Vor 30 Jahren verwandelte sich Jeff Goldblum im Kino langsam in eine Riesenfliege. David Cronenbergs Meisterstück des Body Horror kehrt einem noch heute fast den Magen um, mehr noch aber bleibt die hintergründige Diagnose des Films aktuell: Wir sollten uns nicht zu sehr auf unseren Körper verlassen, um uns als Individuen zu begreifen.
Aus Fleisch und Blut ist dieser Film gemacht. Aus dem, was wir, die wir Begriffe wie Seele und Geist an die Abstraktion verloren haben, als unser ureigenstes betrachten: unseren Körper.
Als einen der zentralsten zivilisatorischen Anker halten wir das Menschenrecht auf unsere physische Unverletzbarkeit hoch, weil uns nichts so sehr als Individuum identifiziert: Fingerabdrücke, Iris-Scan, die DNA – unsere elementarsten Bestandteile sind der Stoff, der uns in die Existenz trägt. Wehe, wenn uns dieser Besitz abhanden kommt.
Das Subgenre des Body Horror spielt mit diesem Grauen der Mutation und des Persönlichkeitsverlusts. Anders als bei den Superhelden des Marvel-Universums, für die Spinnenstiche, atomare Strahlen oder fehlgeschlagene Experimente die Wucht des Körpers gleichsam mit der Kontrolle darüber erhöhen, schaut man die Werke von David Cronenberg mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination.
Sukzessive Deformation
Bereits in seinen frühen Werken wie «Rabid» oder «The Brood» führen überambitionierte neuartige medizinische Behandlungsformen zur entfesselten Körpermutation und schliesslich zur Katastrophe, in «The Fly» von 1986 erfährt Cronenbergs galliger Kommentar zur Körpermaximierung seine Vollendung.
Das Gerüst des Films stammt nicht von ihm selbst, sondern ist ein Remake von Kurt Neumann aus dem Jahr 1958. Aber Cronenberg hat den Stoff so sehr ausgeweidet, dass er das Original weit übertrifft.
«The Fly» handelt vom Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum), der eine Teleportationsmaschine entwickelt und sich beim Selbstversuch versehentlich mit einer Fliege einschliesst. Die Teleportation glückt, allerdings verschmelzen Brundle und die Fliege dabei genetisch zu einem Wesen, sodass der Mensch sich im Verlauf des Films kontinuierlich in das Insekt verwandelt – mit allen Unappetitlichkeiten, die dazu gehören: Borsten am Rücken, ausfallende Zähne und abfallende Ohren, und schliesslich die totale Deformation.
Was ist ein Mensch?
«The Fly» hat Cronenberg in den 1980er-Jahren gedreht, als Gentechnologie, szientistischer Utopismus und Körperkult die Grenze zwischen Machbarkeit und Vorstellung aufzulösen schienen. Das langsam voranschreitende Überschnappen von der Hybris in den Horror hat Cronenberg, nach seinen Anfangserfolgen mit einem Budget von 15 Millionen Dollar ausgestattet, zu einer visuell spektakulären Ekelorgie stilisiert, die mit einem euphemistischen Oscar für das «beste Make-up» gekürt wurde.
Hinter den Schauwerten verankert der Regisseur, selbst studierter Biochemiker, jedoch zentrale ethische Fragen: Etwa zum Wert des Lebens, als der noch halbwegs menschliche Brundle mit seiner Freundin Veronica (Geena Davis) ein Kind zeugt, das Veronica sofort zur Abtreibung bringen will. Vor allem aber die Schlussszene zerlegt den Begriff des Menschseins: Nun völlig entstellt, bittet «Brundlefly» Veronica mit einer deutlichen Geste um den Gnadenschuss.
Äusserlich ist nichts mehr human an diesem entstellten Geschöpf. Aber das Selbst-Bewusstsein und die Erkenntnis um die Unmöglichkeit, dergestalt ein Dasein zu führen, ist noch da und schimmert aus den trüben Augen der Riesenfliege. Es ist ein Blick, der um Gnade und Erlösung bittet – ein urmenschliches Sehnen hinter der zerformten Masse aus Fleisch und Blut.