«Die Zeit war einfach reif»

Der Schweizer Unternehmer Hubert Looser vermacht seine hochkarätige Kunstsammlung dem Zürcher Kunsthaus. Welchen Einfluss Ernst Beyeler und die Stadt Basel auf diesen Entscheid hatten, erzählt er im Interview.

Hubert Looser vor dem Werk «White Curve» von Ellsworth Kelly im Kunsthaus Zürich. (Bild: Keystone)

Der Schweizer Unternehmer Hubert Looser vermacht seine hochkarätige Kunstsammlung dem Zürcher Kunsthaus. Welchen Einfluss Ernst Beyeler und die Stadt Basel auf diesen Entscheid hatten, erzählt er im Interview.

Herr Looser, wieso sammeln Sie Kunst? Sie hätten Häuser kaufen können, Autos.

Dieser Impuls entwickelte sich bereits in jungen Jahren. Als ich in Paris war, besuchte ich zahlreiche Museen und so entwickelte sich mein Auge für die Kunst. Ich fing an, Schweizer Kunst zu kaufen. Das Suchen, Kaufen und Geniessen von Kunst gab mir eine so grosse Befriedigung, dass ich immer weitermachte. Heute sind es Internationale Künstler, aber die Freude ist immer noch die gleiche.

Hat es auch mit dem Nervenkitzel zu tun, sich etwas zu erkämpfen? Sie mussten teilweise über Jahre insistieren, bis Sie ein Bild erstehen konnten.

Ja, natürlich. Da hat sich ein Jagdinstinkt entwickelt. Oft wollte ich ganz seltene oder spezifische Werke eines Künstlers und die waren nicht auf dem Markt. So musste ich mich gedulden, bis ein Werk zum Verkauf angeboten wurde. Wenn ich aber irgendwo auf eines stiess, das meine Sammlung optimal ergänzen würde, war ich nur schwer aufzuhalten. Natürlich wurde meine Geduld ab und an auch auf die Probe gestellt. Ich habe wohl einige seltene Kunstwerke erfolgreich erstanden, weil ich sehr hartnäckig sein kann. Manchmal ging aber auch alles sehr schnell – ich hatte oft das Glück, einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Um gezielt eine Sammlung aufzubauen, braucht es nebst einer klaren Vision sowohl Ausdauer als auch die Fähigkeit, sich in gewissen Momenten schnell zu entscheiden. Ich spüre instinktiv, was ich in meiner Sammlung haben möchte und was nicht. Das ist ein bisschen so, als würden Sie beim Zusammentreffen mit einem Menschen auf Ihr Bauchgefühl hören.

Das würde bedeuten, dass die Kunstwerke etwas Menschliches haben.

Das empfinde ich definitiv so. Sie tragen eine Botschaft in sich, eine Perfektion des Handwerkers, der sie erschaffen hat. Jedes Bild oder jede Skulptur besitzt eine ganz eigene Ausstrahlung. Deshalb habe ich keine Werke von Künstlern, die ihre Bilder durch ihre Angestellten herstellen lassen. Bei mir steht die Handwerkskunst des Künstlers im Zentrum. Ich meide die Kunst, die in grosser Zahl oder durch viele Mitarbeiter hergestellt wurde. Ich will die Seele des Künstlers spüren.

Da muss es sehr schmerzhaft für Sie sein, diese Kunst nun aus Ihrem Haus in fremde Hände zu geben.

Meine Sammlung ist im Kunsthaus Zürich vortrefflich aufgehoben. Sie wird dort von ausgebildeten Fachleuten gepflegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ich war an vielen Orten dieser Welt und habe gesehen, dass viele Menschen in grosser Armut leben müssen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man von einem Moment auf den anderen alles verlieren kann und versuche deshalb, meine Sicherheit nicht allzu sehr aus materiellen Gütern zu beziehen. Zudem wohne ich ja in der Nähe und kann meine Sammlung jederzeit im Kunsthaus betrachten.

Mich haben die Messen und das riesige Angebot überfordert.

Das Kunsthaus ist also Ihr erweitertes Wohnzimmer?

Ja, das könnte man so sagen. Ich habe dank der Tatsache, dass meine Sammlung im Kunsthaus beheimatet sein wird und ich auch weiterhin mit meinen Werken eng verbunden bleiben werde, quasi einen erweiterten Wohnsitz. Jemand kümmert sich um meine Sammlung und ich kann die Kunstwerke im musealen Rahmen geniessen. Im Kunsthaus ist es möglich, die Bilder und Skulpturen in viel grosszügigeren Verhältnissen zu erleben.

