Dürrenmatt, mit Drive aber ohne Biss inszeniert

Regisseurin Barbara Weber peitscht Dürrenmatts hintersinnigen Roman «Der Richter und sein Henker» als vordergründiges Kriminalspiel-Konzentrat über die Bühne des Basler Schauspielhauses. Der Abend hat viel Drive, nimmt damit aber gravierende inhaltliche Verluste in Kauf.

Die beiden grossen Kontrahenten: Der Verbrecher und der Kommissar (Vincent Leittersdorf und Andreas Matti) (Bild: Judith Schlosser)

Man sollte ihn wieder mal lesen, Dürrenmatts Roman «Der Richter und sein Henker». Dazu angeregt wird man durch die aktuelle Bühnenbearbeitung am Theater Basel, die ein temporeiches, aber allzu holzschnittartiges Konzerntrat der hintersinnigen Geschichte abgibt.

Es ist eine seltsame Dürrenmatt-Darstellung, die der Schauspieler Jesse Inman abgibt. Der legendäre Berndeutsch-Akzent des Schriftstellers wird durch ein britisch gefärbtes Deutsch ersetzt, wenn Inman auf der Bühne seine Atmosphären-Beschreibungen durchs Mikrophon nuschelt. Oder in der Szene, in derDürrenmatt in seinem Roman «Der Richter und sein Henker» seinem Alter Ego einen Auftritt beschert. Dann sitzt Inman ganz hinten auf der weiten Bühne im Schauspielhaus vor einem Schachbrett. Das ist natürlich nicht zufällig so konstruiert, denn das Schachspiel passt gut als Symbol für die verzwickte Geschichte.

Regisseurin Barbara Weber und ihr Bühnenbildner Michael Schaltenbrand setzen noch viele weitere Symbole und Klischeebilder ein – holzschnittartige und auch etwas hintersinnige. Zum Beispiel das monströse General Guisan-Porträt auf der linken Seitenwand der Bühne. Oder das Schwebekarussell, das sich in Zeitlupe über dem Bühnenboden dreht. Mit einer auf einem Bein aufgehängten Kuh, als Sinnbild der in ihrem Traditionsbewusstsein als Agrarstaat angeschlagenen Schweiz. Da ist auch der Mond als Zeichen für die ablaufende Zeit – der Kommissär ist krebskrank und hat nicht mehr viel Zeit, das Duell mit dem Verbrecher für sich zu entscheiden. Und da ist ein Nationalrat und Oberst (Gabor Biedermann) als Symbol für die politischen Machtverhältnisse im Land, über die man sich nur schwer hinwegsetzen kann.

Weiter Bühnenraum, ironischer Sound

Es ist eine wundervolle Bühne, die sehr viel Platz für weite und dynamische Gänge bietet (auch wenn ein paar der vorderen Zuschauerränge draufgehen) und die mit wenig Möblierung (aber ganz schön vielen Requisiten) fliegende und überlappende Szenenwechsel spielend zulässt: zwei freistehende Türen, ein paar Tische und Stühle, die flink umhergeschoben werden, und aufgemalte Strassenumrisse, an die sich die Figuren auf der Bühne, die beinahe andauernd in Bewegung sind, aber nur halbherzig halten.

Zur Ausstattung gehört auch ein Musiker oder Soundsampler, eine Art Atmosphären-DJ in Zivilschutz- oder Feierwehr-Uniform (Michael Haves), der an der rechten Bühnenwand gegenüber des Guisan-Monsterpoträts steht, als Figur aber ins inhaltliche Geschehen nicht einbezogen wird. Er sorgt für ironische akustische Signale und Untermalungen, für Krimi-Tuschs in pathetischer Edgar-Wallace-Film-Manier und für kurze Einspielungen des General-Guisan-Marsches. Und ab und zu greift er zum Kontrabass, um die Bühnenfiguren in ihren zum Teil slapstickartigen Bühnengängen stakkatohaft anzutreiben.

