Dürfer und Träumer – Zur Erinnerung an den Künstler Max Kämpf

Er gehört zu den bedeutendsten Schweizer Malern des 20. Jahrhunderts. Heute, am 15. Mai 2012, würde Max Kämpf 100 Jahre alt. Ein guter Grund, um sich sein künstlerisches Schaffen in Erinnerung zu rufen und einen Blick auf sein Leben zu werfen.

Max Kämpf bei seiner Arbeit. (Bild: Archiv Kurt Wyss)

Er gehört zu den bedeutendsten Schweizer Malern des 20. Jahrhunderts. Heute, am 15. Mai 2012, würde Max Kämpf 100 Jahre alt. Ein guter Grund, um sich sein künstlerisches Schaffen in Erinnerung zu rufen und einen Blick auf sein Leben zu werfen.

Über sich selbst sagte Max Kämpf 1980, zwei Jahre vor seinem Tod: «Ich ertrage offensichtlich keinen Zwang, ich tue, wenn ich darf, alles, wenn ich muss, nichts, ich bin blockiert. Kommt das Müssen aus mir heraus, dann bin ich sogar froh und gehe mit dem ganzen Elan an die Aufgabe. (…) Ich bin ein typischer Dürfer und miserabler Müsser.» Damals litt der Basler Künstler bereits an einem Krebsleiden, von dem er am 26. September 1982 erlöst wurde. Drei Jahre zuvor hatte er sich einem schweren chirurgischen Eingriff unterzogen, der sein Leben zwar nicht retten konnte, ihm aber ein paar zusätzliche Jahre seines Leben schenkte.

Ein Dürfer war er – und ein Träumer, der sich in seinen Werken der Bedürftigen, Randständigen und Wurzelsuchenden annahm: Zu den wiederkehrenden Motiven seines Oeuvres gehören Waisenkinder, Bettler und Emigranten. Auch Navajo-Indianer, mit deren Schicksal er sich menschlich identifizierte, sind mehrmals in seinen Bildern anzutreffen. Ihn selbst zog es, obwohl verwurzelt in Basel, immer wieder in die Ferne, dorthin, wo er persönliche Eindrücke und Ausdruck seines malerischen Schaffens vertiefen und weiterentwickeln konnte. So reiste er zusammen mit seiner Gefährtin Tilly Chobaz, die auch Kunstmalerin war, drei Mal nach Amerika und fuhr mit ihr auf der ersten dieser Reisen 16’000 Kilometer durch weite Teile des Westens und Südwestens der USA. Der Wilde Westen, die Heimat der «Outcasts», übte auf ihn eine besondere Faszination aus.

Eindringliche Werke

Obschon sich die Beschäftigung mit Aussenseitern oder mit solchen, denen das Leben übel mitgespielt hatte, wie ein roter Faden durch sein Werk zieht, malte Kämpf in seiner früheren Schaffensphase auch romantisch angehauchte Landschaften in Ölfarben, so etwa «Waldhaus an Fluss» (1937) oder «Vorstadtlandschaft» (1939).

Zu seinen eindringlichen Werken gehören die «Kinder-Bilder»: Diese Werke, die sich im Spannungsfeld des Erwachsenwerdens zwischen erwachter Selbstbehauptung und der Suche nach Orientierung befinden, beeindrucken auch heute noch, ob als Knabenporträt, das mit einem dicken schwarzen Kreidestrich gezeichnet ist, oder als Gruppenanordnung in Erdtönen.

In diesen Werken dominieren pastose Farben – bleiern und flächig legen sie sich über die Leinwand. Die Hoffnungslosigkeit und Kargheit der Kriegsjahre bringt Kämpf damit auf die Leinwand, ob bewusst oder unbewusst. Selbst versuchte der Künstler, etwas gegen die alltägliche Misere zu tun, indem er Bedürftigen Unterschlupf in seinem Atelier gewährte und Kindern, die auf Besuch kamen, mit Geschichten den tristen Alltag etwas aufzuheitern versuchte.

Traumwandlerische Sicherheit

1912 als Sohn eines Bäckermeisters geboren, wuchs Max Kämpf mit seinen drei Geschwistern an der Riehentorstrasse im Kleinbasel auf, später wohnte er im Gundeli. Über seine Schulzeit sagte Kämpf: «Acht Jahre Schule haben wenig gebracht, ich träumte». Doch diese traumwandlerische Sicherheit, wenn es um seine Motive ging, ist ihm zeitlebens nicht abhanden gekommen und bescherte ihm posthum Aufmerksamkeit und künstlerisches Ansehen, das er sich hart verdienen musste.

