Gerrit Rietveld schuf mit dem «Rot-Blauen-Stuhl» und dem «Schröder-Haus» Ikonen des Designs und der Architektur des 20. Jahrhunderts. Sein Werdegang ist aber keineswegs so linear wie die Formen seiner berühmten Bauten. Das Vitra Design Museum zeigt die zeitgenössische Relevanz Rietvelds anhand von Möbelstücken, Entwürfen, Modellen und Fotografien in der Ausstellung «Die Revolution des Raums».
Hach, dieser Stuhl – nein, nicht der legendäre «Rot-Blaue-Stuhl», der auch in der neuen Ausstellung «Revolution des Raums» zu sehen ist, sondern Gerrit Rietvelds (1888-1964) legendärer «Zickzack-Stuhl» ist hier gemeint. Seit den 1960er Jahren steht dieser in einer weiterentwickelten Form des dänischen Architekten und Designers Verner Panton für zeitloses, von der Pop-Art inspiriertes Design. Aber nur Designkenner wissen, dass sich Rietveld schon 30 Jahre zuvor an der Idee des «Stuhls aus einem Guss» abarbeitete und schliesslich mit den «Faltmöbeln» seiner Idee näher kam.
Anhand der Entwicklungsgeschichte des «Zickzack-Stuhls» lassen sich dann auch die Arbeitsweisen, Inspirationen, Einflüsse, unterschiedlichen Tendenzen und revolutionären Ideen des gelernten Tischlers Gerrit Rietveld nachverfolgen, die ihn antrieben, wie auch vice versa seine Berufskollegen ansporte, Neues zu entwickeln.
Gestalterischer Scherz
Die Form des «Zickzack-Stuhls» folgt einer einzigen Linie im Raum, die sich horizontal zur Sitzfläche, zum «Stuhlbein», zur Rückenlehne und zum Sockel ausbreitet. Viele sehen darin ein Symbol für Rietvelds Schaffen überhaupt. So ist dann auch im Erdgeschoss des Vitra Design Museums, das sich in diesen zwei Räumen den Anfängen Gerrit Rietvelds widmet, eine Stuhlreihe zu sehen, die die verschiedenen Entwicklungsstadien des «Zickzack-Stuhls»-Stuhls aufzeigt: Vom ersten Entwurf der Brüder Rasch über die Fertigung Mart Stams, zu Rietvelds Stahlrohrversion von 1932-33, seiner Version aus gebogenem Sperrholz von 1938 bis hin zu «Panton’s Chair», den Verner Panton im Jahre 1968 präsentierte und aus einem einzigen Stück Kunststoff fertigen liess. Die Entwicklung des Stuhls wird im Vitra Design Museum chronologisch gezeigt und damit auch für die Besucherin nachvollziehbar.
Rietveld selbst sagte über die charakteristische Form des Stuhls: «(…) es ist kein Stuhl, sondern ein gestalterischer Scherz. Ich habe ihn immer als das kleine Zickzack bezeichnet». In dieser eigenwilligen Form komprimierten sich Rietvelds Vorstellungen von Möbeldesign, zugleich legte er so das Fundament, auf dem er seine architektonischen Ideen bauen konnte. Den Stuhl fügte er dann auch zahlreichen anderen Modellen und Zeichnungen bei. Ein freier Umgang mit Material konnte er sich damals erlauben: Rietveld arbeitete in den 1930er Jahren mit dem Kaufhaus Metz & Co. zusammen, das ihm die kommerzielle Umsetzung seiner Entwürfe garantierte.
Gewagte Perspektive
Bis Ende der 1930er Jahre experimentierte Rietveld nicht nur mit Materialien, sondern auch mit Konstruktionen, entwarf für Privatkunden, die von der Wirtschaftskrise weitgehend verschont geblieben waren, auch Häuser mit abgerundeten Formen. So kombinierte er rechtwinklige und zylindrische Volumen, etwa beim «Haus Wijburg» in Den Haag. Das machte aus wirtschaftlicher Sicht durchaus Sinn: Wie Bruno Taut, der deutsche Architekt und Stadtplaner, in seiner Schrift «Die Neue Wohnung» bemerkte, hat ein rundes Haus einen geringeren Wärmeverlust und ist aufgrund des optimalen Verhältnisses von Grundfläche und Volumen für die Massenproduktion besonders ökonomisch.
