Die Antwort rauscht im Wind

Das Künstlerduo «Semiconductor» verbindet in seinen ausgezeichneten Videoinstallationen Forschung und Kunst. Abstrakte Daten werden in Bild und Klang übertragen: Man wandert durch die Wissenschaft wie durch ein Stück Natur.

(Bild: zVg)

Das Künstlerduo «Semiconductor» verbindet in seinen ausgezeichneten Videoinstallationen Forschung und Kunst. Abstrakte Daten werden in Bild und Klang übertragen: Man wandert durch die Wissenschaft wie durch ein Stück Natur.

In einem Video der Ausstellung «Let There Be Light» wird Naturwissenschaftlern aus Berkeley die Gretchenfrage gestellt: Kann die Naturwissenschaft alles verstehen? Die Forscher stutzen. Und sind sich zumindest darin einig, dass dies eine sehr gute Frage ist. Offensichtlich gehört sie nicht zu ihrem Alltag.

Die moderne Naturwissenschaft hat eine Eigendynamik entwickelt. Es wird geforscht aus Faszination an den Dingen, aus reinem Wissensdurst. Doch das errungene Wissen wird in keinen Weltplan eingetragen. Die Frage, was der Mensch wissen muss, um sich in dieser Welt durchzuschlagen, ist von gestern. Sie wurde in Zeiten zurückgelassen, als sich die Naturwissenschaft noch berufen fühlte, ein schlüssiges Sinngebäude zu errichten. Das moderne Verstehen kommt ohne diesen Anspruch aus, beziehungsweise – das ist Geschmackssache – es hat ihn verloren.

Verwendung für verlorene Daten

Auch die Videoinstallationen des Künslerduos «Semiconductor» geben zunächst keine Antworten. Sie treten auch nicht in Opposition zur Wissenschaft. Sie schlagen die Brücke, indem sie wissenschaftlich ermittelte Daten in Bildern und Klängen neu erzählen.

Semiconductor
Ruth Jarman (40) und Joe Gerhardt (41) kennen sich vom Kunststudium in Brighton (UK), wo sie bis heute leben und seit 1997 zusammen arbeiten. Ihr Werk wird international ausgestellt und wurde mehrfach ausgezeichnet. Der Name «Semiconductor» steht für «Halbleiter» – auf Hälfte der Leitung zwischen Computer und Mensch, Kunst und Wissenschaft. Nicht halb sondern ganz und gar selbst macht das Duo seine Werke: von Video- und Tonaufnahmen über virtuelle Animationen und Bearbeitung bis zur fertigen Installation. «Let There Be Light» im Haus für elektronische Künste Basel ist die erste Einzelausstellung der beiden Künstler in der Schweiz. Bis 30. Juni.

Zum Beispiel gab es da einen Forscher auf Galápagos, der 30 Jahre lang ein Mikrofon in die Erde des besagten Vulkans hielt und die Geräusche seiner Aktivität mitschnitt. Schlauer geworden ist er dadurch nicht. Das wird bei ihm, der nicht weiss, was er eigentlich wissen will, ein flaues Gefühl hinterlassen haben. Dafür haben die Semiconductors nun eine Verwendung gefunden und ihre Videoaufnahmen desselben Vulkans mit dem Tonmaterial des Forschers zusammengeführt. Geräusche von malendem Fels, donnernd und brodelnd, nie gehört – doch sie zeichnen das Bild des Vulkans weiter, machen es plastisch. Hinzu kommen seismographische Messungen aus dem Vulkangebiet, welche die Künstler in einen Bildeffekt umgewandelt haben. Die Erruptionen und Erschütterungen sind nun als Verzerrungen der Felsformationen sichtbar.

Die Videoinstallationen übertragen und verfremden die Daten der Forschung, doch erzählen sie im Grunde dieselbe Geschichte. Sie holen die Daten ins Erleben, man hört sie und sieht sie, man durchwandert sie wie ein Stück Natur. Vielleicht ist diese Darreichungsform der Wissenschaft näher, als sie selber denkt. Zurück beim Interviefilm findet einer der Forscher jedenfalls eine Formulierung auf die grosse Frage, die genau dies ausdrückt: «Die Antwort liegt im Rauschen des Windes.»

Die Antwort im Geräusch

Der Satz erinnert an Bob Dylan und an Buddha. Im Abstand von 2500 Jahren beantworten beide die Fragen, die das Leben stellt (und nicht der Wissensdurst), mit dem Geräusch eines Elements. Bob Dylan hört ebenfalls den Wind rauschen («The answer is blowing in the wind»). Buddha beschränkt sich im Moment seiner Erleuchtung darauf, dem Rauschen des Neranjara-Flusses zuzuhören, weil das Wasser alles weiss. Beide geben Antworten, die keine sind: Sie verweisen auf die Unsagbarkeit.

Doch sie können mehr als das. Sie wissen erstens, wer die Antwort nicht hat (die Sprache mit ihrem Vermögen, Aussagen zu treffen), zweitens, wer sie stattdessen hat (die Geräusche von Wind und Wasser), und vor allem wissen sie drittens, dass die Frage solange unsinnig ist, wie sie nach einer Antwort in Aussageform sucht.

Und jetzt, weiss man mehr? Die Videoinstallationen von «Semiconductor» behaupten nichts. Vielleicht stösst man dennoch auf Antworten. Die Installationen sind ein Tönen, Flackern und Rauschen, wie Wasser und Wind.

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