Seine künstlerische Entwicklung dauerte über fünf Jahrzehnte – eine lange und turbulente Zeit, in der er sich auch in Phasen materieller Not treu blieb: Max Kämpf war ein Individualist, welchem seine Unabhängigkeit oberstes Gebot war, dennoch nahm er Anteil – ob malerisch oder persönlich – am Schicksal der notleidenden, verfolgten und misshandelten Mitmenschen.

Neue Chance

Nach seiner Schulzeit machte «Megge» eine Lehre als Flachmaler und widmete sich nebenbei seinen eigenen Malstudien, nach Abschluss der Lehre besuchte er die Kunstgewerbeschule in Basel. Die Werke von Arnold Böcklin und Hans Holbein d. J. beeinflussten und inspirierten ihn. Aber auch Bilder Van Goghs, damals in der Basler Kunsthalle zu bewundern, befeuerten seine künstlerischen Ideen.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die damit vorangetriebene Entwicklung der Physik und der auf ihr beruhenden Technik gab der ungegenständlichen Kunst das naturwissenschaftliche, theoretische und abstrakte Pendant in der Welt der Wissenschaft. Vor 1945 waren die Fauves, Kubisten, Expressionisten, Dadaisten und Surrealisten als Opposition einer Minderheit verschrien und gehetzt, man denke nur an die «Entartete Kunst» und die Diffamierung der modernen Kunst durch die Nationalsozialisten in Deutschland.

Nach dem Krieg sollte aus dieser forcierten Engführung von politischen, rassentheoretischen und künstlerischen Theorien eine neue Chance für einen freieren Umgang mit verschiedenen Kunstströmungen entstehen, zumindest im Westen. Max Kämpf gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Künstlervereinigung «Kreis 48», deren erste Gruppenausstellung 1948 in der Galerie Beyeler stattfand. Auch fand er Gefallen an der Basler Fasnacht und entwarf eine «Goschdym»-Serie für die «Kuttlebutzer»-Clique wie sein Stadtbruder Jean Tinguely. Kämpfs Werke sind zwar gegenständlich, aber nicht einem brutalen «Realismus» oder puristischen «Naturalismus» geschuldet. Sakrale Themen stellte er mit einer Selbstverständlichkeit neben poetische und alltägliche.

Es sind dann auch nicht die Gegenstände oder Menschen in ihren abstrakten Formen und Silhouetten, die Kämpf hauptsächlich interessierten, sondern die Erlebnisse mit diesen im tagtäglichen Leben, im Akt der Zeichung, bei der stillen Betrachtung oder als Erinnerung im Kopf. Der Kunsthistoriker Georg Schmidt mass ihm eine besondere Bedeutung innerhalb der gegenständlichen Schweizer Kunst zu und rechnete ihn zu einem kleinen Kreis von «echten realistischen Naturalisten», die von eben diesen Gegenstandserlebnissen besessen waren. Jean-Christophe Ammann sah in seinen Werken eine Sehnsucht nach Reinheit, nach dem Zustand, in dem die Schuld nicht existiert.

Zahlreiche Techniken

Auch beschäftigte sich Kämpf mit der Freskomalerei. Diese, meist in grösseren Formaten umgesetzten Wandbilder, gehören zu seinen Hauptwerken. Wiederholt reichte er Entwürfe für öffentliche Aufträge ein, so auch den Entwurf «Traumflug» anlässlich einer Ausschreibung des Kunstkredits. Eine Illustration für eine Wand im Basler Waisenhaus wurde gesucht. Zur Ausführung kam es leider nie – trotz der Auszeichnung mit dem ersten Preis. Moralische Bedenken, die die Nähe des dargestellten Mädchens und des Jungen betrafen, verhinderten eine Umsetzung.

1984, zwei Jahre nach seinem Tod, zeigte die Basler Kunsthalle eine grosse Retrospektive mit 313 Werken und veröffentlichte eine umfassende Monographie. Dieses Jahr zeigte das Basler Kunstmuseum Werke anlässlich seines 100. Geburtstag aus den eigenen Beständen, auch in der Galerie Carzaniga wurden seine Werke ausgestellt.

In seinem Spätwerk (1963-1982) zeigte sich Kämpf als virtuoser Zeichner. In den 1970er Jahren dominierten düstere Themen, ein emotionaler und schmerzvoller Abschiedsprozess kündigte sich an. Kämpf bemalte Ziegel mit Akten, Bade- und Bordellszenen und einem Teufel, der einen bleichen Leichnam, das «Selbstbildnis», vom Boden hochzieht. Der Träumer Kämpf musste sich mit der harten Diagnose und seinen schwindenden Kräften abfinden. Doch wenn er malte, durfte er alles.

  • Im Antiquariat Libelle an der Schnabelgasse wird am Dienstag, 15. Mai 2012, 17 Uhr, auf Max Kämpfs Leben und Werk angestossen. Ein Apéro wird offeriert unter dem Patronat des «Club zur alten Klappe».

 

 

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