Calexico aus Arizona (USA) machten im Volkshaus Basel den Nebel vor den Toren vergessen und befeuerten unser Fernweh mit schmachtigen Melodien, stilsicheren Mélanges und stupenden Grenzüberschreitungen. Ein Abend voller Sehnsucht und Freude.
Die Verschmelzung der Stile haben sie sich seit 15 Jahren auf die Fahne geschrieben, die Überbrückung von Grenzen manifestiert sich allein in ihrem Namen: Calexico. Eine Ortschaft. Und ein Wortspiel zugleich, das den südwestlichen Teil der USA, das sehnsuchtsvolle California mit dem schwelgerisch-melancholischen Mexiko vereint.
Ihr Basislager haben Calexico in Arizona aufgeschlagen, das bei den jüngsten Wahlen rot sah – ganz im Unterschied zu New Mexico oder Florida, jenen südlichen Staaten, die Romneys republikanische Wahlhelfer so sträflich vernachlässigten und just die Quittung dafür erhielten, weil sie die Immigranten nicht auf ihre Seite reissen konnten. Zur grossen Freude von Calexico: «Am Wahltag sassen wir im Flugzeug am John F. Kennedy Flughafen, verloren zwar unser Gepäck, aber erhielten dafür einen wunderbaren Präsidenten zurück», freut sich Frontmann Joey Burns in einer seiner Ansagen – und erhält dafür ebenso grossen Applaus wie für die 21 Lieder, die er an diesem Abend im Basler Volkshaus anstimmt. Kein Zweifel: Auch die paar Hundertschaften im Grossen Saal stehen auf Burns Seite, stehen ein für ein Amerika als Land der Freiheit, als Ort der Wünsche und Sehnsüchte, wo Träume zweimal wahr werden sollen (auch wenn das hierzulande ein vermutlich mormongestörter Kommentator nicht wahrhaben wollte).
Mal schmalzig-schnalzig, mal herrlich heulend
Aber lassen wir die Polterer rechts liegen und stülpen wir uns die Ponchos über: Denn Calexico missionieren nicht, sie leben musikalisch vor, wie man auf Nachbarn zugeht und mit ihnen feiert, ohne dabei die eigene Kultur zu negieren. Sie vertonen die neue Macht in Amerika. Und sie tun das in Form einer Stil- und Songmélange, die in Sachen Eleganz kaum zu überbieten ist: Schampar schön, wie diese Gringos und Latinos nach dem Half-Time-Opener «Epic» in «Across The Wire» erstmals den Stacheldraht zwischen ihrer Heimat und dem südlichen Nachbarn niederreissen, die Trompeten fröhliche Fanfaren spielen lassen, während im Hintergrund eine Pedal-Steel-Gitarre herrlich heult. Den Schaukelmodus lassen sie umgehend zu Gunsten einer Uptempo-Nummer hinter sich, bieten mit «Splitter» einen Springsteen-esken Song mit Drive und Verve dar, einfach ohne Kratzen in der Stimme – dafür mit schmalzig-schnalzigen Trompeten.
Fantastisch sind sie an diesem Abend unterwegs, die Wüstensöhne, stäuben tief durchs Hinterland (etwa im filmmusikreifen Minas de Cobre), lassen uns die Melancholie in der Abgeschiedenheit spüren, die Abgesacktheit auch, die sengende Hitze – und überraschen uns damit, als sich diese auf einmal in einem überraschenden, gitarrenlastigen Klanggewitter entlädt.
Vielfalt mit Stil – und stilistische Vielfalt
Eine eigene Trademark zu setzen, ist in der populären Musik schwierig genug. Was Calexico ausmacht, und das wird im Volkshaus besonders deutlich, ist ihre stilistische und instrumentale Offenheit, kombiniert mit einer Spielfreude, als hätten sie sich eben erst nach einer langen Pause reformiert. Ihre Dankbarkeit teilen sie mit, das macht sie sympathisch, ist glaubwürdig – und die Liebe gegenseitig. Auch 15 Jahre nach ihrer Gründung sind Calexico weit vom Stillstand entfernt, sondern entwickeln sich weiter, wie auf dem neuen Album nachgeprüft werden kann. «Algiers» heisst es, benannt nach jenem Stadtteil von New Orleans, in dem sie hinter die Studioaufnahmen die Schlusspunkte (und -punktierungen) gesetzt haben.
In den knapp zwei Stunden variieren die Männer rhythmisch in aller Souveränität – Schlagzeuger John Convertino bildet seit jeher den zweiten Grundpfeiler nebst Gitarrist und Leadsänger Burns: hier ein Clave-Stück, dort ein Walzer, da ein laidbacker Wüstenrock. Und sie bieten auch in den Arrangements Abwechslung: Knatterte eben noch der Kontrabass, so boostet ein Stück später der E-Bass, eine Handorgel wird gezogen, eine Kuhglocke geschlagen. Die Trompeter rasseln zwischen einer Fanfare mit den Rumbakugeln oder tasten sich auch mal ans Vibrafon heran. Und die Gitarren, sie brummen, raspeln und schreien sogar einmal, als seien sie von einem Peyote-Kaktus gestochen worden: Psychedelik? Kein Problem. Ergänzt von Mariachi? No problemo! Und wenn sich doch mal eine Durststrecke im Set bemerkbar macht, ist man froh darum. Weil man guten Gewissens nachschenken lassen kann.
Am Ende dieser mitreissenden Reise durch und mit Calexico steht ein Zugabeblock, angeführt von einer wunderbar berührenden Version von Gillian Welchs countryesker Folkballade «Look At Miss Ohio», die das Kollektiv zusammen mit der Vorgruppe Blind Pilot zum Besten gibt. Daraufhin grooven Calexico leichtfüssig «Güero Canelo» und führen dabei noch einmal Filmszenen vor Augen, ehe sie uns mit dem sentimentalen «The Vanishing Mind» in die nebulöse Nacht entschwinden lassen. Man möchte Sombreros und Stetsons nach vorne werfen, hat aber keine dabei. Was soll man da noch sagen? Vielleicht das hier: Muchas thank you!