Dreiecksgeschichte im Gefühlsvakuum

Mit «Isolde» von Richard Maxwell, dem Kopf der New York City Players, lässt das Theater Basel sein Publikum etwas New Yorker Avantgarde-Luft schnuppern und serviert – in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln – auf der Kleinen Bühne grosse Gefühlswelten, die zu Eis gefroren sind.

Dreiecksbeziehung ohne Gefühl: Jim Fletcher, Victoria Vazquez und Gary Wilmes in «Isolde» (Bild: Simon Hallström)

Einfach zu fassen ist «Isolde» auf der Kleinen Bühne des Theaters Basel nicht. Autor und Regisseur Richard Maxwell, angekündigt als eine der Vorzeigefiguren der New Yorker Avantgarde, erzählt eine eigentlich ergreifende Dreiecksgeschichte, die er mit schöner Musik untermalt, im Spiel aber letztlich fast aller Emotionen beraubt.

Isolde weiss den Text nicht mehr. Ein Paar Worte nur – sie könnten aus der grossen Liebestragödie «Tristan und Isolde» stammen – und es geht nicht weiter. Ihr Mann muss ihr mit Hilfe des Textbuchs auf die Sprünge helfen: «And when i saw my true love’s mortal wound.» Aber da geht nichts mehr. «Meiner Liebe tödliche Wunde», plappert sie nach. Aber aus ihrem Mund sind es Worte ohne Inhalt. Isolde ist Schauspielerin, die ihren Text nicht mehr behalten kann. Noch viel schlimmer: die den Zugang zu ihrer emotionalen Erinnerung verloren hat, die sie braucht, um eine Rolle spielen, um einen Text mit Inhalt füllen zu können. Oder um es mit den Worten des Ehemanns zu sagen: «Did you ever just try saying what you feel?»

So beginnt auf der Kleinen Bühne die Uraufführung von «Isolde», geschrieben und inszeniert von Richard Maxwell, einem der «wichtigsten Vertreter der New Yorker Avantgarde-Theaterszene», wie das Theater Basel verkündet. Dieser Richard Maxwell, Kopf der New York City Players, ist mit einem Auftragstück im Gepäck nach Basel gekommen und in Begleitung einiger seiner Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich für ihre Basler Auftritte mit Ensemblemitgliedern und Musikerinnen und Musikern aus Basel zu einer Art Mixed Group in Residence zusammengetan haben.

Avantgarde heute?

Avantgarde klingt doch schon mal gut. Und in der Verbindung mit New York eigentlich noch besser. Doch was ist Avantgarde in einer Zeit, in der an den Stadttheatern die Grenzen der Theatertraditionen eh bereits stetig ausgelotet oder überschritten werden, in der sich Theaterdramaturgen von Berlin über Basel bis Luzern auf ihrer Suche nach frischen Talenten mit frischen Ideen gegenseitig auf die Füsse treten? Aber vielleicht ist Avantgarde ja auch der falsche Begriff, vielleicht wäre Experimentiertheater besser. Auf alle Fälle ist man gefasst, etwas Aussergewöhnliches zu erleben.

Diese Aussergewöhnliche kommt erst einmal, zumindest oberflächlich, recht eingängig daher: Mit einer nachvollziehbaren Geschichte, mit einem Text mit Dialogen sowie klarer Rollenzuteilung und untermalt mit einer Musik (Daniel Ott), die, von einem Trio (Sylwia Zytynska, Lanet Flores Otero und Malte Preuss) wundervoll gespielt, wie im Film innige Gefühlsmomente heraufzubeschwören weiss. Erzählt wird die Geschichte von Isolde, Ehefrau eines (eigentlich) einfühlsamen Bauunternehmers, die sich ihrer Gefühlwelt beraubt sieht. Sie erhofft sie durch die Begegnung mit einem Stararchitekten wiederzugewinnen, zerbricht letztlich aber an der Dreiecksbeziehung.

