Am 7. März 1988 starb der US-Sänger und Schauspieler Harris Glenn Milstead. Zur Kultfigur wurde er als Dragqueen Divine.
Die Szene schrieb Filmgeschichte: Ein wuscheliges Hündchen hinterlässt ein Häufchen auf der Strasse, eine ausgesprochen füllige Matrone greift danach und nimmt es in den Mund. Es ist die Schlussszene von John Waters Kultfilm «Pink Flamingos» von 1972, der den Hauptdarsteller Harris Glenn Milstead als Dragqueen Divine (1945–1988) zur grossen Underground-Kultfigur werden liess. Lange blieb Divine als die Figur in Erinnerung, die Hundescheisse frass – auch wenn das nur eine von vielen grenzwertigen Aktionen war.
Es war nicht der erste Film, den John Waters mit Divine drehte (und auch nicht der letzte). Aber es war der Streifen, der den King of Trash und seine Muse (und Jugendfreund) zu den Ikonen des schlechten Geschmacks werden liess. «Divine wollte nicht als Frau durchgehen, sondern als Monster», sagte Waters 2015 in einem Interview mit dem «Sonntags-Blick». «Er wollte Godzilla sein, nicht Marilyn Monroe.»
John Waters, der King of Trash, und seine Muse Divine 1974 in New York. (Bild: Waring Abbott/Getty Images)
Massgeblichen Anteil an der Entwicklung des Kultwesens Divine hatte der Maskenbildner Van Smith. Er liess Milsteads Haare bis zur Kopfmitte zurückrasieren, um mehr Platz für das ausladende Augen-Make-up zu erhalten, das zum Markenzeichen der Kunstfigur wurde. Zusammen mit der Körperfülle (Divine soll über 150 Kilogramm gewogen haben, die sie in viel zu enge Kleider presste) und dem ungestümen Auftreten natürlich.
Schrill, dick und hemmungslos
Divine war schrill, dick und hemmungslos. «Sie tat alles, was John von ihr verlangte», sagt eine ihrer Weggefährtinnen im sehenswerten Filmporträt «I Am Divine» von Jeffrey Schwarz aus dem Jahr 2013 (über iTunes erhältlich). «Die Figur der Divine zu spielen, hatte etwas Befreiendes für mich», ist im selben Film aus dem Munde des oder der Porträtierten zu vernehmen. Er habe immer Filmstar sein wollen, sagt er weiter.
Er wurde es. Und ein Popstar dazu. Auch das nicht in erster Linie im Mainstream-Business, sondern ebenfalls im Underground. Als grandiose Punk-Performerin und als Queen des Schwulensauna-Disco-Sounds schaffte sie es aber auch in die Pop-Charts. «Shoot Your Shot» und «You Think You’re A Man» erreichten Mitte der Achtzigerjahre in der Schweiz die Top Ten.
Auch im Film schaffte es Divine zumindest bis an die Ränder des Mainstreams. So etwa in der Teenager-Komödie «Hairspray» (1988), in der John Waters seine Leidenschaft für den Trash auf Sparflamme zurückdrehte.
Der nette Onkel von nebenan
Divine war aber nur die rauschhaft ausgespielte Rolle von Milstead, ein wandelndes Kunstwerk quasi. Privat und auch bei seinen Auftritten in Talk Shows wirkte er wie der nette Onkel von nebenan: sympathisch, eloquent und ganz und gar nicht tuntenhaft. Milstead, so wird in seinem Filmporträt erzählt, war zwar schwul, aber kein Vollblut-Transvestit.
So erwachte in Milstead oder Divine mit der Zeit die Sehnsucht, auch einmal als Mann auf der Leinwand aufzutauchen. Das war ihm kurz vor seinem Tode vergönnt in der Horror-Komödie «Out of the Dark» von Michael Schroeder, wo er in einer Nebenrolle als Polizeiermittler auftrat. Der Film kam erst nach seinem Tod in die Kinos.
Ein Schauspieler mit grossem Talent
Nicht mehr gereicht hat es für einen Auftritt als Onkel Otto in der bekannten Sitcom «Eine schrecklich nette Familie». In der Nacht vor den Dreharbeiten starb Milstead/Divine mit 42 Jahren in einem Hotel in Los Angeles an Herzversagen.
Die «New York Times» würdigte Divine als Schauspieler, der mehr war als nur Kultfigur: «Those who could get past the unremitting weirdness of Divine’s performance discovered that the actor/actress had genuine talent, including a natural sense of comic timing and an uncanny gift for slapstick (Diejenigen, die hinter die verrückten Auftritte von Divine sehen konnten, entdeckten, dass der Schauspieler/die Schauspielerin echtes Talent besass mit einem untrüglichen Gefühl für Timing und Slapstick).»