Drei Heiratsanträge und ein Todesfall

Mit «Far from the Madding Crowd» kommt einer der grossen englischen Klassiker als Neuverfilmung in die Kinos. Kühl, stellenweise beklemmend und als eine Mischung aus Heimatfilm und Existenzangstkabinett.

Noch herrscht Idylle auf dem Land, doch der Ärger im Paradies ist programmiert.

(Bild: © 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation.)

Mit «Far from the Madding Crowd» kommt einer der grossen englischen Klassiker als Neuverfilmung in die Kinos. Der Titel gaukelt dem Zuschauer ländliche Idylle vor, bald aber wir klar, dass der Titel nur ironisch gewählt worden sein kann. Denn das Leben und Schicksal von Bathsheba Everdene verläuft alles andere als ruhig.

Der britische Autor Thomas Hardy (1840–1928) entwarf einige für seine Zeit emanzipierte Frauenfiguren, welche die patriarchalen Normen der Viktorianischen Zeit durchbrachen. Für seine Werke liess er sich oft vom englischen Landleben, welches er sehr schätzte, inspirieren. Er bewies ein feines Gespür für Dynamiken in abgeschottet lebenden Gemeinschaften und Kritik an sozialen Konventionen.

Die wohl berühmteste seiner Protagonistinnen ist Bathsheba Everdene, zentrale Figur seines Romans «Far from the Madding Crowd». Unter Thomas Vinterbergs Regie kommt nun die vierte Verfilmung des Stoffes ins Kino. In der Tradition seiner Filme «Festen» und «Jagten» zeichnet der Däne auch hier ein beklemmendes Bild einer isolierten Gemeinde, in welcher der Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg respektive der Fall zum sozialen Pariah eng beieinander liegen. 

Drei sind zwei zu viel

Bathsheba Everdene (Carey Mulligan) erbt unverhofft den Hof und die Ländereien ihres Onkels. Sie verlässt das kleine Haus in Dorset, wo sie mit ihrer Tante gelebt hat, und macht sich auf, das alte Gehöft wieder auf Vordermann zu bringen. Nicht lange und es stellt sich heraus, dass die junge Frau nicht nur ein Gespür für das Führen eines Bauernbetriebs hat, sondern auch selbst hart anpacken kann bei der Arbeit. Das Zusammenleben wird harmonisch beschrieben, ja es besitzt teilweise schon Züge einer Landkommune.

Auch Verehrer zieht Bathsheba scharenweise an. Der Schafhirte Gabriel Oak (Matthias Schoenarts), der benachbarte Bauer und wohlhabende, mittelalterliche Junggeselle William Boldwood und der schneidige, aber schmierige Sergeant Frank Troy (Tom Sturridge) buhlen um die Hand der widerspenstigen Jungfer. Doch diese sieht keinen Sinn im Heiraten. Jemals. Sie möchte nicht «jemandes Besitz werden», wie sie sagt.

Das Werben kommt daher wie ein emotionaler Autounfall

Die Zuschauer verfolgen, wie Bathsheba ihr Leben zwischen Heiratsangeboten hindurchnavigiert und gleichzeitig die Freundschaft zu ihren Verehrern aufrechtzuerhalten versucht. Der gutmütige Schäfer, der gleichzeitig ihre erste Jugendliebe ist, wird als Erster abgeschossen. Er bleibt aber mit der treudoofen Loyalität eines Berner Sennenhundes an Bathshebas Seite. Das Werben des Junggesellen Boldwood entpuppt sich als ein einziger, sich langsam entwickelnder, emotionaler Autounfall, von dem man die Augen aber doch nicht abwenden kann.

Sergeant Frank Troy, der eigentlich sowieso nur einen Notnagel sucht, um die geplatzte Hochzeit mit seiner wahren Liebe zu verarbeiten, hat auch keinen Erfolg bei ihr. Doch der viktorianische Bad Boy bedient sich eines alten Tricks: Er versucht, Bathsheba mittels umgekehrter Psychologie zur Heirat zu bewegen.

Bathsheba hatte schon Mühe, zwei Verehrer unter einen Hut zu bringen, behielt aber eine jugendliche Leichtherzigkeit. Mit dem Auftauchen Sergeant Troys beginnt diese allerdings zu schwinden. Das aufziehende Unheil scheint unausweichlich.



Vinterberg spickt den Film mit Szenen aus dem Landleben wie aus dem Bilderbuch.

