Der Tourplan von Vein bietet Namen, die einfacher zu schreiben als auszusprechen sind. Novosibirsk hat man zumindest schon gehört, aber Krasnoyarsk? «Für Ferien ist Russland nicht meine Traumdestination, aber zum Spielen ist es hinter dem Ural am besten», schwärmt Bassist Thomas Lähns von den sibirischen Städten.
Er weiss, wovon er spricht. Das Basler Jazztrio tourte in zehn Jahren in rund 40 Ländern auf vier Kontinenten. Diesen Frühsommer spielten sie in Japan. Doch wirklich gross sind die Basler, wenn sie in den Ländern der ehemaligen UdSSR spielen.
Im wilden Osten strömen schnell 500 Leute an ihre Konzerte. Selbst die Philharmonie in Weissrusslands Hauptstadt Minsk war schon ausverkauft. «Anders als sonst in Europa kommen meist sehr junge Fans», sagt Lähns. Diese drängen nach Konzertschluss zum Merchandise-Stand der Band und hoffen, gerüstet mit Stiften und selbst ausgedruckten Fotos der Musiker, auf Autogramme.
Neue Interpretation eines Gassenhauers
Die Band wird in russische TV-Shows geladen und hetzt von Radio zu Radio. Vein wurde auch schon das Angebot gemacht, ein paar Wochen per Bus quer durch das Land zu touren – als Teil eines fünfstündigen Festivals, bei dem jeden Abend 5000 Leute tanzen. Lähns kommentiert den Russland-Hype nüchtern: «Mal läuft es in Spanien besser, mal in England. Seit ein paar Jahren scheint Jazz im Osten gerade sehr populär.»
Dem Trio läuft es schon seit einiger Zeit, ständig kommen neue Anfragen. «Nur im Welschland bekommen wir kaum Konzerte», so Lähns – der Röstigraben bildet ein grösseres Hindernis als der Ural.
Vielleicht gelingt dies nun mit dem neuen Album «Vein plays Ravel». Der «Boléro» des französischen Komponisten ist eines der meistgespielten Orchesterwerke, ein Klassik-Ohrwurm, ein echter Gassenhauer.
Die Verwalter von Ravels Werk gaben den «Boléro» zur Neuinterpretation frei, was keine Selbstverständlichkeit ist.
Das mag kommerziell funktionieren. Aber den Evergreen zu verjazzen, klingt in etwa so originell wie eine Mundartversion von «Let it be» oder eine «Take Five»-Interpretation von Rondò Veneziano. Wie kommt ein Jazztrio, das international in den Feuilletons von «The Guardian» bis zur FAZ gefeiert wird, darauf?
Lähns: «Genau die simplen Melodien Ravels ermöglichen es, uns möglichst weit weg vom Original zu entfernen, ohne den Bezug zu verlieren.»
Ravels stoisch steigernder Rhythmus-Loop auf der kleinen Trommel ist in Veins «Boléro»-Version virtuosen Wirbeln und wilden Wechseln gewichen. Den prägendenden Akzent setzt eine Cowbell. Was würde wohl der Komponist denken? Lähns: «Ravel hatte selbst stets alte Stile aufgegriffen und neu interpretiert. Unser Remix könnte ihm also durchaus entsprechen.»
Die Verwalter von Ravels Werk waren der Anfrage des Jazztrios aus Basel jedenfalls gewogen und gaben die Stücke 80 Jahre nach dem Tod des Komponisten frei. Das ist nicht selbstverständlich: «Bei Strawinski war die Anfrage erfolglos. Seine Stücke darf man nicht neu interpretieren.»
Das Trio vergreift sich aber längst nicht nur an Klassikern. Lähns: «Das ist erst das dritte Album mit Fremdkompositionen», zwölf hat die Band schon herausgebracht.
Mit Iron Maiden zum Bass
Die Liebe zur Klassik ist bei Lähns und den Brüdern Michael und Florian Arbenz (Piano und Schlagzeug) offensichtlich. Schliesslich schlossen alle drei ihr Musikstudium im Klassischen Sektor der Musikhochschule Basel ab – und nicht etwa an der Jazzschule.
Dieser Bildungsweg hat mit dem familiären Umfeld des Trios zu tun. Die Eltern der Arbenz-Brüder waren beide klassische Musiker, der Vater leitete die Musikakademie. Lähns Ur-Grossvater Anton Wettengel Senior kam wegen dem Sinfonieorchester (BOG) nach Basel und blies das Fagott wie später auch sein Sohn, Lähns Grossvater Anton Wettengel Junior: «Hauptsache gross und tief», sagt Lähns lachend über die familiäre Instrumentenvorliebe.
Auf den Bass kam er jedoch nicht via Klassik, sondern – irgendwie auch klassisch für 13-Jährige – über Iron Maiden. «Als mein älterer Bruder das ‹Powerslave›-Album nach Hause brachte, wollte ich nur noch Bass lernen, um mit einem Freund, der schon Gitarre spielte, eine Band zu gründen.» Seine erste Band mit eigenen Songs hatte Lähns schon als Neunjähriger. Allerdings spielte er da noch Keyboard.
«Früher konnte man es sich erlauben, eine Show zu versauen. Heute ist der Jazz propper.» Thomas Lähns
Mit der Metal-Band wurde es dennoch nichts. Denn Lähns lernte bei seinem Basslehrer Tibor Elekes den Jazz kennen und wechselte bald von der Bassgitarre zum Kontrabass. Den gibt er nicht mehr aus den Händen, selbst wenn man helfen will, das mächtige Teil die Treppe hochzutragen.
Zu den beiden Arbenz-Brüdern fand Lähns mit 23 Jahren ebenfalls über Elekes, als bei einem Projekt ihr damaliger Bassist ausgefallen war. «In der kleinen Jazzszene ist es ein unglaubliches Glück, in derselben Stadt zwei musikalisch so versierte und menschlich passende Mitstreiter zu finden», freut sich Lähns noch heute über das Treffen mit den etwas älteren Brüdern. Ausserdem: «Dank ihrer Beziehungen spielte ich schon als Jungspund mit alten Jazzgrössen. Das war unglaublich inspirierend.»
Zum Glück nur musikalisch. Denn verglichen mit den Biografien alter Jazzikonen schrumpft manch böser Rocker zum Schulbuben. Lähns lacht: «Der Jazz ist heute propper. Früher spielte man ein, zwei Wochen am selben Ort. Da konnte man es sich erlauben, auch mal besoffen eine Show zu versauen. Passiert dir das heute auf Tour, wäre der Club für 20 Jahre Sperrgebiet.»
Zwischen Hitparade und «Hirschi»
Eine Jazzgrösse spielt als Gast auch auf dem neuen Album. «Das Saxophon von Andy Sheppard wie auch der fünfköpfige Bläsersatz bereichern das Spektrum enorm», findet Lähns. Sein persönliches Spektrum lässt er gerne auch von seinen Schülern an der Musikschule Birsfelden bereichern, wenn sie die neusten Top-Nummern der Hitparade spielen wollen, oder wenn ihn alte Freunde an Punkkonzerte ins «Hirschi» schleppen.
Doch nun entert Lähns Trio mit dem neuen Album erstmals die Volkshaus-Bühne. Und man wünscht sich für die Taufe russische Zustände.
Samstag, 9. November, 20 Uhr, Volkshaus Basel: Ten Years Vein; «Vein Play Ravel» (Double Moon Records).