Die Kampfzone als Heimat

Vor 50 Jahren jagte Sean Connery Dr. No, demnächst startet mit «Skyfall» der 23. Teil der Filmsaga um James Bond. Dazwischen liegt die Entwicklungsgeschichte des berühmtesten Agenten der Welt.

50 Jahre Härte, Loyalität und Genuss: Daniel Craig (links) zielt wieder in dieselbe Richtung wie der erste Bond, Sean Connery (rechts). Jetzt wird auch das Leben des Bond-Schöpfers Ian Fleming (Mitte) verfilmt. (Bild: zVg)

Vor 50 Jahren jagte Sean Connery Dr. No, demnächst startet mit «Skyfall» der 23. Teil der Filmsaga um James Bond. Dazwischen liegt die Entwicklungsgeschichte des berühmtesten Agenten der Welt.

«Bond, James Bond.» Die Art, wie Sean Connery während seiner Jagd nach Dr. No vor 50 Jahren diesen Einführungsmoment zelebrierte, legt einen kurzen, aber tiefen Blick in das Innere der Figur frei. Bond sitzt im Casino, man sieht nur seine Hände, die in knappen, sicheren Bewegungen die Pokerkarten aufnehmen und lässig auf den Tisch werfen. Als Sylvia Trench, die Spielkontrahentin gegenüber, nach seinem Namen fragt, schwenkt die Kamera erstmals auf sein Gesicht. Die Zigarette im Mundwinkel hängend, zieht er die Augenbrauen hoch, richtet einen müden, festen Blick auf sie. «Bond», nuschelt er zuerst herablassend, legt das Feuerzeug auf den Tisch, bläst etwas Rauch aus. «James Bond.»

Diese provokante Geste in einer Umgebung der Upper Class, der reichen, mächtigen und stilbewussten Gentlemen (und weniger mächtigen, aber umso schöneren Ladies) ist typisch für Connerys Bond. Der unangepasste Genussmensch schätzt den Luxus der feinen Gesellschaft, tritt über ihre Riten und Manierismen jedoch ironisierend hinweg: Indem er sich nonchalant und spielerisch an den Tresen lehnt und damit eine Gestik pflegt, die derjenigen eines Neureichen aus der Unterschicht gleichkommt.

Bond hat sich hochgeschuftet

In einer Szene von «Goldfinger», der dritten Bond-Darstellung von Connery (1964), ist dieses Wechselspiel vom Arbeiter, der sich hochgeschuftet hat in die mondäne Welt, ohne sich ihr völlig zu ergeben, bruchlos dargestellt: Zuerst dringt er in eine Industrieanlage des Gegners ein, bringt mit konzentriertem, angespanntem Gesichtsausdruck und mit der Effizienz des gelernten Handwerkers eine Bombe an und verwandelt sich beim folgenden Gang in eine Bar in wenigen Sekunden in den souveränen Gentleman.

Unter seinem Tarnanzug trägt er bereits den glattgebügelten Anzug mit Rose im Knopfloch, die Gesichtszüge werden weicher und amüsierter. Während im Hintergrund die Bombe explodiert und Aufregung ausbricht, atmet Bond gelassen den Zigarettenrauch aus, erblickt eine Frau und schreitet mit der Souveränität des Seriensiegers auf sein Ziel zu. Der Smoking sitzt, der Drink passt, die Sprache ist prägnant, Mimik und Körpersprache sind ungezwungen – Bond benimmt sich so, als sei er in einer glamourösen Bar mit viel Geld, aber ohne Geschichte

Tatsächlich hat Bond da noch keine Geschichte, und Connerys Interpretation der Rolle als Emporkömmling aus dem Nichts, der mit schroffer Ironie die Welt erobert, korrespondiert mit seiner Biografie des kraftstrotzenden Schotten, der aus Edinburghs Arbeiterslums nach oben kam, ohne die Härte zu verlieren. Erst in den folgenden Filmen fliessen Details von Bonds Biografie in die Handlungen ein, die Verlusterfahrung durch den frühen Tod der Eltern, die als Ingenieur und Bergführerin der Mittelklasse angehörten, der Kriegsdienst, der militärische Aufstieg zum Commander.

Loyal zu seiner Ersatzfamilie

Umso gegensätzlicher ist Bonds Verhalten in seiner Ersatzfamilie, in den stabil bleibenden Beziehungen zum Personal des britischen Geheimdienstes MI6. Mit der Sekretärin Miss Moneypenny pflegt er einen konstanten, aber züchtigen Flirt, der technische Entwickler Q behandelt Bond wie einen wohlmeinenden Onkel, der mangels Autorität die Albernheiten des Zöglings ertragen muss, und der Chef M ist Ersatz für die verlorenen Eltern.

Connery tritt jeweils unterwürfig und in gebückter Haltung ins Büro und befolgt unwidersprochen Anweisungen, so falsch sie ihm auch erscheinen mögen. Die Loyalität zum Auftrag, die ihn auszeichnet, ist weniger ein Engagement für England, das bei James Bond noch absurd-anachronistische Grossmachtszüge aus der imperialen Vergangenheit trägt und die Amerikaner von der CIA zu blossen Gehilfen degradiert, sie gilt auch nicht der Krone, die stets unsichtbar bleibt und den mehrfachen Weltenretter Bond noch nicht einmal in den Adelsstand erhoben hat. Bonds Obrigkeitsgehorsam gilt M. Dem Clanchef. Der Vaterfigur. Widersetzt er sich einmal den offiziellen Befehlen und handelt auf eigene Faust, wie Timothy Dalton in «Lizenz zum Töten» (1989), unterstützt ihn die Familie heimlich und nimmt ihn am Ende wie einen verlorenen Sohn wieder auf.

