Es ist fast 25 Jahre her, dass ich Tabea Buri erstmals ein Geheimnis anvertraut habe. Ich weiss nicht mehr, um was es ging und wo es passiert ist. In einem unserer Kinderzimmer, vielleicht auch in dem kleinen Park, in dem wir oft spielten, oder auf dem Schulweg.
Wo das war, ist eigentlich egal. Wichtig war nur, dass ich mir sicher sein konnte, dass sie es nicht weitererzählen würde. Sie tat es nicht. Und wir wurden zu langjährigen Verbündeten.
Heute ist meine einstige Mitschülerin Kuratorin im Museum der Kulturen. Und plaudert in ihrer ersten Ausstellung Geheimnisse aus der ganzen Welt aus. Anderthalb Jahre arbeitete die 30-Jährige daran, suchte nach geeigneten Objekten, diskutierte mit Ethnologie-Studenten über Geheimnis-Literatur, liess sich von ihrem Alltag inspirieren. «Seit ich mit dieser Ausstellung angefangen habe, treffe ich Geheimnisse überall und jederzeit an», sagt sie.
Buri ist stolz auf das Ergebnis. Das merkt man ihr an, wenn sie erzählt, wie gross der Aufwand war, die alten Liebesbriefe aus der Museumssammlung zu transkribieren. «Aber dafür haben wir richtige Schätze entdeckt.» Oder wenn sie eine kleine Flasche aufschraubt, in der das Geheimnis des Appenzeller Käses schlummert. «Riechst du, was da drin ist?»
Auch die Kuratorin entdeckt noch immer kleine Geheimnisse in der Ausstellung. «Wir haben uns diese indischen Stoffelefanten ausgesucht wegen des Sprichworts ‹The elephant in the room›, also das offene Geheimnis. Erst viel später hat uns jemand gesagt, dass die Stofftiere oft verwendet wurden, um Drogen zu schmuggeln.»
Das Spannende am Geheimnis ist für Buri, dass es seine Macht erst entfaltet, wenn Menschen um es wissen. Manchmal reicht es auch, dass alle das Geheimnis kennen, aber nicht darüber reden. «Beim Geheimnis geht es meist auch um Macht, um eine Gruppenbildung, die durch die Ausgrenzung anderer entsteht», erklärt sie.
Beweise dafür hat sie genügend gefunden in der Sammlung des Museums, die über 320’000 Objekte umfasst. Gleich beim Eingang, den Buri als Grenzbereich bezeichnet, steht eine Frauenskulptur aus Papua-Neuguinea. Diese symbolisiert, dass nur Eingeweihte den Raum betreten dürfen.
Buri erzählt von der Figur, von der ethnischen Gruppe der Iatmul, deren Männer am Eingang ihrer Zeremonialhäuser unter den Beinen der Figur hindurch kletterten und beim Zurückkommen symbolisch wiedergeboren wurden, von der Symbolik des Krokodils, das auf der Hinterseite der Figur versteckt ist.
Das alles macht sie im Flüsterton, obwohl wir die einzigen Menschen in der Ausstellung sind. Es ist wohl ein natürlicher Reflex, bei diesen hohen Wänden, von denen jedes Geräusch widerhallt, und dem dunkelblauen Teppich, der die Schritte dämpft. Es herrscht eine besondere Stimmung in diesem Raum. Unterstützt wird sie durch die Beleuchtung, die zu Beginn äusserst dürftig ausfällt. Erst weiter hinten dringt Sonnenlicht durch ein Fenster.
Über Zürich und China zurück nach Basel
Buri wuchs in Basel auf. Für das Studium ging sie nach Zürich, wo sie Ethnologie mit dem Schwerpunkt Asien studierte. «Die Ethnologie ist für mich so spannend, weil sie fast alle Selbstverständlichkeiten infrage stellt», erzählt sie. Ihre Neugier trieb sie während ihres Studiums gleich mehrmals nach China, für ihre Forschungsarbeiten lernte sie Mandarin. Doch auch die heimische Kultur ist ihr sehr nah: Ihr Vater ist Künstler, ihre Mutter Kunsthistorikerin. 2013 kam Buri dann zum Museum der Kulturen, erst als Ausstellungsguide, später als wissenschaftliche Mitarbeiterin. «Da habe ich gemerkt, dass ich die Wissenschaft gerne mit dem Visuellen verbinde.»
Buri schreitet zielstrebig durch den Raum, führt durch die thematischen Abteilungen und bleibt vor den Ausstellungsstücken stehen, beginnt zu erzählen, gestikuliert und muss immer wieder schmunzeln. Zum Beispiel über die vielen Ausstellungsstücke, die die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies darstellen. Jedes Geheimnis – vor allem jene, die eigentlich gar keine sind – scheint ihr enorm zu gefallen.
«Das Geheimnis» läuft noch bis zum 21. April 2019. Solange wird Buri immer wieder mit der Ausstellung zu tun haben und Veranstaltungen organisieren. Es bleibt aber auch wieder mehr Zeit für den Alltag: «Ich freue mich darauf, wieder in die Tiefen meiner Abteilung zu steigen und die Sammlung zu pflegen.»
Ende 2020 wird es Tabea Buris nächste Ausstellung geben. Sie hat mir erzählt, welches Thema sie dann kuratiert. Aber das verrate ich nicht.
«Das Geheimnis – Wer was wissen darf», Museum der Kulturen, bis 21. April 2019.