Schielen Sie manchmal auch heimlich auf die Bildschirme ihrer Arbeitskollegen? Bei Stefan Karrers Installation im Haus der elektronischen Künste (HeK) dürfen Sie das, ganz ohne schlechtes Gewissen.
Als wir auf die Projektion eines PC-Desktops schauen, öffnet sich Wolke um Wolke um Wolke vor uns. Ein scheinbar endloser Strom an Bildern von «cool», «crazy» und «lonely clouds» wie uns eine computergenerierte Stimme über die Kopfhörer wissen lässt. Wir folgen dem Mauscursor, wie er klickt, öffnet, und weiterklickt. Rasch und endlos, gefangen in einem siebenminütigen Loop.
Zu abstrus? Dabei ist es eigentlich ganz simpel: Künstler Stefan Karrer filmte schlichtweg seinen Desktop (stellen Sie sich einen Screenshot als Video vor), als er seine Festplatte voller Wolken- und Wellenbilder durchstöberte.
Verkaterte Stunden, die nutzen
Man sieht ihn, wie er einen Ordner mit dem Namen des jeweiligen Fotomotivs öffnet – Wolken, Wellen, zu Beginn auch ein Swimming Pool. Dann klickt er sich durch die Fotos, die eines nach dem anderen kleinformatig neben dem Dateinamen aufpoppen. Begleitet wird er von einer Frauenstimme, die zu jedem Foto einen Kommentar – mal länger, mal kürzer, oft gleich – abgibt.
Gefangen in den endlosen Weiten seiner Festplatte: Stefan Karrers Installation im Haus der elektronischen Künste (HeK). (Bild: Eleni Kougionis)
Unausweichlich wird man an die unzähligen Stunden erinnert, die man vor dem eigenen Computer versessen hat. Das ist naheliegend, denn genau so ist die Installation auch entstanden: Verkatert sei Karrer stundenlang durch digitale Bilderfluten getaucht. Die Suchbegriffe wählte er aufgrund ihrer Doppeldeutigkeit – so denkt bei «cloud» heutzutage wohl manch einer weniger an Himmelsformationen als ans Silicon Valley.
Wenn der PC plötzlich spricht
Zwischen 2011 und 2012 war das. Jener Winter markiere den eigentlichen Anfang der Installation, sagt Karrer. Eine Slideshow von Screenshots war es damals, mit Bildunterschriften, die als Karaoke-Text gedacht waren. Ergänzt wurde die Projektion durch Keyboard und Mikrofon, die davor standen.
Einige Jahre später kam dann seine audio-visuelle Performance «R U I N». Es war sein erstes Desktop-Video, live aufgeführt in der Schwarzwaldallee. Ausgangspunkt seiner Festplattensuche war ein Jogger am Waldrand – keine Wolken, keine Wellen. Dann fragte ihn das HeK, ob er Lust hätte, für die Regionale das Verhältnis von Natur und digitalem Zeitalter zu reflektieren.
Stefan Karrer hatte Lust. Er schrieb zuerst das Drehbuch, will sagen den Text, den er die Computerstimme vorlesen lässt. «Der Computer erinnert sich für mich daran, was sich eigentlich noch alles auf der Festplatte befindet», erklärt er.
Stefan Karrer, das geerdete Multitalent
Das Schreiben ist für Karrer von grosser Bedeutung. Mit seinem jüngeren Bruder Daniel Karrer – ebenfalls bildender Künstler – textet und musiziert er in der Band James Legeres. «Das Dreieck aus Bild, Text und Klang hat mich schon immer fasziniert», sagt er.
Dies wird auch im Lebenslauf des 35-Jährigen deutlich: Nach einem kürzeren Intermezzo der Kunstgeschichte und Philosophie in Basel ging er nach Bern, studierte Musik und Medienkunst und machte 2012 schliesslich seinen Master in Contemporary Arts Practice. «Klingt nicht sehr vielsagend», sagt Karrer lachend. Ist aber eigentlich einfach vielfältig, genau wie sein künstlerisches Schaffen auch.
Ob gestalten, schreiben oder musizieren – Stefan Karrer kann vieles. (Bild: Eleni Kougionis)
Diese Vielfältigkeit kann aber auch anstrengend sein und überfordern. Karrer kennt das Gefühl. Doch seit er vor einem halben Jahr zu seiner Freundin – auch sie ist Künstlerin – nach Wien zog, kann er Abstand zu seiner Arbeit gewinnen und Ordnung im Kopf schaffen.
Es geht auch ohne Politik
Ordentlich ist auch seine Arbeit: Säuberlich aufgelistet sehen wir Dutzende von Bildern in Ordnern abgelegt, die nach den Suchbegriffen benannt sind. «Es geht mir in erster Linie ums anschauen und beschreiben.» Und Karrer interessiert sich dafür, wie die Menschen, die die Fotos geschossen haben, anschauen und beschreiben. Was für Bildunterschriften sie setzten, wann eine Wolke nur cool ist, und wann verdammt cool. Was in den endlosen Weiten des Internets eigentlich umherschwirrt, und wie es bewertet wird.
«Es geht mir ums anschauen und beschreiben»: Stefan Karrer verzichtet auf politische Statements. (Bild: Eleni Kougionis)
Für Karrer ist die digitale Welt eine riesen Möglichkeit dafür. Sie ist ein Werkzeug, mit dem man arbeiten muss – mit seinen guten wie mit seinen schlechten Facetten. Das Internet bietet einen nicht versiegenwollenden Strom an Bildern und Informationen, mit welcher wir unsere Festplatten füllen. Wir treffen eine Auswahl, die dann doch wieder zum Strom wird.
Ein Strom, aus dem auch Karrer so bald nicht mehr herauskommt: «Es gibt noch so viel zu behandeln, so viel zu zeigen.»
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Stefan Karrers Installation «Cool clouds that look like they should be spelling something, but they don’t» für die «Regionale» kann man sich noch bis zum 8. Januar im Haus der elektronischen Künste (HeK) anschauen. Ausserdem performt Karrer am 11. Januar um 19 Uhr live für die «Cantonale» im Kunsthaus Langenthal. Und bis zum 29. Januar ist eine Zusammenarbeit von ihm und seinem Bruder Daniel Karrer in der Kunsthalle Winterthur zu sehen.