Vinterberg spickt den Film mit Szenen aus dem Landleben wie aus dem Bilderbuch. (Bild: © 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation.)

Rosamunde Pilcher gepaart mit Existenzängsten

Ihre Unabhängigkeit ist Bathshebas wichtigstes Lebensziel, woher auch ihre Abneigung der Ehe gegenüber rührt. Die Männer in ihrem Leben sind ihr zwar überwiegend wohlgesonnen, verstanden wird sie von ihnen aber nicht. Ihre Versprechen von einem eigenen Klavierzimmer im Haus und Schmuck und teuren Kleidern zeugen von einer grundlegenden Hilflosigkeit im Umgang mit der freiheitsliebenden Frau. 

Diese Hilflosigkeit zeigt sich nicht nur in den absurden Angeboten der Verehrer Bathshebas. In Gesprächen untereinander bröckelt ihre souveräne Fassade zunehmend. Sie demontieren das Klischee des abgeklärten englischen Gentlemans, der jede emotionale Enttäuschung höchstens mit einem Kräuseln seiner steifen Oberlippe quittiert. Die Unbeholfenheit, mit welcher sie um Bathsheba werben, und ihre Unfähigkeit, mit ihrer wiederholten Zurückweisung umzugehen, ist ihnen durchaus bewusst. So klammern sie sich aneinander wie Ertrinkende, wenn sie versuchen, sich gegenseitig Trost zu spenden.

Zentral für die Geschichte sind der Bauernhof und seine Bewohner, welche selbst eine Art Mikrokosmos in dieser Abgeschiedenheit bilden.

Mit leisen Tönen erzählt Thomas Vinterberg die Geschichte von Bathsheba und ihrer Suche nach einem Platz in der Welt. Idyllische Landschaftsbilder und durchkomponiert anmutende Momentaufnahmen der Hofarbeit zeichnen ein romantisches Bild des Lebens auf dem englischen Land. Das familiäre Miteinander auf dem Bauernhof, rollende grüne Hügel im Morgennebel, weitläufige gelbe Kornfelder und Szenen, die die Belegschaft beim gemeinsamen Feiern mit der Gutsherrin zeigen, wiegen den Zuschauer in der falschen Sicherheit, abseits der Stadt verliefe das Leben ruhig und harmonisch. Das nahegelegene Dorf existiert nur in der Peripherie des Films. Zentral für die Geschichte sind der Bauernhof und seine Bewohner, welche selbst eine Art Mikrokosmos in dieser Abgeschiedenheit bilden.

Zusätzlich zu dieser Unaufgeregtheit kommt die Unterkühltheit der Protagonisten hinzu. Die meisten Informationen über die Emotionslage der Figuren erfahren wir aus ihren Dialogen, grosse Gefühlsausbrüche fehlen fast gänzlich. Im Laufe des Films lässt Vinterberg den Grundton langsam kippen. Schleichend breitet sich Unbehagen aus. Die Geschichte bewegt sich stetig, aber ohne lautes Drama auf einen Abgrund zu, bis man sich plötzlich mit den existenziellen Ängsten der Einzelnen konfrontiert sieht.

«Far from the Madding Crowd» ist ein unaufgeregtes, aber stimmiges Drama. Die Geschichte ist simpel, die Konstellation Dreiecksbeziehung ein Klassiker, nicht nur in der Literatur. Man findet sie bei den alten Griechen (Helena, Paris und Oenone), in der Bibel (Abraham, Sara und Hagar) oder Goethe («Die Leiden des jungen Werthers»). Die Ausgangslage ist der Stoff, aus dem auch eine Rosamunde-Pilcher-Liebesschnulze entstehen könnte. «Far from the Madding Crowd» schafft es aber, den ärgsten Kitsch zu umschiffen.

Anstelle der Heile-Welt-Verklärtheit treten menschliche Abgründe und eine Gesellschaft voller erdrückender Konventionen. Über eine Spanne von knapp zwei Stunden sehen wir dabei zu, wie Kummer und die Selbstgerechtigkeit der Männer den Willen der jungen, lebensfrohen Bathsheba zu brechen drohen. Sie scheint vor unseren Augen zu altern, während sie versucht, das unabwendbar scheinende Unglück abzuwehren, und muss dabei einsehen, dass dies ohne Kompromisse nicht geht.

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«Far from the Madding Crowd» läuft ab dem 16. Juli in Deutschschweizer Kinos.

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