Gefühlsvakuum

Unter dieser Oberfläche hat Richard Maxwell aber mit naturalistischem oder gar psychologisierendem Theater nichts am Hut. Die unter Gefühlsmanko leidende Isolde sieht sich einer Umgebung gegenüber, deren Empfindungsvermögen schon längst verloren gegangen ist. Ihr Mann, der Bauunternehmer Patrick ist ein hölzerner Klotz, der wie eine seelenlose Puppe über die Bühne stakst. Stararchitekt Massimo ist ein selbstverliebter Pfau, der seinen Kreativitätsbeweis-Sermon herunterleiert. Und als dritter Mann im Bunde taucht Uncle Jerry auf, der in seiner gekünstelten Freundlichkeit einer amerikanischen TV-Dauerwerbung für Heimwerkerzubehör entsprungen sein könnte.

Isolde ihrerseits ist dreifach besetzt, quasi die Abstufung auf einer Emotionsskala: Da ist die Abgestumpfte, die ihren Text gefühlsmässig nicht mehr nachzuempfinden weiss (Zoe Hutmacher), die Verzweifelte, die auch mal einen kleinen Wutausbruch hervorbringt (Victoria Vazquez) und jene Isolde, die über die Begegnung mit dem Architekten doch noch so etwas wie Emotionen erleben kann. Letztere ist mit der Sopranistin Agata Wilewska besetzt – es ist also auch hier die Musik, die für die Gefühlsmomente sorgt.

Uneindeutigkeit

Dies alles kann man als kritischen Blick auf den gehobenen (amerikanischen) Mittelstand verstehen, der durch sein materialistischen Weltbild (Isolde soll durch den Bau eines neuen Landhauses am See wieder zu sich selber finden) das Empfindungsvermögen verloren hat. Ganz so klar aber offenbaren sich diese Bezüge nicht. Maxwell weicht immer wieder von der klaren Linie ab, lässt Brüche bzw. Ausbrüche aus dem vermeitlich stringenten Konzept zu.

Das zeigt sich bereits in der Ausstattung (Sascha von Riel), welche die Umgebung lediglich als unfertiges Kulissengerippe zeigt. Gleichzeitig enthüllt ein grosser Vorhang an der Rückwand der Bühne einen naturalistischen Landschaftshintergrund. Auch das oben beschriebene Gefühlsvakuum offenbart sich so eindeutig nicht. Immer wieder blitzen in kurzen Momenten doch noch kleine emotionale Momente durch. Das sorgt für Irritation: Ist das bewusst so angelegt oder halten die Schauspielerinnen und Schauspieler die Emotionslosigkeit ganz einfach nicht durch? Es ist sicher ersteres der Fall, denn das Ensemble ist so konzentriert bei der Sache, dass solche unfreiwilligen Ausrutscher kaum vorstellbar sind.

Leicht spröder Nachgeschmack

Diese durchgehende Uneindeutigkeit ist auf Dauer etwas anstrengend. Kaum hat man sich als Zuschauer auf eine Deutungsebene eingelassen, wird diese durch Brüche wieder in Frage gestellt. Nicht offensichtlich, sondern eben ganz subtil und leise. Das ist erst einmal interessant, man wird zum Nachdenken angeregt. Soweit, so gut. Letztlich aber vermag der 75 Minuten dauernde Abend nicht so richtig zu packen. Zu sehr bleibt das Bühnengeschehen auf der intellektuellen Ebene stecken, wirklich mitreissend oder verblüffend ist das nicht. Der Theaterabend hinterlässt in der Erinnerung einen leicht spröden Nachgeschmack.

Theater Basel/New York City Players
«Isolde»
(UA)
Von Richard Maxwell
(Englisch mit deutschen Übertiteln)
Regie: Richard Maxwell, Musik: Daniel Ott, Bühne: Sascha von Riel, Kostüme Romy Springsguth, Dramaturgie: Stephanie Gräve
Mit: Agata Wilewska, Victoria Vazquez, Zoe Hutmacher, Jim Fletcher, Ulla von Frankenberg, Gary Wilmes, Brian Mendes sowie mit Sylwia Zytynska, Lanet Flores Otero, Malte Preuss (Musik)
Weitere Vorstellungen: 13. und 14. September sowie im November auf der Kleinen Bühne.

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