikaleren, als viele im Schweizer Skiverband bei seiner Anstellung gedacht hatten. Auffallend bei der Palastrevolution: Der neue starke Mann schart vorwiegend Vertrauensleute um sich, die er aus seiner Heimat kennt.
Der neue Herren-Chef Walter Hlebayna? Ein Österreicher. Der neue Herren-Abfahrtstrainer Walter Hubmann? Ein Österreicher. Der Individualtrainer, der Beat Feuz nach seiner langen Verletzungspause wieder zurück in den Weltcup führen soll, Sepp Brunner? Ebenfalls ein Österreicher. Der Nachwuchs-Coach für den Europacup-Kader Helmut Krug? Natürlich ein Österreicher. Der Big Boss der Schweizer Ski-Damen, Hans Flatscher? Ein Österreicher, was sonst.
Wen wundert es da noch, dass die Schweizer Skimannschaft bereits lange vor dem offiziellen Weltcup-Auftakt von der Konkurrenz einen neuen Kosenamen verpasst bekommen hat. Einen wenig schmeichelhaften: Österreich III. In Anlehnung an das US-Ski-Team, das mittlerweile längst nur mehr Österreich II genannt wird, seit dort nahezu ausschliesslich Trainer aus dem skiverrückten Land der Marcel Hirschers, Hermann Maiers und Franz Klammers das Sagen haben.
Österreicher werden icht nur positiv aufgenommen
«Ja, es ist auffallend, dass die Österreicher in Führungspositionen sind», gesteht Rudi Huber, «das ist auch nicht durchgehend super positiv angenommen worden. Aber ich bin sicher, die richtigen Leute auf den richtigen Positionen zu haben.»
Die richtigen Trainer sind das eine, die wichtigen Rennläufer das andere. Vor allem die Schweizer Ski-Herren waren im vergangenen Weltcup-Winter nahezu im Kollektiv grosse Sorgenkinder. Die erste riesige Lücke hatte bereits der Rücktritt von Altstar Didier Cuche gerissen.
Erschwerend hinzu kamen die gesundheitlichen Probleme von Carlo Janka, dem Weltcup-Gesamtsieger des Winters 2009/10, der verzweifelte, aber vergebliche Comeback-Versuch von Daniel Albrecht, dem dreifachen WM-Medaillengewinner von 2007, sowie die Verletzungsmisere von Beat Feuz, dem Gesamtweltcup-Zweiten von 2011/12, der mit seinen 26 Jahren bereits 15 (!) Knieoperationen über sich hatte ergehen lassen müssen.
«Kein Verband der Welt kann es verkraften, auf so viele potenzielle Gesamtweltcup-Sieger, Weltmeister und Olympiasieger verzichten zu müssen», sagt Huber. «Speziell bei den Herren war die Verunsicherung gross.»
Die Spiele von Sotschi kommen zu früh
Die personellen Probleme konnten auch die vielen neuen Trainer aus Österreich über den Sommer nicht beheben. Im Gegenteil: Zumindest beim Riesenslalom auf dem Gletscher in Sölden ist die Schweizer Personaldecke dünner denn je: Daniel Albrecht hat viereinhalb Jahre nach seinem Horrorsturz in Kitzbühel die Aussichtslosigkeit seines Comeback-Versuches erkannt und mit 30 die Karriere beendet: «Ich gehe als gesunder Mensch.» Beat Feuz will nach seiner Knieverletzung erst Ende November einen neuen Anlauf im Weltcup wagen. Und der Riesenslalom-Olympiasieger Carlo Janka verzichtet auf das Rennen in Sölden, weil er der Form vergangener Jahre noch hinterherhinkt.
«Wir sind in der Nationenwertung derzeit nur auf Platz sieben, das ist für ein Skisportland wie die Schweiz natürlich eine Katastrophe», erklärt Rudi Huber und schickt gleich eine Entschuldigung hinterher. «Die Olympiasaison kommt für uns viel zu früh.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 25.10.13