Im Zentrum des Geschehens stehen drei Figuren: der bärbeissige Kommissär Bärlach – eine von Dürrenmatt hinterlistig gebrochene Wachtmeister-Studer-Figur (Andreas Matti), der geheimnisvoll dämonische Verbrecher Gastmann (Vincent Leittersdorf) und der ehrgeizige Kriminalassistent Tschanz (Silvester von Hösslin). Bärlach hat eine alte Rechung mit seinem ehemaligen Freund und Verbrecher Gastmann auszutragen, bzw. einen lange zurückliegenden Mord aufzuklären. Und weil ihm dies mit legalen kriminologischen Mitteln nicht gelingt und er wegen seiner Krebserkrankung nicht mehr viel Zeit hat, benutzt er den in seinem Ehrgeiz über Leichen gehenden Assistenten Tschanz als Werkzeug. Der Richter und sein Henker eben.

Holzschnittartige Figuren

Die berühmten Romanfiguren sind auf der Schauspielhausbühne ziemlich holzschnittartig gezeichnet. Der zumeist in einem groben Wollmantel steckende Kommissär Bärlach (Kostüme: Gwendolyn Jenkins) ist in erster Linie bärbeissig und redet für jemanden, den Dürrenmatt als Menschen beschreibt, der nicht gerne viele Worte verliert, ziemlich viel. Die Figur des nihilistischen Verbrechers Gastmann (im schwarzen Anzug und weissen Rollkragenpullover) ist auf das Klischee des geheimnisvoll-dämonischen Bösewichts zurückgestutzt, und Tschanz steckt als hyperaktiver Ehrgeizling in ständigem Bewegungsdrang, den er unter anderem auf einem Fitnessvelo abstrampeln muss.

Das ist auch bei den Nebenfiguren nicht anders: Anna, die einzige wesentliche Frauenfigur der Geschichte (Inga Eickemeier), huscht als temperamentloser Schatten durchs Geschehen – ihr Lachen ist nicht viel mehr als ein unfröhliches Krächzen. Die Figur des Dichters ist oben bereits kurz beschrieben. Den Auftritten von Polizeichef Lutz (Florian Müller-Morungen) und von Nationalrat Schwendi (Gabor Biedermann) schaut man zwar gerne zu, viel mehr als Stichwortgeber und Eckpfeiler für den Handlungsstrang können sie aber nicht sein. Zu dieser Figurenkonstellation gesellen sich noch zwei Polizisten (Philippe Graff und Ariane Andereggen), die in slapstickartiger Manier vor allem für Szenenbeschreibungen zuständig sind.

Oberflächliches Kriminalspiel

Regisseurin Barbara Weber konzentriert sich in der rund eineinhalbstündigen Aufführung vor allem auf den Krimiplot, den sie mit viel Drive vorantreibt. Dabei vermischt sie verschiedene Stilelemente zu einem wilden szenischen Potpurri miteinander: Slapstickeinlagen gehen bruchlos in Kammerspielszenen über, Dialogpassagen vermischen sich beinahe ohne Punkt und Komma mit Szenenbeschreibungen, ohne welche die Dramatisierung des atmosphärischen Romans leider nicht möglich ist.

Das alles passiert ausgesprochen unbeschwert und hat Tempo, was durchaus positiv zu werten ist. Aber ohne Verluste funktioniert dieser wilde Ritt auf der Oberfläche nicht. Im Fall der gewählten Romanvorlage sind die Verluste letztlich gravierend. Denn verloren geht das, was Dürrenmatts Krimi von anderen Werken des Genres abhebt: die Abgründe der dunklen Geheimnisse, welche die Figuren deutlich aus dem klassischen Gut-und-Böse-Schema heraustreten lassen. Und ohne den Zynismus, ohne die bissige Gesellschaftskritik, die Dürrenmatt zum grossen Schriftsteller machten, bleibt nicht viel mehr als ein Handlungsgerüst übrig, das, so frisch und unbeschwert es auch hinuntergespielt wird, relativ banal daherkommt.

Theater Basel
«Der Richter und sein Henker»
von Friedrich Dürrenmatt in einer Bühnenfassung von Armin Kerber
Regie: Barbara Weber, Bühne: Michael Schaltenbrand, Kostüme: Gwendolyn Jenkins, Musik: Michael Haves
Mit: Andreas Matti, Vimcent Leittersdorf, Silvester von Hösslin, Gabor Biedermann, Inga Eickemeier, Florian Müller-Morungen, Ariane Andereggen, Philippe Graff, Jesse Inman, Michael Haves
Weitere Vorstellungen: 2., 12., 14., 23., 30., 31. Dezember 2013 und im Januar 2014, Schauspielhaus

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