Die sieben Verwandlungen von Meryl Streep

Keine andere Schauspielerin wurde öfter für den Oscar nominiert als Meryl Streep. Am Sonntag wird sie 65. Eine Rückschau auf eine wandlungsreiche Karriere.

Meryl Streep bei der Vorführung ihres neusten Filmes «Osage County» in Los Angeles. (Bild: Jordan Strauss, Keystone)

Keine andere Schauspielerin wurde öfter für den Oscar nominiert als Meryl Streep. Am Sonntag wird sie 65. Eine Rückschau auf eine wandlungsreiche Karriere.

Eine Ausnahmeerscheinung: Meryl Streep ist eine der wenigen älteren Schauspielerinnen Hollywoods, deren Karriere in den reiferen Jahren nicht versandet. 18-mal war die Amerikanerin für den Oscar nominiert, zuletzt in diesem Jahr für die Hauptrolle in «August: Osage County», häufiger als jede andere Darstellerin. Heute wird Streep 65, an die Pensionsruhe denkt sie jedoch vorläufig nicht: allein diesen Herbst tritt sie in einem Western und einem dystopischen Science-Fiction-Drama auf. Eine Rückschau auf eine wandlungsreiche Karriere.

 

Die durch die Hölle gehen (1978)

Das Trauma von Vietnam: drei Freunde bechern auf einem Hochzeitsabend noch einmal durch, bevor sie nach Südostasien in den Krieg einrücken, der sie komplett verändert. „Die durch die Hölle gehen“ ist kein Kriegsfilm über die Brutalität des Kriegsalltags, sondern über die tiefen Spuren, die er hinterlässt. Schon drei Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs erschienen, brachte der Film als einer der ersten einen Eindruck des psychischen Horrors und der seelischen Verwerfungen auf die grosse Leinwand, die junge Soldaten aus Vietnam zurückbrachten und der Heimat die Sinnlosigkeit des Kriegs ungeschönt vor Augen hielten. Dafür brauchte es Charakterdarsteller, und die hatte der Film: Robert De Niro, Christopher Walken und John Savage spielten die männlichen Hauptrollen, grossen Applaus gab es ausserdem für Meryl Streep: in einer ihren ersten Rollen spielte sie die Freundin eines Heimkehrers – und erhielt, als beste Nebendarstellerin, ihren ersten Oscar.

 

Kramer gegen Kramer (1979)

Preisgekröntes Ehedrama mit der Ahnung eines Happy-Ends: Nach siebenjähriger Ehe verlässt eine Ehefrau (Meryl Streep) Mann (Dustin Hoffman) und Kind. Nach 18 Monaten beansprucht sie das Sorgerecht für ihren Sohn, verzichtet aber nach dem Urteilsspruch zu ihren Gunsten aus besserer Einsicht. Im Zentrum steht die Wandlung des Mannes vom herrischen Erfolgsmenschen zum verantwortungsvollen Vater, seine bis heute wirkende Ausstrahlung behält der Film jedoch wegen den hervorragend gespielten Figuren und ihren charakterlichen Entwicklungsprozessen – und wegen dem Thema, das bis heute aktuell bleibt. 

 

Sophie’s Choice (1982)

Eine an Intensität und Härte kaum zu überbietende Szene: die Polin Sophie steht mit ihren zwei Kindern im Konzentrationslager, der KZ-Aufseher kommt und verlangt von ihr, zu wählen: „Eines muss weg.“ Die Mutter wählt. Danach folgt ein Leben zwischen Opportunismus und innerer Selbstverstümmelung. Meryl Streep hat für ihre Rolle als ehemalige KZ-Gefangene, die sich mit allem Opportunismus durchzuschlagen versucht, bis am Ende, in Brooklyn, in den Armen ihres Liebhabers, nur der Freitod bleibt, vier Monate Polnisch gelernt – ein Hinweis auf die Tiefe ihrer Rollenvorbereitung. Mit Folgen: „Sophie’s Choice“ brachte ihr den ersten Oscar als Hauptdarstellerin.

