Die Musik der Verrückten und der grossen Seelen

Unter allen aktuellen Fadosängerinnen ist Cristina Branco diejenige mit dem grössten Mut zur Entgrenzung. Am kommenden Samstag tritt sie im Volkshaus Basel auf.

Leidenschaftlich melancholisch: Cristina Branco.

Unter allen Fadosängerinnen, die seit dem Tod der grossen Amália Rodrigues auf den Plan getreten sind, ist sie diejenige mit dem grössten Mut zur Entgrenzung: In den Liedern von Cristina Branco haben zeitgenössische Poeten Portugals, Joni Mitchell-Reverenzen, Tango und brasilianische Farben gleichberechtigt Platz.

Seit der Jahrtausendwende hat Cristina Branco die Öffnung des Fado vorangetrieben. Als Teenagerin hatte sich die Frau aus Ribatejo noch für Rock, Blues und Jazz interessiert – das änderte sich schlagartig, als ihr eine Platte der grossen Fado-Interpretin Amália Rodrigues zum Geburtstag geschenkt wurde.

Während ihres Psychologiestudiums trat sie zunächst in den kleinen Clubs von Lissabon auf, wurde vom Fernsehen entdeckt, musste aber doch den Umweg über die Niederlande und Frankreich gehen, bevor sie in der Heimat ihren Durchbruch mit dem Werk «Corpo Illuminado» feiern konnte. Begleitet wurde sie auf ihrem Erfolgsweg von ihrem Partner Custódio Castelo, der der Strenge des Fados auf seiner Guitarra Portuguesa ebenfalls Impulse aus dem Rock verlieh. 


Der Zwiespalt zwischen Schicksal und Sehnsüchten



Weder divenhaft und explosiv wie Mariza, noch geheimnisvoll und streng stilisiert wie Mísia definiert Branco ihre Kunst eher über einen sinnlichen Charme und ein warmherziges Stimmentimbre ohne übertriebenes Pathos. Unbekümmert hat sie stets verkündet, dass Fado nicht nur von Weltschmerz geprägt, sondern auch voller Freude sei.

Sie verfügt in ihrem Repertoire über ein weites Spektrum an Gedichtvertonungen, die vom grossen lusitanischen Verseschmied Camões bis zur modernen Lyrik von Gonçalo M. Tavares reichen, sie kann volkstümliche, leutselige Töne anschlagen und hat auch dem grossen Liedermacher José Afonso ein eigenes Programm gewidmet. 

Mit ihrer letzten Produktion «Alegria» beschwört sie aus der exklusiven Sicht von zwölf weiblichen Charakteren die Seele eines Portugals, dessen junge Generation infolge der Euro-Krise gerade eine desaströse Zeit erlebt.

Der Fado löst sich bei Branco völlig von den überkommenen Insignien, er gewinnt gar eine politische Dimension, spricht durch die arbeitslose Studentin, das geächtete vergewaltigte Mädchen oder durch die robuste Kämpferin, die ihr Essen im Abfall zusammenklauben muss.

Vom Cover dieser CD schaut uns die Sängerin mit den geschminkten, traurigen Augen eines Clowns an. Der im portugiesischen Genre par excellence oft thematisierte Zwiespalt zwischen dem Schicksal und den Sehnsüchten, da zeigt er sich in unmittelbarer Präsenz: Freude als ironisch gebrochenes, unerreichbares Gut.
 


Über den Tellerand Portugals



Doch Cristina Branco schaut auch immer über den Tellerrand ihres Landes: Mit Hingabe covert sie die kanadische Songschreiberin Joni Mitchell, begibt sich auf Erkundungspfade bei der grossen Schwester Brasilien, adaptiert die argentinische Volkssängerin Mercedes Sosa oder spielt gar mit afrikanischen Formen. Mit dem zweiten ihrer jüngsten Werke, «Fado/Tango», stellt sie die drei Metropolen Lissabon, Buenos Aires und Paris in Beziehung, das Bandoneon mit der portugiesischen Gitarre und der Musette, Jacques Brel mit Carlos Gardel und Amália.

«In der Musik verschlingen sich Finger ineinander wie Beine, die bis tief in die Nacht hinein tanzen», sagt Branco ganz poetisch. Und weiter: «Einige behaupten, der Fado sei einst ein Tanz gewesen. Der Fado wie der Tango sind die Musik derer, die arm oder verrückt sind, aber grosse Seelen haben!» Mit diesen Worten offenbart sie, wie untrennbar sie die Volkskulturen der Welt sieht, jede als Ausdruck einer Identität von unten.

_
Cristina Branco Quartett, Volkshaus Basel, 23. Mai 2015, 20 Uhr.
Das Konzert bildet den Auftakt zu einer neuen Konzertreihe unter dem Titel «Sehnsucht Weltmusik».

Nächster Artikel