Die Beats von Meister Lampe brauchen keine Rapper mehr

Der Basler Hip-Hop-Produzent Meister Lampe ist eine Ausnahmeerscheinung in der Szene. Er packt so viel Welt in seine Beats, dass kein Platz für Rapper übrig bleibt.

Simon Selinger aka Meister Lampe kennt keine Berührungsängste. Seine Beats bastelt er aus folkloristischen Klängen der ganzen Welt zusammen.

Meister Lampe ist anders. Bereits der Name des Basler Beatproducers verweigert sich jedem Hip-Hop-Klischee: Hinter dem Drumcomputer steht kein Bad Boy mit fiesem Blick, sondern ein freundliches Langohr. Unbeschwert hoppelt es durch die Genres und grast die musikalische Landschaft gekonnt nach feinen Tönen ab. Namengebend war der Hase aus der Fabel, dessen grossen Ohren nichts entgeht.

Wir treffen uns im «Klara». Simon Selinger, wie Meister Lampe bürgerlich heisst, hat sich eine doppelte Portion Koffein bestellt. «Das kommt vom Job», erklärt er. Als Sozialpädagoge zuerst im Basler Waisenhaus, jetzt in einem Jugendtreff im Zürcher Oberland, muss Selinger auf Zack sein, Kaffee hilft. Daneben macht er Musik, eigentlich immer schon, doch in den paar letzten Jahren wurde das Hobby erwachsen.

Vom Flamenco zum Death Metal

Dass der Künstler trotz aller Reife so verspielt bleibt wie seine Musik, zeigt sich später beim Fotoshooting. Selinger findet die Idee der Fotografin, er solle mit einem riesigen Plüschtiger posieren, auf Anhieb lustig. Geduldig kuschelt er mit dem unförmigen Vieh, sichtlich bemüht, einen ernsten Blick zu wahren.

Wenn man Lampes kürzlich veröffentlichtes Soloalbum anhört, fühlt man sich wie ein Backpacker auf Reisen. Denn der 30-Jährige sampelt sich darauf durch die Weltgeschichte. Ein Stück klingt nach verschwitztem Tänzchen zum Konzert einer Strassenband in Havanna, das andere nach zwei, drei Gläsern Raki in einer Istanbuler Hafenkneipe.

Eröffnet wird die Scheibe mit einem Gospelvocal, das mit Orgel und knackiger Drum zu einer frischen, äusserst tanzbaren Nummer zusammengemischt wurde:

«Orb» heisst die Platte, die nicht nur über die üblichen Download-Links und Streamingdienste vertrieben wird, sondern auch in einer limitierten Kleinauflage von 300 Stück auf Vinyl erschienen ist.

Selingers Flair für Worldmusic geht weit zurück. Nachdem er sich als Fünfjähriger mit der Ukulele an Mani Matter versucht hatte, suchte er sich einen Gitarrenlehrer. «Ich lernte spanische Gitarre und spielte bald Flamenco. Mich faszinierten die Direktheit und die Lebendigkeit der spanischen Folklore.»

Sein Spektrum wurde breiter, seine Plattensammlung immer grösser. Bevor Selinger jedoch als Meister Lampe zum Sprung in den Hip-Hop ansetzte, gründete er eine Band. Helminth spielen Death Metal und Selinger gibt den growlenden Sänger. Der nette Hoppler mag auch Düsteres, auf seinem Rücken prangt als grosse Tätowierung ein blutige Tränen weinender Widderkopf, wie auf Instagram zu sehen ist.

Schmuggelware aus dem Iran

Als Beatproduzent kann Selinger mit seinem eklektischen Musikgeschmack auftrumpfen. Die Samplingkultur im Hip-Hop bietet ihm den Raum, aus seinem breiten Repertoire zu schöpfen. Er kann sich da und dort bedienen, Schnipsel aus bestehenden Stücken rausschneiden, sie neu zusammensetzen und mit synthetischen Bässen und Drums ergänzen.

Meister Lampe machte sich schnell einen Namen mit seinen exotischen Produktionen. Beatproducer sind Nerds, je obskurer die Samples, desto besser. Klassischerweise bedienen sie sich im Hip-Hop bei Soul, R ’n‘ B und Jazz. Selinger fand seine Nische in der Worldmusic.

Er hört sich stundenlang durch iranische Schlager und libanesischen Funk und zimmert daraus zu Hause feinen Instrumental Hip-Hop. Zum Gespräch bringt er ein paar Platten mit. «Das hier ist ein Stapel Singles aus dem Iran. Die wurden dort verboten und aus dem Land geschmuggelt. Und ich habe sie einem dänischen Sammler für unanständig viel Geld abgekauft», grinst Selinger.

 «Inzwischen kommen sogar Jazz-Fans zu meinen Konzerten, das ist eine grosse Ehre»

Anklang gefunden hat Selinger auch ausserhalb der Basler Szene. Edgar Wasser und Johnny Rakete haben schon über Lampe-Beats gerappt. Zwei Künstler, die für geistreichen deutschsprachigen Untergrund-Rap stehen. Zusammen mit seinem Basler Produzentenkumpel Funky Notes hat Selinger vergangenes Jahr auf der gemeinsamen «Luv Compilation» sechs deutsche MCs vereint, darunter weitere klingende Namen wie Marz und Veedel Kaztro.

So kamen zwar namhafte und auch erfolgreiche Zusammenarbeiten zustande, doch etwas bekam Selinger von verschiedenen Rappern immer wieder zu hören: «Deine Beats sind toll, aber sie sind auch sehr dicht. Da bleibt kaum noch Platz für uns Rapper.»

Nur ein paar wenige Exemplare aus der grossen Plattensammlung im Hause Selinger.

Was Selinger zuerst verunsicherte, deutete er irgendwann in eine Stärke um. «Ich merkte, dass ich gar keinen Rapper brauche. Meine Musik funktioniert für sich alleine.» Meister Lampe, der Bedroom-Producer, entdeckte die Bühne für sich. «Ich liebe live. Da kommt mein altes Ich als Frontmann einer Metalband zum Vorschein.» Er begann, seine Beats auf Konzerttauglichkeit hin zu produzieren, und spielte immer mehr Shows, alleine letztes Jahr waren es über 30. «Inzwischen kommen sogar Jazz-Fans zu meinen Konzerten, das ist eine grosse Ehre», lacht er.
Der guten Resonanz des Livepublikums ist es zu verdanken, dass Selinger sich nach vielen Co-Produktionen dazu aufraffte, endlich ein Soloalbum zu veröffentlichen. Eine informelle Zusammenarbeit mit dem deutsch-schweizerischen Label okwow tat ihr Übriges. «Orb» fand mit dem feinem Artwork des jamaikanischen Künstlers Taj Francis auf dem Cover derart grossen Anklang, dass der Tonträger nach zwei Monaten bereits vergriffen ist.

Selinger fühlt sich bestärkt. «Es ist ein guter Zeitpunkt. Soloshows von Beatproducern werden beliebter, die Hip-Hop-Produzenten treten aus dem Hintergrund hervor.» Er will auf seiner Instrumentalschiene weiterfahren, am liebsten auch international Konzerte spielen. «Damit ich endlich etwas mehr reisen und mir die ganzen Folklore-Platten vor Ort kaufen kann, statt sie nur im Internet zu bestellen oder am Flohmi auf dem Petersplatz in Kisten danach zu wühlen.»

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