«Die Wow-Ästhetik ist die Kinderkrankheit der digitalen Kunst»

Eine Ausstellungsreihe im Foyer der Universitätsbibliothek will ab 28. März die Frage beantworten, was digitale Kunst ist. Prof. Dr. Roberto Simanowski, der die Ausstellungen kuratiert, gibt uns vorab ein paar Erklärungen.

Schrift aus Wasser: «Bit.fall» von Julius Popp.

Eine Ausstellungsreihe im Foyer der Universitätsbibliothek will ab 28. März die Frage beantworten, was digitale Kunst ist. Prof. Dr. Roberto Simanowski vom Institut für Medienwissenschaft an der Uni Basel, der die Ausstellungen kuratiert, gibt uns vorab ein paar Erklärungen.

Herr Simanowsi, warum die Ausstellungsreihe «Digitale Kunst in der Bibliothek»? 


Um ein breiteres Publikum mit künstlerischen Ausdrucksformen in und mit den digitalen Medien (also Computer und Internet) bekannt zu machen. Der Plan ist, alle zwei, drei Monate ein anderes Werk oder auch eine Sammlung von Werken auf einem Bildschirm zu präsentieren, wobei wir, also mein Institut und die Bibliothek, im nächsten Jahr dann auch eine interaktive Installation zeigen wollen. 



Was ist denn digitale Kunst?


Keine Texte, Bilder und Filme, die die digitalen Medien nur als Präsentations- und Distributionsmedium nutzen. Sondern Werke, die ohne Computer oder Internet nicht existieren könnten. Die also interaktiv, multimedial oder prozessural operieren. Stellen Sie sich vor, ein Bild löst sich auf an den Stellen, auf die ihre Augen gerichtet sind (etwa «Der Zerseher»). Oder ein Text baut sich auf einer Leinwand auf, wenn Sie lange genug still davor stehen (Beispiel «Still Standing»).

Wie wird das vom Werk, das die Ausstellungsreihe eröffnet, eingelöst? 


«Overboard» von John Cayley erzählt von einem Mann, der bei Sturm über Bord geht, sich aber an den Tauen festhalten kann. Alsbald vertauschen sich einzelne Buchstaben des Textes oder verschwinden, bis sie sich wieder kurz in lesbarer Form präsentieren. Als hinge auch das Gedicht über Bord in den Tauen. Dieses Werk verbindet also in der Tradition der konkreten Poesie die Aussage des Textes mit dessen Präsentationsform.


Haben Sie Beispiele für interaktive, prozessurale Interaktionen?

«Deep Walls» von Scott Snibbe ist eine 16-teilige Videoleinwand mit einer versteckten Kamera, die die Bewegung des Rezipienten vor der Leinwand aufnimmt. Diese Aufnahme wird in die Leinwand integriert, wo sie den ältesten der 16 Filme überschreibt, bis sie nach 16 weiteren Aufnahmen selbst ersetzt wird. Hier produziert also das Publikum selbst das Werk.

Ein anderes Beispiel ist «Bit.Fall» von Julius Popp, ein circa 3 Meter hohes und 5 Meter breites Metallgerüst, das mit Wasser schreibt. Die Öffnung der Ventile an der Oberseite des Gerüsts ist so koordiniert, dass Wassertropfen im Herabfallen Buchstaben formen, die sich in der Breite dann zu Wörtern bilden. Diese Wörter sind direkt verschiedenen Nachrichtenportalen im Internet entnommen. Das Thema der Installation ist also die Vergänglichkeit der News. Die zentralen Faktoren der Installation sind Vernetzung zum Internet und die Programmierung der Ventile.

Solche Werke scheinen sehr auf den Effekt zu setzen. 


Die Wow-Ästhetik könnte man die Kinderkrankheit der digitalen Kunst nennen. Die Künstler wollen natürlich die technischen Möglichkeiten des Mediums ausprobieren und die eigene Programmier-Virtuosität vorzeigen. 


In Ihrem neuen Buch werben Sie allerdings für einen interpretativen Zugang zu den Effekten.

Als Wissenschaftler darf man nicht an der Oberfläche bleiben, sondern muss immer auch nach der tieferen Bedeutung der Phänomene fragen, danach was sie uns über die Künstler und unsere Realität sagen. Und als Lehrer will man auch seine Studenten und Zuhörer befähigen, dies zu tun. Gedankenlose Affirmation des Spektakels gibt es ja auch so genug in unserer «Erlebnisgesellschaft».

Also Kunstbetrachtung als Denkschule?


Durchaus, und Kunst eignet sich besonders dafür, weil ihre Kennzeichen Singularität und Rätselhaftigkeit sind, das Denken sich also nicht so einfach in ausgetretene Bahnen flüchten kann. Und das Reden über Kunst ist zugleich Aufklärung über Medien, insofern Kunst immer auch die Funktions- und Wirkungsweise ihres Mediums zum Thema macht.

Neben der Ausstellungsreihe werden Sie auch einen Vortrag halten, und nach Ostern wird es auch einen Weblog bei der «TagesWoche» geben, auf dem vorgestellt und diskutiert wird, was Dozierende und Studierende der Medienwissenschaft lesen. Steht hinter dieser Ballung an Aktionen eine PR-Offensive Ihres Instituts?

So kann man es durchaus sehen. Wenn an den Universitäten die Disziplin Medienwissenschaft eingerichtet wird, weil wir in einer Mediengesellschaft leben, sollte man die Themen und Ergebnisse dieser Arbeit auch so breit wie möglich in diese Mediengesellschaft vermitteln. Aus dem gleichen Grund hat sich in der Gesellschaft für Medienwissenschaft vor kurzem auch die Arbeitsgruppe Medienkultur und Bildung gebildet.

Also eine Aufklärungsoffensive?


Die Medienwissenschaft muss Medienkompetenz in vielfältigster Form vermitteln, auch außerhalb des akademischen Systems. Wobei ich dabei sowohl an Nutzungs- wie an Reflexionskompetenz denke. Wir sollten zum Beispiel nicht nur wissen, wie wir die Privacy-Einstellungen bei Facebook verändern können, sondern auch, was es für die Zukunft unserer Kultur bedeutet, wenn der Wert der Privatsphäre durch Medien wie Facebook und Google demontiert wird. Der Weblog diskutiert Bücher, die diese und ähnliche Fragen aufgreifen. Und die Ausstellungsreihe wird Werke zeigen, die für die Eigenschaften der digitalen Medien sensibilisieren.

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