Madonna live sehen und …, ja, und was eigentlich? Die TagesWoche hat ein Konzert ihrer aktuellen Tour besucht und hinter die Kulissen von Mega-Schauwerten und Playback-Spektakel geblickt.
Superlative in Pop stellen keine seltenen Pflänzchen, sondern einen kaum zu durchdringenden Wald aus albernem Unkraut dar. Es gibt hier nur ganz wenige Übertreibungen, die letztlich keine sind. Eine davon ist ganz sicher der Titel: Queen of Pop. Hallo, Madonna! Mit dem Ableben des Kings, also Michael Jackson, ist sie der letzte globale Superstar. Vielleicht sogar die letzte ihrer Art, denn ob Überflieger wie Lady Gaga wirklich auf Dauer im Olymp Hof halten werden, es bleibt zu bezweifeln – vor allem auch nach den Karrieren von vermeintlichen Madonna-Erbinnen wie Christina Aguilera (wer?) und Britney Spears (oh je!).
Dennoch genießt die Queen of Pop schon lange keine gute Presse mehr. Ihr neues, zwölftes Studioalbum «MDNA» wird lustvoll verachtet, für ihren einst stilprägenden Sex-Appeal schlägt ihr mehr und mehr Häme entgegen. Die Welt liebt ihre Stars – und will sie doch nur scheitern sehen. Ein Ort, an dem all diese Projektionen nun kulminieren, ist die aktuelle Tour. Madonna ist in der Stadt, Mütter sperrt eure Tänzer ein!
Madonna lässt sich Zeit
Am 18. August 2012 wird sie im Letzigrund-Stadion in Zürich sein, gestern war sie in Köln in der Lanxess Arena. Und Madonna, das sollte jeder wissen, der es eilig hat, lässt sich auf ihren Konzerten dieser Tage Zeit. Eröffnet wird der Abend daher nicht besonders pünktlich von Martin Solveig, dem bis dato eher noch nicht in größeren Zusammenhängen aufgefallenen Produzenten und DJ. Doch er saß bei der aktuellen Naja-Single «Give Me All Your Luvin» an den Reglern und darf nun auch live für die Diva ein paar Knöpfchen zum Anheizen drehen.
Das Set ist, man muss es so deutlich sagen, eine Unverschämtheit. Solveig spielt ein paar Charts-Hit an, legt Beats drunter – in jeder Bums-Disco vor der Stadt mag das okay sein, aber dieser triviale Animierkram ist einer Königin nicht würdig. Dennoch bekommt er letztlich eine ganze Stunde Zeit, simuliert dabei konstant mit eingespielten Madonna-Melodien, es würde gleich mit dem Haupt-Act losgehen – sein einzig guter Kniff. Denn so verhindert er, dass er vom Publikum gelyncht wird.
Ein aufwändiges Musical
Nach einer einstündigen Umbaupause ist es weit nach zehn Uhr aber auch endlich soweit. Gestalten in weiten Roben ziehen an einem Glockenseil, die Szenerie erinnert an «Der Name der Rose». Aus Glockenschlägen werden Beats, aus Mönchen werden Tänzer. Das Spektakel bricht los. Alles scheint dabei mehr ein aufwändiges Musical als eine Abfolge von Songs zu sein. In diese von wirklich beeindruckenden digitalen Effekten strukturierte Show mischen sich, neben den voll ausgespielten Stücken der neuen Platte, auch immer wieder Passagen ihrer größten Hits.
Mit dieser Medley-Anmutung gelingt Madonna der Spagat zwischen Erwartung des Publikums (die alten Hits! Die alten Hits!) und dem eigenen künstlerischen Anspruch (nicht die eigene alte Hitmaschine sein zu müssen). Der Rest ist eine Explosion der Schauwerte. 30 Musiker und Tänzer werden teilweise an Stahlseilen in schwindelnde Höhen gezogen, Madonna singt (allerdings Playback), spielt Gitarre, tanzt und hat in dem durchgeplanten Spektakel auch immer Zeit für Kommunikation mit dem Publikum.
Das stellt der Perfektion dann so viel Charme und Spontanität an die Seite, dass man sich nicht erschlagen, sondern einfach gut unterhalten fühlen darf. Ein Abend mit Madonna, das mag in diesem Jahrzehnt vielleicht kein prickelndes Abenteuer mehr sein, aber es ist in jedem Fall Popcorn-Kino zum Zunge schnalzen.
Linus Volkmann lebt in Köln und ist neben anderen Autorentätigkeiten stellvertretender Chefredaktor bei Intro.