Rund 90’000 Plakate bewahrt die Basler Plakatsammlung im grafischen Gedächtnis der Schweiz. Die Sammlung ist Teil eines Kataloges der Nationalbibliothek und für Fachkreise ein wertvolles Forschungsarchiv.
Seit ein paar Monaten ist diese Sammlung nicht mehr auf der Lyss zu Hause. Weil die Universität Basel die dortigen Räumlichkeiten für andere Zwecke benötigte, zügelte die Plakatsammlung ins Transitlager auf dem Dreispitz. Seither herrscht Unruhe unter der Belegschaft. Die Tätigkeiten in den Bereichen Vermittlung und Aufarbeitung, die per Regierungsauftrag ausgeführt werden sollten, kamen zum Erliegen.
Unruhe unter der Belegschaft
Für den Betrieb der Sammlung ist die Schule für Gestaltung (SfG) verantwortlich. Was genau für Aufruhr sorgt, ist nicht so einfach herauszufinden: Die Angestellten dürfen nicht mit Journalisten reden. Doch wer bei SfG-Direktorin Ursula Gysin Interesse anmeldet, Plakate für eine Ausstellung nutzen zu wollen, wird aufs Frühjahr 2019 vertröstet.
Was also ist da los?
Von einer unbefriedigenden Situation der Plakatsammlung hat auch SP-Grossrat Claudio Miozzari erfahren. Bereits im Mai, kurz nach dem Umzug, hat er deswegen eine schriftliche Anfrage beim Regierungsrat eingereicht. Darin werden einige Kritikpunkte ersichtlich.
So seien die Räume am neuen Ort «zu knapp bemessen», heisst es. Der Ausstellungsraum müsse deswegen gar als Lager zweckentfremdet werden. Und weiter erschreckend erscheint Miozzari ein anderer Punkt: Die SfG und das übergeordnete Erziehungsdepartement würden offenbar «der Plakatsammlung nicht mehr die notwendige Aufmerksamkeit zukommen» lassen. Diese könne damit ihren Auftrag nicht erfüllen.
Die schriftliche Antwort des Regierungsrats fiel in ihrem Kern wie folgt aus: Die Umzugsarbeiten beziehungsweise der Aufbau auf dem Dreispitz würden weiterhin andauern, der Regelbetrieb sollte auf Anfang 2019 wieder aufgenommen werden. Der Umzug habe «alle Beteiligten aufs Äusserste gefordert». Zudem seien die Verantwortlichen primär daran, die digitale Archivierung der Plakatsammlung voranzutreiben. «Hauptsächlich» zu diesem Zweck habe man zusätzliche Ressourcen eingesetzt.
Es ist ein Hinweis, mit dem die Regierung eine Erklärung dafür liefert, weshalb die mit öffentlichen Geldern finanzierte Plakatsammlung momentan weder ausstellt noch vermittelt: Die Digitalisierung der Plakate ist nun mal ein Riesenprojekt, und dieses kam bislang nur schleppend voran. Das Projekt beschäftigt die Verantwortlichen jetzt seit bald zwei Jahrzehnten. Kritiker reden deswegen von einer «Überforderung». Fest steht, es ist eine lange, lange Leidensgeschichte.
Ein Flop und jahrelange Verzögerung
Zum allerersten Mal öffentlich bekannt wurde das Digitalisierungs-Projekt durch einen Artikel im Magazin der «Basler Zeitung» vom 21. Januar 2001. In einem Gastbeitrag informierte der damalige Direktor der Sammlung, Rolf Thalman, über ein «Datenbankprojekt», welches «vor einigen Jahren» begonnen worden sei. «Bereits in näherer Zukunft werden die Bestände in Text und Bild via Internet zugänglich sein», so Thalmann zuversichtlich.
Acht Jahre später. Thalmann steht vor der Pensionierung, die BaZ widmet ihm ein Porträt und schreibt in einem Nebensatz, dass das Projekt Digitalisierung «auf halbem Weg steckengeblieben» sei. Das Vorhaben, die Papierplakate elektronisch zu konservieren, scheiterte demnach bereits vor zehn Jahren ein erstes Mal.
Wie ist das möglich? Ist es derart kompliziert, Plakate einzuscannen und in einem digitalen Archiv wiederauffindbar zu verstauen?
«Der Zuständige hat sich mehr oder weniger über Nacht mit den gesamten Beständen nach Österreich abgesetzt.»