 

Out Of Africa (1985) 

Schön war’s in der Kolonialzeit. Grosswildjagd, schwarze Diener, Whisky abends im Korbsessel, während die Moskitos summen. „Out Of Africa“ möbelt das koloniale Kenia zwischen der Weltkriegen hübsch auf und stattet es mit so emblematischen Figuren aus wie dem forschen britisch-adligen Jäger oder dem weisen, alten Eingeborenen, dass die Trennlinien zwischen einem verblendet-romantischen Kolonialideal und der Kritik an den tatsächlichen Zuständen nur fein hervortreten. Sidney Pollack hat eine melodramatische Zerrüttungsgeschichte inszeniert, die ihre melancholische Stimmung vor allem aus einer nahezu vergessenen Eigenschaft des Hollywood-Kinos gewinnt: Langsamkeit.

 

Adaption (2002)

Ein hochkomischer und absurd gedrehter Film im Film: Der real existierende Drehbuchautor Charlie Kaufmann hat einen Film über seine Nöte, einen Roman zu einem Drehbuch umzuschreiben, geschrieben, erfindet sich einen Zwillingsbruder hinzu (beide: Nicholas Cage), mit dem er nun den kriminellen Geschäften seiner angedachten Hauptfigur (Meryl Streep) hinterher spioniert. Streep füllt hier – nicht mit weniger Bravour – statt einer dramatischen eine nahezu clowneske Rolle aus und trägt ihren Teil zu einem prächtig schrägen Vexierspiel voller ironischer Seitenhiebe auf die Zwänge und Nöte der Filmindustriearbeiter bei.

 

Doubt (2008)

Zwei Giganten ringen um die Grundfesten der Macht: die strenge Leiterin einer katholischen Privatschule und Nonne Meryl Streep, und der kürzlich verstorbene Philip Seymour Hoffman [http://www.tageswoche.ch/de/2014_09/kultur/646571/philip-seymour-hoffman-starb-an-mix-aus-drogen-und-medikamenten.htm] als junger, liberal gesinnter Pfarrer und Lehrer. Die alte Nonne glaubt, aus dem Menschen werde nur mittels Furcht, Disziplin und Strenge ein rechtschaffener Mensch, der Pfarrer hingegen räumt dem Prinzip des Zweifels an starren Wahrheiten mehr Raum ein – nicht gerade Zweifel an Gott und der Heiligen Schrift, aber doch an ihren althergebrachten Auslege- und Sittlichkeitsordnungen. Als plötzlich ein Missbrauchsverdacht gegen den Lehrer im Raum steht, hat die unbarmherzige Nonne scheinbar alle Trümpfe in der Hand. „Doubt“ ist eine Theateradaption und lebt, der opulenten Verfilmung zum Trotz, von seinen Charakteren. Meryl Streep spielt die Nonne, wie es ihr Charakter erfordert: erhaben und nicht mehr von dieser Welt.

 

The Iron Lady (2011)

Eine ihrer jüngsten Rollen: Streep spielte vor drei Jahren die ehemalige britische Regierungschefin Margaret Thatcher und gewann ihren bisher letzten Oscar – mit einer Figurenzeichnung, die zwischen historischer Reminiszenz an die vor einem Jahr verstorbene konservative Politikerin und rühriger Rekapitulation ihrer letzten Jahre pendelt: verwitwet, an Demenz erkrankt, schwach – derart schwach, dass sie von den jungen Rüpeln an der Einkaufskasse nicht erkannt und einfach übergangen wird. Die „eiserne Lady“ erscheint hier nicht nur als die harte Regierungs- und Parteivorsitzende mit ihrer schrillen Stimme und der unerschütterlichen Überzeugung von drastischen konservativen Reformen, als die sie in die Geschichte eingegangen ist – sondern gleichzeitig als eine, deren letzter Lebensabschnitt von ihrem eigenen Geschichtsbild überlagert und verdrängt war. Eiserne Lady und altes Mütterchen – eine ausgewogen balancierte Doppelrolle von Meryl Streep. 

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