Sinéad O’Connor verzichtet in Augusta Raurica auf ihren grössten Hit – tröstet mit anderen starken Songs aber darüber hinweg. Und rundet so ein gelungenes Auftaktwochenende des 22. Stimmen-Festivals ab.
«Ich weiss nicht, wie ihr mit Hitze umgehen könnt – wir Iren könnens nicht.» Das Publikum lacht. Ja, der Mann hat einen trockenen Humor: Mick Flannery, 32, steht auf der Bühne des römischen Theaters von Augst und schlägt sich wacker bei 32 Grad Celsius, die Scheinwerferwärme noch nicht dazugezählt.
Der Singer-Songwriter aus Blarney unterhält mit spröden Ansagen und setzt der drückenden Hitze Ironie entgegen. Das befreit, wenn er von seinen «glücklichen kleinen Liedern über Eifersucht» erzählt und dabei mit seiner hohen, sanft klagenden Stimme die Melancholie und Sehnsucht der Folkmusic in den Pop überführt. Es sind Instantaufnahmen, die oft so klingen, als würde man einen Tom-Waits-Song hochgepitcht abspielen. Nicht viele Lieder bleiben lange haften, aber sie gefallen und sorgen für eine ideale Einstimmung (ein Warm-up wäre ja nicht wirklich nötig…).
Überraschend starker Start
Sinéad O’Connor erscheint um 21.10 Uhr wie aus dem Nichts, ruft «Hello» und legt mit einem Cover los, das durch sein Crescendo einen Sog erzeugt: «Queen Of Denmark» von John Grant, jenem Amerikaner, der vor einem Jahr selber ein denkwürdiges Konzert am Stimmen-Festival gegeben hat.
Es wird noch besser: Mit «4th and Vine» und «Take Me to Church» (von ihrem aktuellen Album) steigert Sinéad O’Connor die Dynamik, serviert Powerrock, den man in dieser Wucht so nicht zwingend erwartet hätte.
So kraftvoll erschien die Irin in der Vergangenheit längst nicht immer auf einer Schweizer Bühne – 2011 etwa gab sie auf der Summerstage der Kunsteisbahn Margarethen ein durchzogenes, eigenartiges Konzert, mit wenigen Ausbrüchen garniert.
Fitter als erwartet
Anders im Jahr 2015. Unterstützt wird sie von einer prächtig aufspielenden Band, insbesondere ihre flankierenden Mitmusikerinnen stechen heraus: Clare Kenny virtuos am Bass und Rhythmusgitarristin Brooke Supple, die erstklassige Backings liefert und mit ihrer höheren Stimme O’Connor zeitweise gar ein bisschen überstrahlt.
Sinéad O’Connor steht im Zentrum, barfuss, in Jeans und Hemd, schützt sich mit einer Sonnenbrille vor tiefergehenden Blicken, man könnte Fragilität reininterpretieren. Aber die 48-Jährige sieht recht fit aus, stabil.
Das war zuletzt nicht immer so, man machte sich bei früheren Gastspielen öfter Sorgen, denn sie schien gezeichnet von Psychopharmaka, mit denen sie ihre Probleme bekämpfte, gezeichnet von Depressionen und Stimmungsschwankungen, die sie in der Vergangenheit immer wieder heimgesucht und auch mehrfach zu Konzertabsagen geführt hatten.
Als unberechenbar gilt die irische Sängerin, seit sie vor 25 Jahren zum Weltstar aufstieg. Sperrig, widerspenstig schwamm sie nicht im Popmainstream mit, sondern stand sich immer wieder selber im Weg, so der Eindruck von aussen.
Mutig und laut protestierte sie gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt: Kriege, Gewalt, sexueller Missbrauch – O’Connor prangerte Missstände an, unvergesslich, wie sie einst gegen die römisch-katholische Kirche und deren Schweigen bezüglich sexueller Missbräuche vorging, indem sie vor laufender Kamera ein Bild von Papst Johannes Paul II. zerriss. Zwar tat sie dies in der TV-Satiresendung «Saturday Night Live», aber die Amerikaner verzeihen eine solche Geste und den Satz «Fight the real enemy» auch nicht im satirischen Rahmen.
Damit verspielte sie es sich mit der grossen Nation. In Europa aber hält sie sich mit Ups and Downs, kämpft weiter, kämpft mal mit sich, mal für andere, tritt kürzer – und tritt dann wieder auf.
Dass es ihr gut geht im Moment, das sieht man an diesem Abend im Freilufttheater, wo sie ein energiereiches Konzert gibt, konzentriert wirkt. Und einige wirklich berührende Songs ins Repertoire packt, die A-capella-Nummer «In This Heart» oder alte Klassiker ihres mit drei Millionen verkauften Exemplaren erfolgreichsten Albums «I Do Not Want What I Haven’t Got»: «The Emperor’s New Clothes» und «The Last Day of Our Acquaintance».
Da verzeiht man ihr auch plätschernde Nummern wie «The Wolf Is Getting Married» und nimmt die Augenblicke in Kauf, in denen die spirituellen Untertöne ein bisschen zu missionarisch werden.
Nein, es ist insgesamt eine kompakte Setlist ohne grosse Durchhänger. Und mit einem kleinen Skandal, denn sie verweigert den 1000 Besucherinnen und Besuchern ihren Überhit, «Nothing Compares 2 You», jene Hymne aus der Feder von Prince, die durch ihre bitterzarte Interpretation erst zum Welthit wurde. Was die Festivalbesucher nicht wissen können: Im April kündigte O’Connor bei ihrem Konzert in Budapest an, den Song zum allerletzten Mal überhaupt zu singen. Bisher hat sie Wort gehalten.