Der Kunstmarkt hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Ich habe vor zwei Jahren aufgehört, Kunst zu kaufen. Mich haben die Messen und das riesige Angebot überfordert. Mit all den Messen rund um den Globus kann ich nicht mehr mithalten. Der Kunstmarkt ist zum Milliarden-Business geworden. Zudem ist der Markt sehr spekulativ geworden. Ich habe den Eindruck, dass viele Werte verloren gegangen sind.

Welche Werte braucht denn ein echter Sammler?

Liebe und die Leidenschaft gegenüber der Kunst sind meiner Meinung nach unabdingbare Motivatoren, um eine gute Sammlung aufzubauen. Auch eine gewisse Treue zu den Künstlern und die Wertschätzung und Verantwortung gegenüber deren Kunstwerke. Eine gute Sammlung sollte nicht als ökonomisch verwertbares Objekt betrachtet werden, sondern als ein Kulturgut für die Öffentlichkeit. Zudem braucht es ein Konzept.

Und wie sieht dieses Konzept bei Ihnen aus?

Ich hatte immer eine klare Vorstellung davon, was ich am Ende meines Lebens der Nachwelt hinterlassen will. Ich stellte mir die Frage: «Was ist der Sinn meines Lebens?» Für mich lautete die Antwort: «Ich will dem Geld einen Sinn geben.» Deshalb gründete ich eine Stiftung. Um einerseits humanitäre Projekte zu unterstützen und diese Sammlung andererseits der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Welchen Plan haben Sie für das neue Kunsthaus?

Meine Vorstellung von Zürich wäre, dass mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus das Kunsthaus zu einem Begegnungsort für Jung und Alt würde. Zu einem Ort, wo verschiedene Aktivitäten stattfinden und Feste gefeiert könnten. Nach dem Vorbild Basels. Ernst Beyeler war nicht nur ein ausgezeichneter Kunsthändler, sondern auch ein grosser Marketingmann. Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen gelang es ihm, pro Jahr an die 500’000 Besucher aus der Schweiz und dem Ausland anzusprechen.

Für mich war der Bau eines eigenen Museums nie eine Alternative.

Also wünschen Sie sich ein bisschen mehr Kommerz?

Nicht mehr Kommerz, sondern mehr Leben. Wir müssen den Leuten viele Gründe liefern, das Kunsthaus zu besuchen. Es ist wichtig, im Museum Möglichkeiten zu schaffen, damit die Schwellenangst bei den jungen Menschen gar nicht aufkommt oder möglichst früh abgebaut werden kann.

Ist Beyeler Ihr Vorbild?

Ja, in vielen Belangen. Selbstverständlich ist die Sammlung von Ernst Beyeler um vieles bedeutungsvoller und grösser als die meinige, aber einige seiner Ideen haben mich immer fasziniert. Und in der klaren, fokussierten Zielsetzung waren wir uns – so vermute ich – nicht so ganz unähnlich. Aber für mich war der Bau eines eigenen Museums nie eine Alternative. Durch die neuen Möglichkeiten ab 2017 im Erweiterungsbau sowie dem Einzug der Sammlung Bührle und meiner Sammlung wird Zürich sich sehr gut positionieren können. 

Warum ist Basel den Zürchern in dieser Hinsicht voraus?

Basel hat das grosse Glück, das es einige ganz grosse Mäzene hat, die sich stark für Kunst und Kultur engagieren und mit namhaften Beträgen Gebäude und Ankäufe ermöglichen. Bereits in den Sechzigern unterstützte beispielsweise die Nationalversicherung die Basler Museen. So kamen diese zu weltbekannten Spitzenwerken. Auch private Stiftungen haben den Museen unglaubliche Kunstwerke zur Verfügung gestellt. Und die Fondation Beyeler und die Art Basel tragen zur Attraktivität des Standorts bei. Zürich wird mehr als Banken- und Versicherungsplatz wahrgenommen und weniger als Kulturstadt.

Das Geben mit all seinen positiven Auswirkungen wird wieder zu einem Thema. Für diese Trendwende setze ich mich ein.

Namen scheinen im Kunstmarkt eine grosse Rolle zu spielen.

