Während das Bankgeheimnis bröckelt, ist der Kunsthandel immer noch eine feste Bastion für diskrete Geschäfte. Doch der Beton hat erste Risse.
Mit einem Warenwert von 100 Dollar war das Gemälde deklariert, das 2007 gut verschnürt in Washington eintraf. Als die Zollbeamten das Paket öffneten, blickten sie auf «Hannibal» – ein acht Millionen Dollar schweres Werk von Jean-Michel Basquiat aus der Sammlung des brasilianischen Bankers Edemar Cid Ferreira. Dieser war eben zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt worden, nachdem er seine Bank in den Ruin getrieben hatte. Schon hinter Gittern, versuchte er, Teile seines Vermögens ins Ausland zu retten – in Form von hochwertiger Kunst.
Dass sich bemalte Leinwände ganz passabel zur Abwicklung von Finanzgeschäften eignen, ist hinlänglich bekannt. Doch die jüngste Häufung von Meldungen über krumme Kunstgeschäfte macht stutzig, zumal diese meist im Zuge von Ermittlungen anderer Finanzdelikte ans Tageslicht kamen. Sprachen Branchenvertreter bisher standhaft von einzelnen schwarzen Schafen, sind heuer nicht nur die US-Strafvollzugsbehörden überzeugt, dass «Hannibal» lediglich die Spitze eines Eisbergs sei, dessen tatsächliche Dimension nicht abschätzbar ist.
«Will ein Straftäter verbrecherisch erlangtes Geld platzieren, hat er leichtes Spiel», ist auch der Zürcher Kunstrecht-Spezialist Andrea Raschèr überzeugt. Wer geschickt vorgehe, habe gute Erfolgsaussichten: Der Kunsthandel sei verschwiegen, die meisten Akteure seien mit der Geldwäschereiproblematik zu wenig vertraut. «Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass am Fiskus vorbeigeschleustes Geld gut und gerne in Kunst investiert wird.»
Pekuniär getriebene Sammler
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) stammen zwei bis fünf Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts aus illegalen Quellen. Dass ausgerechnet der diskrete Kunstmarkt ein Hort der Redlichkeit sein sollte, ist schwer zu glauben. Tatsächlich kamen in den letzten Monaten Fälle ans Licht, die erkennen lassen, wie sehr manche Sammlerleidenschaft von pekuniären Trieben zumindest mitgetragen wird.
Da gibt es die Baroness Carmen Thyssen-Bornemisza, die ihr mächtiges Kunstimperium geschickt über tropische Trusts am Fiskus vorbeischleuste – das von einer Zürcher Anwaltskanzlei gebaute Konstrukt wurde jüngst von Offshore-Leaks aufgedeckt. Da gibt es den Galeristen Helly Nahmad, Spross der schwergewichtigen Nahmad-Dynastie, dessen kapitale Sammlung im Kunsthaus Zürich begeisterte. Ihm wird vorgeworfen, aus illegalem Glückspiel stammende Gelder kunstvoll ins Finanzsystem eingeschleust zu haben. Und da gibt es Guy Wildenstein, einen der angesehensten Kunsthändler des 20. Jahrhunderts überhaupt. In Frankreich bereits zu 250 Millionen Euro Steuernachzahlungen verknurrt, soll auch er Teile seines Kunstvermögens via Offshore-Trusts dem Staat entzogen haben; ein anderer Teil lagere noch im Zollfreilager in Genf. Dass zudem mehrere als verschollen gemeldete Werke bei ihm sichergestellt wurden, wird die Richter nicht milder stimmen.
Ein Galerist darf Bargeld in beliebiger Höhe entgegennehmen.
Ob jeweils nur geschickt Gesetzeslücken ausgenützt wurden oder strafrechtlich relevante Handlungen vorliegen, wird untersucht. Die Häufung aber ist kein Zufall. Die Behörden haben weltweit ihre Anstrengungen verstärkt, Steuerschlupflöcher zu stopfen. Dies führt dazu, dass kriminelle Gelder vermehrt in die letzten toten Winkel des Finanzgeschäfts einsickern: die Bereiche Luxusgüter, Immobilien, Kunst. Nur so, vermuten Experten, lasse sich der erstaunliche Zustrom an Kapital etwa im Auktionshandel erklären: Kürzlich wurde bei Christie’s an einem Tag die Rekordsumme von fast 500 Millionen Dollar umgesetzt. Woher kommt all das Geld? Was hat es in der Kunst zu suchen?