Eine Betrachtung jenseits von Klischees wird durch die Beleuchtung dieser im Schatten der Ikonen stehenden Bauten im Vitra Design Museum möglich. Das Ziel des Kuratorinnenteams Amelie Znidaric (Vitra Design Museum), der Co-Kuratorin Laura Hompesch und Ida Zijl (Centraal Museum Utrecht) scheint somit erreicht. Angesichts der Tatsache, dass doch das «Schröder-Haus» stellvertretend für «den Stil» Rietvelds steht, der sich durch klare, lineare Formen, funktionale, flexible Elemente und den Einsatz der Primärfarben Rot, Gelb und Blau auszeichnet, eine gewagte Perspektive. Diese funktioniert, weil auch Rietvelds Ideen selbst keineswegs so einseitig waren, wie man das im Hinblick auf seine stets klar gebliebene Formensprache erwarten könnte.
Verbündete und Vertraute
Prägend für Rietvelds Ideen war sein früher Anschluss an die «De Stijl»-Bewegung um Kunsttheoretiker Theo van Doesburg und Maler Piet Mondrian. Der «Rot-Blaue-Stuhl», den Rietveld 1918 als Holzversion ohne Primärfarben schuf und der auch in der Ausstellung zu sehen ist, scheint dann auch später mit seinem charakteristischen Anstrich den Mondrian’schen Lack abgekommen zu haben. Rietvelds frühe Werke spiegeln die künstlerischen Ideale der Gruppe wieder. Nach 1945 war Rietveld zunehmends als Architekt denn als Möbeldesigner tätig, erhielt Aufträge für Prestige-Bauten wie etwa den niederländischen Pavillon an der Biennale in Venedig und löste sich von der «De Stijl»-Ästhetik, blieb aber seiner Formensprache treu.
Ebenen in Raum zu verwandeln, also dreidimensional nutzbar zu machen und diese dennoch leicht und spielerisch ineinanderzufügen, das schwebte am Anfang von Rietvelds Karriere nicht nur ihm vor, sondern auch seiner späteren Förderin, Verbündeten und Vertrauten Truus Schröder, welche, der Name verrät es, Bauherrin des dreigeschossigen «Schröder-Haus» in Utrecht war. Schröders Vision eines Hauses strebte nach Offenheit, nach Licht, nach Räumen, die ihre Klarheit behalten und gleichzeitg funktional sind, ineinandergreifen und flexibel bleiben.
So präsentiert sich das Haus dann auch mit hellen Fassaden und den typischen primärfarbenen Verstrebungen und Fensterrahmen. Mit dem ersten Entwurf Rietvelds war die frisch verwitete und alleinerziehende Mutter von drei Kindern aber nicht zufrieden. So sagte Schröder 1982 über das Haus: «Ich glaube, dass Rietveld bei diesem Haus nicht hundertprozentig «Rietveld» ist. Ich denke, er hat sich zu einem gewissen Mass nach meinen Wünschen gerichtet.» Für Rietveld wiederum war der Bau des Hauses eine logische Fortsetzung seines bisherigen Schaffens.
Zurück in die Zukunft
Mit der Entwicklung seiner «Kisten-Möbel» in den 1940ern, die man selbst zusammenbauen konnte (kommt uns doch irgendwie schwedisch vor…), nahm Rietveld die Do-it-yourself-Bewegung vorweg und trug der Individualität des modernen Menschen Rechnung. Man muss sich vorstellen, dass man damals in einem karnevalesken Mix von Stilen wohnte: Boudoir und Bauernstube gingen fliessend ineinander über. Mit diesen Wohn-und Sehgewohnheiten hat Rietveld radikal gebrochen. Über sich selbst sagte der Niederländer in seinem letzten Lebensjahr abgeklärt: «Ich habe mich nie von der Religion leiten lassen. Es treibt mich auch kein Idealismus. Mich beflügelt der pure Egoismus, die Verwirklichung meiner eigenen Existenz».
Auch die Philosophie des «Open Designs», bei dem der Käufer selbst Möbel baut, der Designer seine Entwürfe offenlegt und das Copyright nicht mehr greift, hat Rietveld vor gut 70 Jahren angedacht. Auch dies eine Entwicklung, die man heute retrospektiv als unausweichlich wahrnimmt, zur Zeit Rietvelds aber in der Tat eine Revolution des Raums und der Möblierung desselben darstellte.
- Die Ausstellung im Vitra Design Museum dauert vom 17.5. bis am 16.09.2012. Das vielseitige Rahmenprogramm ist hier abrufbar.