Der Sammler vermag seiner Sammlung ein Gesicht zu geben. Jede Sammlung unterscheidet sich von den andern und erzählt ihre ureigene Geschichte. Und diese Geschichte möchte ich mit anderen Menschen teilen. Natürlich würde es mich freuen, wenn ich durch meine Dauerleihgabe ein Auslöser für eine vermehrte Grosszügigkeit zu Gunsten der Allgemeinheit sein könnte.

Das klingt, als wollten Sie eine humanere Schweiz erfinden.

Das ist natürlich ein wenig übertrieben. Die Schweiz war in den letzten Jahren all zu oft wegen all der Banken- und Steuerskandale in den Medien. Zeitungen berichten tagtäglich über unverhältnismässige Bereicherungen gewisser Berufsgruppen, über Skandale in Politik und Wirtschaft, über Filz und Korruption. Mir ist es wichtig, da einen Kontrapunkt zu setzen. Viele Einzelne und Firmen nehmen ihre soziale Verantwortung wahr, spenden grosse Summen, unterstützen Institutionen und Universitäten. Mir ist es ein Anliegen, dass wir wieder vermehrt diese Kräfte unterstützen. Dadurch wird das Geben mit all seinen positiven Auswirkungen wieder zu einem Thema. Für diese Trendwende setze ich mich ein.

Sind Sie deshalb gerade jetzt mit Ihrer Sammlung an die Öffentlichkeit?

Die Zeit war einfach reif. Ich habe gespürt, dass die Sammlung nun öffentlich gezeigt werden muss, denn immer mehr kunstinteressierte Gruppen meldeten sich bei an, um die Sammlung in meinen Privaträumlichkeiten zu sehen. Das wurde mir mit der Zeit zu viel.

Haben Sie sich Zürich ausgesucht oder Zürich Sie?

Ich habe Zürich ausgesucht. Ich möchte meine Sammlung in der Nähe haben und bin mit Zürich verbunden. Meine Sammlung wurde erst nach der Ausstellung im Kunstforum Wien 2012 öffentlich wahrgenommen. In Wien konnte ich testen, ob meine Sammlung der öffentlichen Meinung standhält. Durch das grosse Medieninteresse wurde die Sammlung Looser auf einen Schlag auch in der Schweiz bekannt.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus konkret aus?

70 meiner Exponate kommen 2017 als Dauerleihgabe in den Erweiterungsbau des neuen Kunsthauses. Sie repräsentieren ungefähr 85 Prozent der Werthaltigkeit der Sammlung. Durch diese Werke kann eine grosse Lücke in der Kunsthaussammlung  geschlossen werden. Dadurch kann das Haus auf dem Gebiet der Gegenwartskunst europaweit eine starke Position einnehmen. Der Erweiterungsbau des Architekten Chipperfield wird zweifellos für den Städtebau eine Bereicherung darstellen, aber schlussendlich zählt in einem Museum doch der Inhalt. Mit dem Inhalt schreibt man Geschichte.

Sie legen grosse Hoffnungen in den Neubau und Ihre Sammlung. Wovor haben Sie am meisten Angst?

Dass diese Sammlung eines Tages im Keller verschwinden könnte. Denn das würde ja heissen, dass ich nach einem total falschen Gesichtspunkt gesammelt hätte und meine Werke auch kunsthistorisch keinerlei Relevanz aufweisen würden. Kunstwerke sind da, um betrachtet und geliebt zu werden.

Hubert Looser
Hubert Looser wurde 1938 in Vilters geboren. Er war Präsident der Walter Rentsch Holding AG und der ELCO Looser Holding AG. Heute ist Looser als Vorstand der Fondation Hubert Looser tätig. Seine Leidenschaft für Kunst wurde früh geweckt, und er begann bald damit, eine eigene Sammlung aufzubauen. Sein Hauptaugenmerk galt dabei Werken des Surrealismus, des abstrakten Expressionismus und des Minimalismus. Die Sammlung Hubert Looser zählt zu den herausragenden Privatsammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst im Schweizer Raum. 2012 beschloss Hubert Looser, die Sammlung als Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – allerdings unter der Bedingung, dass der Erweiterungsbau des Architekten David Chipperfield gebaut wird.

Ausstellung
Bis zum 8. September kann die Sammlung im Kunsthaus Zürich schon mal begutachtet werden.

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