Dass die Mehrzahl der Schweizer Galeristen treu den Standesregeln folgt, die sie freiwillig unterschrieben haben, steht ausser Frage. Wegen ein paar Tausend Franken macht sich kaum jemand die Finger schmutzig. Gefährdet ist das oberste Preissegment. Dass die Schweiz dabei erneut international im Fokus steht, ist wenig überraschend: Sie zählt mit rund 7000 Händlern zu den wichtigsten Kunsthandelsnationen der Welt. Und zu den liberalsten. Kunst im Wert von 317 Millionen Euro wurde 2012 legal exportiert. Der Mehrwertsteuersatz ist tief, ein Folgerecht (eine Gebühr beim Weiterverkauf eines Werks) existiert nicht, und dank der Zollfreilager können Werke beliebig oft anonym und steuerfrei den Besitzer wechseln.
Keine Meldepflicht für Bargeld
Bislang vertraute der Bund fast blind auf die Selbstregulierung der Branche. Zwar müssen Händler seit dem Inkrafttreten des Kulturgütertransfergesetzes 2005 die Kundenidentität feststellen. Eine Meldepflicht im Verdachtsfall wurde jedoch ebenso fallengelassen wie eine Obergrenze für Barzahlungen. Auch bei der Revision der Geldwäscherei-Gesetzgebung 2006 kam der Kunsthandel ungeschoren davon: Bis heute ist er dem Gesetz nicht unterstellt. Ein Galerist darf ohne erhöhte Sorgfaltspflicht Bargeld in beliebiger Höhe entgegennehmen.
Das erstaunt, hält doch der Geldwäschereibericht 2008 des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) klipp und klar fest: «Der Kunsthandel enthält einige Attribute, die Geldwäschereiaktivitäten begünstigen.» Die Preise seien volatil und unberechenbar, es herrsche ein hoher Grad an Vertraulichkeit und Intransparenz. «Ausserdem sind Kunstgegenstände im Verhältnis zum Gewicht und Volumen besonders wertvoll, was für den Straftäter von grossem Interesse sein kann.» Und dann steht da noch: «Die Geschäfte werden oft in bar abgewickelt.»
Die Bezahlung in Cash ist der einfachste und schnellste Weg.
Genau dies wird von Branchenvertretern wie Claudius Ochsner, Präsident des Schweizer Kunsthandelsverbands, vehement bestritten. Mit gutem Grund: Barzahlungen ab einer bestimmten Höhe gelten als sicheres Indiz für den Versuch, illegale Gelder zu waschen. Folgerichtig ist der Bargeldverkehr in vielen Ländern strengen Restriktionen unterworfen: In den USA liegt die Obergrenze zum Erwerb von beweglichen Gütern bei 10’000 Dollar, die Europäische Kommission hat soeben die Limite auf 7500 Euro halbiert. Dass die Schweiz über eine Grenze von 100’000 Franken nachdenkt, wie jüngst durchsickerte, wirkt vor diesem Hintergrund auf rührende Weise weltfremd.
Der heftige Widerspruch, den die Meldung in der Branche provozierte, nährt den Verdacht, dass Barzahlung weit verbreiteter ist als oft behauptet. Während Sotheby’s und Christie’s nach eigenen Angaben Bares nur bis rund 10’000 Dollar akzeptieren, liest man etwa auf der Homepage eines kleinen deutschen Auktionsunternehmens namens «Die Auktionsprofis» unverblümt: «Wenn Sie es wünschen, können Sie das erworbene Objekt entweder gleich bar oder mit bankbestätigtem Scheck bezahlen und mitnehmen. Im Auktionsgewerbe ist die Barzahlung auch bei grösseren Beträgen noch das übliche Zahlungsmittel.» Ein Basler Galerist ergänzt: «Oft wollen die Leute an Messen oder Auktionen die Bilder gleich mitnehmen, da ist die Bezahlung in Cash der einfachste und schnellste Weg.» Die angedachte Bargeld-Obergrenze erwiese sich in seinen Augen als zahnlos: «Da wird ein zu hoher Betrag einfach geschickt auf mehrere Werke aufgeteilt.»