Antworten hat Enrique Fontanilles. Er war stellvertretender Direktor der SfG und ist heute einer der lautesten Stimmen, wenn es darum geht, die aktuelle Führung und ihren Umgang mit der Plakatsammlung zu kritisieren. «Direktor Thalmann hatte damals einen Bekannten mit der Digitalisierung betraut. Doch die beiden haben sich verstritten», weiss er. «Der Zuständige hat sich dann mehr oder weniger über Nacht mit den gesamten Beständen nach Österreich abgesetzt.» Dadurch sei ein Schaden von mehreren hunderttausend Franken entstanden, sagt Fontanilles. «Meines Wissens wurde nie jemand dafür belangt.»
Stimmt das? Das wollen wir vom Erziehungsdepartement wissen. Eine entsprechende Nachfrage beantwortet Sprecher Simon Thiriet wie folgt:
«Wir können und wollen diese Mutmassungen nicht näher kommentieren. Angebliche Vorkommnisse, die mehr als zehn Jahre zurückliegen, sind für uns und unsere Zielsetzung, die Digitalisierung der Plakatsammlung fristgerecht abzuschliessen, ohnehin nicht von Belang.»
Was Thiriet bestätigt, ist, dass «interne Meinungsverschiedenheiten die Fortsetzung des Projektes behindert haben». Er meint damit den gefloppten ersten Digitalisierungsversuch.
Irgendwann zwischen 2012 und 2013 nahm die Direktion einen zweiten Anlauf. Wann dies genau geschah, lässt sich heute nicht abschliessend sagen. Die Aussagen sind widersprüchlich: In einem Artikel der TagesWoche vom November 2015 ist die Rede davon, dass der Verantwortliche Leiter Dokumentation bei der Plakatsammlung seit «drei Jahren hauptberuflich» daran sei, die Sammlungsbestände zu digitalisieren und dass diese Arbeiten bis Ende 2017 abgeschlossen sein sollten.
ED-Sprecher Thiriet hingegen sagt, es sei erst 2013 mit den ersten Digitalisierungsarbeiten begonnen worden. Fest steht, dass erneut seit mindestens fünf Jahren an der Digitalisierung gearbeitet wird und diese noch immer nicht zum Abschluss gekommen ist.
Was das alles kostet, bleibt ebenfalls unklar. Thiriet argumentiert, dies lasse sich «nicht eruieren», weil die TagesWoche ihm eine zu kurze Frist gesetzt habe. Er hat knapp eine Woche Zeit gehabt. Das ED habe eine Startsumme von 120’000 Franken gesprochen, die weiteren Mittel seien direkt aus dem SfG-Budget geflossen.
Unbefriedigende Antworten
Nach dem aktuellen Stand gefragt, schreibt Thiriet: «Beinahe alle Plakate sind in ein digitales Format umgewandelt. Um eine Digitalisierung zu erreichen, die auch wissenschaftlichen Anfoderungen genügt, müssen allerdings weitere Schritte vorgenommen werden. Durch die Umzugsvorbereitungen sowie den Umzug selbst wurden die Arbeiten an der Datenbank um ungefähr zwei Jahre verzögert. Wir bewegen uns aber immer noch innerhalb des ursprünglichen und kommunizierten Zeitplans.»
Die von offizieller Seite versprühte Zuversicht beruhigt Kritiker Fontanilles keineswegs. Überhaupt ist in seinen Augen die verschleppte Digitalisierung nicht das einzige Problem. Seit dem Umzug werde die Sammlung generell nur noch stiefmütterlich behandelt. Er sagt:
«Verantwortlich für die entstandene Misere der Plakatsammlung ist meiner Meinung nach die vom Erziehungsdepartement lamentabel geplante Rochade von der Lyss auf den Dreispitz, um der Universität an der ehemaligen Gewerbeschule Platz zu verschaffen. Ich gehe davon aus, dass der Mietzins auf dem Dreispitz wesentlich höher ist als auf der Lyss und dass nun mit Einsparungen beim Raum und beim Personal dem entgegengewirkt werden soll. Inzwischen ist nicht mal mehr sicher, ob die Uni überhaupt ins Gebäude auf der Lyss einziehen wird.»
Auch bei Grossrat Miozzari blieben nach der schriftlichen Stellungnahme des Regierungsrates Fragen offen: «Meine Anfrage wurden leider sehr defensiv beantwortet, eine konkrete Antwort blieb die Regierung schuldig.» Er sei einem Wandel gegenüber nicht grundsätzlich kritisch eingestellt, ein solcher könne immer auch eine Chance sein. Es sei den Verantwortlichen jedoch noch nicht gelungen, diese Chancen hervorzuheben.
Die Bevölkerung wird sich, so teilt das ED mit, im Januar 2019 erstmals selbst ein Bild von der Plakatsammlung an ihrem neuen Ort machen können. Dann soll auch die nächste Ausstellung stattfinden.