Zynismus als Schutzwall

Der Charakter James Bond hat aus diesem verschlossenen Ursprungscharakter heraus seine Entwicklungsgeschichte durchlebt: Mit Roger Moore gewann er aristokratischere und weltmännischere Züge, genährt durch die stattliche Zahl seiner Missionserfolge, unter deren Routine die Filmreihe zu ermüden begann. Mit Daltons auf Menschlichkeit und Verletzlichkeit angelegter Darstellung rückte die Sinnfrage am Ende einer langen Karriere in Bonds Bewusstsein.

Pierce Brosnan führte die Figur schliesslich ins Finale: Blickte Bond auf sein Leben zurück, blieb ihm einzig stumpfer Zynismus als Schutzwall. Von seinem Gegner in «Goldeneye» (1995) befragt, wie er nachts all die Schreie der Ermordeten aushalte, zuckte Bond nur mit den Schultern, und als ihm seine Gefährtin Natalya in einem Moment der Romanze dieselbe Gewissensfrage stellte, starrt er regungslos aufs Meer und sagte: «Das ist es, was mich am Leben hält.» Bond war der alte Kämpfer, der nicht aufzuhören wusste, bis ihn in «Die Another Day» (2002) die Technik allmählich verdrängte.

Craig nähert sich Connery an

Mit dem jüngsten Relaunch der Erfolgsserie und der Besetzung der Hauptrolle durch Daniel Craig griff die Broccoli-Familie, Produzentin der Filmreihe, schliesslich den einzigen Strang der Agentenkarriere von 007 auf, der noch übrig zu bleiben schien: den Anfang. Craig wehte bei Amtsantritt ein eisiger Wind entgegen: als unbeholfener Kraftprotz galt er, der weder zur routinierten Action Brosnans noch zum leichtfüssigen Klamauk Moores fähig war, und die elegante Härte Connerys schnaufend, brüllend und stöhnend brutalisierte. Tatsächlich aber führt Craig die Figur so nahe an Connery heran wie keiner vor ihm, genauer: Er entwickelt die Persönlichkeit Bonds so weit, bis sie zur Übernahme Connerys gereift ist.

Diesen Kunstgriff im Zeitablauf machte die Verfilmung von «Casino Royale» (2006) notwendig, Craigs Debut und gleichzeitig die erste Mission von Bond als Doppelnull-Agent. Vieles, was Connery auszeichnete, wurde in Craig a posteriori angelegt: der Spott in der Mimik, die Härte im Kampf, der Hang zum Suff. Noch hat sich Bond in der gehobenen Welt nicht zurechtgefunden – sein Anzug sitzt schlecht, der Kragen ist meist offen, seine Sprache derb. Und im Verhältnis zu M sind noch Spuren von spätpubertärem Rebellentum gegen den Elternersatz – nun als Mutterfigur – vorhanden. Er widersetzt sich Befehlen, reagiert wütend auf Kritik, sucht schlaumeierisch nach Emanzipation, um am Schluss von «Quantum of Solace» (2008) wieder in den Schoss der Familie zurückzukehren.

Als M seine Suspendierung aufhebt, die er sich wegen eines ignorierten Rückrufs nach London eingehandelt hat, bekennt er: «Ich war nie weg.» Craig stellt Bonds Coming-of-Age-Prozess vom emotionalen, besserwisserischen Adepten, der sich beweisen will, zum loyalen Untergebenen nach und macht damit denjenigen Bond, den Connery geprägt hat, nachträglich erst möglich. Klimax dieses Prozesses ist die Liebesgeschichte um Bond und Vesper Lynd, für die Bond die vom «Elternhaus» vorbestimmte Karriere aufgegeben hätte und die in Verrat, Enttäuschung und dem Tod der Geliebten endet. In der letzten Szene von «Quantum of Solace» wirft Bond eine Halskette, die Vesper gehört hatte, in den russischen Schnee. Die Liebe ist tot, übrig bleibt der Kampf, das Böse, der Alkohol – und die Frauen.


Bowies Sohn verfilmt das Leben von Bonds Schöpfer
Das Leben von Ian Fleming, dem Schöpfer von James Bond, hält mit der Intensität seiner Romanfigur zwar nicht ganz Schritt. Aber auch die Biografie des britischen Schriftstellers, der 1964 im Alter von 56 Jahren starb, gibt genug Stoff für einen Film her: Ian Fleming war Kommandant im Marinegeheimdienst der Krone, als Spion im Zweiten Weltkrieg aktiv sowie zu Friedenszeiten als Auslandsjournalist tätig. Zudem war er wie seine Romanfigur James Bond sportlich, liebte den Alkohol, Zigaretten und die Frauen – und bereiste die Welt. Ian Flemings Leben soll nun fürs Kino verfilmt werden. Regie führt Duncan Jones («Moon», «Source Code»), der Sohn von David Bowie. Der Drehbeginn ist für Ende 2012 angesetzt.

 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.09.12

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