Koffer voller Bargeld
Dass die Aussteller nach den Messen tatsächlich mit Koffern voller Bargeld zur Bank pilgern, mag eine Legende sein. Um dies zu verifizieren, müsste man wissen, wie viel Bares zu bestimmten Zeiten in die Schweiz eingeführt wird. Doch anders als in der EU gibt es keine Deklarationspflicht für Devisen. Seit 2009 müssen Einreisende immerhin auf Befragung hin Auskunft erteilen, ob sie mehr als 10’000 Franken mit sich führen, wie Hans Georg Nussbaum, Leiter Rechtsdienst der Eidgenössischen Zollverwaltung, erklärt: «Wir erwarten eine Auskunft über die Herkunft und den Verwendungszweck des Bargelds, warum es nicht bargeldlos transferiert wird und wer die wirtschaftlich berechtigte Person ist.» Bleiben Zweifel, wird der Fall an die Polizei weitergeleitet. 2011 gingen 111 solcher Meldungen ein, im vergangenen Jahr waren es 307. Worauf der sprunghafte Anstieg zurückzuführen ist, will Nussbaum «aus taktischen Gründen» nicht sagen. Ebenso, ob es wiederkehrende Spitzen gibt, etwa zu Messezeiten.
Auch die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) im Bundesamt für Polizei (Fedpol) hat keine Daten, da Kunsthändler und Auktionshäuser «weder meldepflichtig noch meldeberechtigt» sind, wie Mediensprecher Stefan Kunfermann sagt. «Darüber hinaus liegen Fedpol keine konkreten Anhaltspunkte darüber vor, dass der Kunstmarkt zum Zweck der Geldwäscherei missbraucht wird. Angesichts der grossen Summen, die im Kunsthandel kursieren, ist dies jedoch nicht grundsätzlich auszuschliessen.»
Fakt ist: Der internationale Druck wird weiter wachsen; Forderungen der Financial Action Task Force (FATF) nach griffigeren Massnahmen stehen bereits im Raum. Die Tage des Schweizer Sonderwegs scheinen auch im Kunsthandel gezählt, nicht zuletzt, weil dieser seit jeher eine Liaison mit den Finanzinstituten pflegt, die stark genug ist, selbst schwere Erschütterungen schadlos zu überstehen. Spätestens seit bekannt wurde, dass die UBS die von ihr gesponserte Art Basel Miami Beach als Vehikel nutzte, um reiche US-Kunden anzuwerben, hat das ungleiche Paar seine Unschuld verloren – und schauen ausländische Behörden genauer hin.
Auch in der kommenden Woche werden wieder viele Kunstmillionen den Besitzer wechseln, wenn die Art Basel zum 44. Mal die Tore öffnet. Was sagt die Messeleitung zum Thema Bargeldzahlungen? Sie erklärt sich auf Anfrage für nicht zuständig: «Als Messeveranstalter sind wir nicht in die Abwicklung der Kunstkäufe involviert», heisst es. «Wir können über den Anteil, den Kunstkäufe mit Bargeld ausmachen, daher keine informierten Angaben machen.» Über die Auswirkungen, die eine strengere Regulierung für den Kunsthandelsplatz Schweiz haben könnten, könne man «momentan nur spekulieren».
Immerhin in einem Punkt erhalten wir eine Bestätigung: Die Nahmad Gallery werde auch dieses Jahr wieder mit von der Partie sei und mit der gewohnt hochwertigen Ware aufwarten. «Was die Art Basel so erfolgreich und wettbewerbsfähig macht, ist ihre Qualität und die hohe Qualität an Kunst.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.06.13